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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Die Ruinenstätte von Nicäa.
Nicäa unter dem Scepter seines Eroberers Orchan geblüht und
der Stolz des Landes war 1. Die Geschichte, namentlich die
osmanische Culturgeschichte, welche einen Sinan kennt, hat längst
dargethan, daß die osmanische Race von Anbeginn her nicht
dazu verdammt war, die Kunstschöpfungen anderer Völker der
Zerstörung preiszugeben, ja, daß dieser Zerstörungstrieb ganz
und gar nicht im Wesen der türkischen Race begründet war,
wie die baulustige und kunstliebende Zeit der Seldschukiden zur
Genüge beweist 2. Wenn nun die heutigen Osmanen dennoch
ihre einstigen Emporien, und zwar gerade diejenigen, die bestimmt
waren, ein Denkmal ihrer früheren Macht abzugeben, dem gänz-
lichen Verfalle preisgeben, so ist der Beweis so ziemlich erbracht,
daß diesem so rasch entarteten Volke keine moralische Kraft
mehr innewohnt, vergangenen Ruhm sich zu vergegenwärtigen
und mit der Erinnerung an denselben den fühlbaren Niedergang
seiner Herrschaft aufzuhalten. Wenn unter unseren Politikern
noch eine Meinungsverschiedenheit über die Existenzberechtigung
der Osmanen-Dynastie herrscht, so findet dies seine folgerichtige
Erklärung in den Kämpfen der Parteileidenschaften und in den
kühlen diplomatischen Doctrinen, in denen maßgebende Nationen
ihren speciellen Standpunkt vertreten. Gegen ein derartiges poli-
tisches Farbenspiel haben wir nichts einzuwenden, denn es wird
von einer mehr oder minder mächtigen Interessenpolitik bestimmt;
aber das ändert sich ganz gewaltig, wenn wir uns auf rein histo-
rischen, oder civilisatorischen Standpunkt stellen. Unser Urtheil
wird hiebei weder von englischen Panzercolossen, noch von russischen
Kosaken-Regimentern getrübt, wir vermögen zu ahnen, was einst
war und nicht mehr ist, unser Fuß betritt auf jeder Meile
Ruinenstätten einstigen osmanischen Glanzes und es ist keine

1 Busch, "Türkei", 151. Man übertünchte zwar die Mosaikgemälde
und Bibelverse an den Wänden der Kirchen, um darauf zu schreiben, daß
es nur einen Gott und seinen Propheten Mohammed gebe, im Uebrigen
aber war Orchan großmüthig gegen die Besiegten, überaus wohlthätig
gegen die Armen und gründete eben hier außer einer Studienanstalt auch
ein Armenhaus, worin er zur Eröffnung selber die Lampen anzündete und
die Speisen vertheilte (Nach Jouannin, "Turquie", bei Braun, a. a. O. 373).
Vgl. J. David, "Syrie moderne", 355 u. ff.
2 Siehe unten, S. 182

Die Ruinenſtätte von Nicäa.
Nicäa unter dem Scepter ſeines Eroberers Orchan geblüht und
der Stolz des Landes war 1. Die Geſchichte, namentlich die
osmaniſche Culturgeſchichte, welche einen Sinan kennt, hat längſt
dargethan, daß die osmaniſche Race von Anbeginn her nicht
dazu verdammt war, die Kunſtſchöpfungen anderer Völker der
Zerſtörung preiszugeben, ja, daß dieſer Zerſtörungstrieb ganz
und gar nicht im Weſen der türkiſchen Race begründet war,
wie die bauluſtige und kunſtliebende Zeit der Seldſchukiden zur
Genüge beweiſt 2. Wenn nun die heutigen Osmanen dennoch
ihre einſtigen Emporien, und zwar gerade diejenigen, die beſtimmt
waren, ein Denkmal ihrer früheren Macht abzugeben, dem gänz-
lichen Verfalle preisgeben, ſo iſt der Beweis ſo ziemlich erbracht,
daß dieſem ſo raſch entarteten Volke keine moraliſche Kraft
mehr innewohnt, vergangenen Ruhm ſich zu vergegenwärtigen
und mit der Erinnerung an denſelben den fühlbaren Niedergang
ſeiner Herrſchaft aufzuhalten. Wenn unter unſeren Politikern
noch eine Meinungsverſchiedenheit über die Exiſtenzberechtigung
der Osmanen-Dynaſtie herrſcht, ſo findet dies ſeine folgerichtige
Erklärung in den Kämpfen der Parteileidenſchaften und in den
kühlen diplomatiſchen Doctrinen, in denen maßgebende Nationen
ihren ſpeciellen Standpunkt vertreten. Gegen ein derartiges poli-
tiſches Farbenſpiel haben wir nichts einzuwenden, denn es wird
von einer mehr oder minder mächtigen Intereſſenpolitik beſtimmt;
aber das ändert ſich ganz gewaltig, wenn wir uns auf rein hiſto-
riſchen, oder civiliſatoriſchen Standpunkt ſtellen. Unſer Urtheil
wird hiebei weder von engliſchen Panzercoloſſen, noch von ruſſiſchen
Koſaken-Regimentern getrübt, wir vermögen zu ahnen, was einſt
war und nicht mehr iſt, unſer Fuß betritt auf jeder Meile
Ruinenſtätten einſtigen osmaniſchen Glanzes und es iſt keine

