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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Anhang. Anatolische Fragmente.
sein, während der jugendliche Eroberer mittelst Kahn die südlichen
Gestade aufsuchte, um auf Ilions geweihtem Boden den zu be-
zwingenden Welttheil zu betreten.

Gleich unterhalb Nagara-Burun beginnen die eigentlichen
Befestigungen der Dardanellen, auf asiatischer Uferseite die Batterie
Kösch-Burun Tabia; diesseits weiter Tscham-Burun Tabia und
Kilid Bahr, jenseits das größte der Dardanellenforts, Sultanie,
das mit seinen plumpen Rundthürmen und weißen Terrassen-
mauern wie aus dem Meere emporzutauchen scheint. Imposant
nehmen sich diese Befestigungen keineswegs aus, die seit ihrer
Erbauung durch Mohammed IV. bis in die neueste Zeit hinein
kaum eine gründliche Restauration erfahren haben mögen und in
denen sich noch vor Kurzem die ältesten und wunderlichsten
Geschützmonstren und ganze Magazine mit -- Steinprojectilen, wie
sie bei der Belagerung von Constantinopel, also vor mehr als
vierhundert Jahren, in Verwendung waren, befanden.

Von Tschanak-Kalessi ab erweitert sich der Hellespont sehr
bedeutend, auch werden die Uferpartien allenthalben reizlos, und
so benützt, wer nur einige Zeit hiezu disponibel hat, von dem
mehrgenannten Dardanellenschlosse, den Landweg bis zur tro-
janischen Landschaft hinab. Schon der Besuch von Mstr. Cal-
vert, dem amerikanischen Consul und Eigenthümer der weitaus
werthvollsten iliensischen Antiquitäten-Sammlung, ist belehrend
genug, und mit der nothwendigen Bereicherung ausgestattet, ver-
läßt der Wanderer auf seinem Grauthiere oder auf bedenklich
abstrapazirten Klepper die Dampfschiffstation, um nach Süden
aufzubrechen. Nur der ferne Ida lugt in die Vor-Landschaft
herein und unmittelbar vor uns liegt die compacte Masse eines
auf steilem Grat -- dem Skäischen Vorgebirge -- aufgeführten
Dorfes. Der Führer sagt uns, daß von der vorliegenden Höhe
der Ausblick ein umfassender sei, und so erscheint es begreiflich,
wenn man den Gang seines Reitthieres beflügelt, denn jener um-
fassende Ausblick kann füglich nichts anderes in sich begreifen,
als die trojanische Ebene selbst. Und so ist es. Noch ein letztes
Emporklettern zu dem Dorfe Renkiöj mit seinen niederen, flach-
dachigen Steinhäusern und -- zu unseren Füßen liegt die durch
die Poesie geheiligte Stätte, deren erster Eindruck für Jedermann
unvergeßlich bleiben wird. An sich ist die weitläufige Niederung

Anhang. Anatoliſche Fragmente.
ſein, während der jugendliche Eroberer mittelſt Kahn die ſüdlichen
Geſtade aufſuchte, um auf Ilions geweihtem Boden den zu be-
zwingenden Welttheil zu betreten.

Gleich unterhalb Nagara-Burun beginnen die eigentlichen
Befeſtigungen der Dardanellen, auf aſiatiſcher Uferſeite die Batterie
Köſch-Burun Tabia; dieſſeits weiter Tſcham-Burun Tabia und
Kilid Bahr, jenſeits das größte der Dardanellenforts, Sultanie,
das mit ſeinen plumpen Rundthürmen und weißen Terraſſen-
mauern wie aus dem Meere emporzutauchen ſcheint. Impoſant
nehmen ſich dieſe Befeſtigungen keineswegs aus, die ſeit ihrer
Erbauung durch Mohammed IV. bis in die neueſte Zeit hinein
kaum eine gründliche Reſtauration erfahren haben mögen und in
denen ſich noch vor Kurzem die älteſten und wunderlichſten
Geſchützmonſtren und ganze Magazine mit — Steinprojectilen, wie
ſie bei der Belagerung von Conſtantinopel, alſo vor mehr als
vierhundert Jahren, in Verwendung waren, befanden.

Von Tſchanak-Kaleſſi ab erweitert ſich der Hellespont ſehr
bedeutend, auch werden die Uferpartien allenthalben reizlos, und
ſo benützt, wer nur einige Zeit hiezu disponibel hat, von dem
mehrgenannten Dardanellenſchloſſe, den Landweg bis zur tro-
janiſchen Landſchaft hinab. Schon der Beſuch von Mſtr. Cal-
vert, dem amerikaniſchen Conſul und Eigenthümer der weitaus
werthvollſten ilienſiſchen Antiquitäten-Sammlung, iſt belehrend
genug, und mit der nothwendigen Bereicherung ausgeſtattet, ver-
läßt der Wanderer auf ſeinem Grauthiere oder auf bedenklich
abſtrapazirten Klepper die Dampfſchiffſtation, um nach Süden
aufzubrechen. Nur der ferne Ida lugt in die Vor-Landſchaft
herein und unmittelbar vor uns liegt die compacte Maſſe eines
auf ſteilem Grat — dem Skäiſchen Vorgebirge — aufgeführten
Dorfes. Der Führer ſagt uns, daß von der vorliegenden Höhe
der Ausblick ein umfaſſender ſei, und ſo erſcheint es begreiflich,
wenn man den Gang ſeines Reitthieres