1 Buſch, „Türkei“, 151. Man übertünchte zwar die Moſaikgemälde
und Bibelverſe an den Wänden der Kirchen, um darauf zu ſchreiben, daß
es nur einen Gott und ſeinen Propheten Mohammed gebe, im Uebrigen
aber war Orchan großmüthig gegen die Beſiegten, überaus wohlthätig
gegen die Armen und gründete eben hier außer einer Studienanſtalt auch
ein Armenhaus, worin er zur Eröffnung ſelber die Lampen anzündete und
die Speiſen vertheilte (Nach Jouannin, „Turquie“, bei Braun, a. a. O. 373).
Vgl. J. David, „Syrie moderne“, 355 u. ff.
2 Siehe unten, S. 182
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[157/0189] Die Ruinenſtätte von Nicäa. Nicäa unter dem Scepter ſeines Eroberers Orchan geblüht und der Stolz des Landes war 1. Die Geſchichte, namentlich die osmaniſche Culturgeſchichte, welche einen Sinan kennt, hat längſt dargethan, daß die osmaniſche Race von Anbeginn her nicht dazu verdammt war, die Kunſtſchöpfungen anderer Völker der Zerſtörung preiszugeben, ja, daß dieſer Zerſtörungstrieb ganz und gar nicht im Weſen der türkiſchen Race begründet war, wie die bauluſtige und kunſtliebende Zeit der Seldſchukiden zur Genüge beweiſt 2. Wenn nun die heutigen Osmanen dennoch ihre einſtigen Emporien, und zwar gerade diejenigen, die beſtimmt waren, ein Denkmal ihrer früheren Macht abzugeben, dem gänz- lichen Verfalle preisgeben, ſo iſt der Beweis ſo ziemlich erbracht, daß dieſem ſo raſch entarteten Volke keine moraliſche Kraft mehr innewohnt, vergangenen Ruhm ſich zu vergegenwärtigen und mit der Erinnerung an denſelben den fühlbaren Niedergang ſeiner Herrſchaft aufzuhalten. Wenn unter unſeren Politikern noch eine Meinungsverſchiedenheit über die Exiſtenzberechtigung der Osmanen-Dynaſtie herrſcht, ſo findet dies ſeine folgerichtige Erklärung in den Kämpfen der Parteileidenſchaften und in den kühlen diplomatiſchen Doctrinen, in denen maßgebende Nationen ihren ſpeciellen Standpunkt vertreten. Gegen ein derartiges poli- tiſches Farbenſpiel haben wir nichts einzuwenden, denn es wird von einer mehr oder minder mächtigen Intereſſenpolitik beſtimmt; aber das ändert ſich ganz gewaltig, wenn wir uns auf rein hiſto- riſchen, oder civiliſatoriſchen Standpunkt ſtellen. Unſer Urtheil wird hiebei weder von engliſchen Panzercoloſſen, noch von ruſſiſchen Koſaken-Regimentern getrübt, wir vermögen zu ahnen, was einſt war und nicht mehr iſt, unſer Fuß betritt auf jeder Meile Ruinenſtätten einſtigen osmaniſchen Glanzes und es iſt keine 1 Buſch, „Türkei“, 151. Man übertünchte zwar die Moſaikgemälde und Bibelverſe an den Wänden der Kirchen, um darauf zu ſchreiben, daß es nur einen Gott und ſeinen Propheten Mohammed gebe, im Uebrigen aber war Orchan großmüthig gegen die Beſiegten, überaus wohlthätig gegen die Armen und gründete eben hier außer einer Studienanſtalt auch ein Armenhaus, worin er zur Eröffnung ſelber die Lampen anzündete und die Speiſen vertheilte (Nach Jouannin, „Turquie“, bei Braun, a. a. O. 373). Vgl. J. David, „Syrie moderne“, 355 u. ff. 2 Siehe unten, S. 182

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/189>, abgerufen am 21.11.2024.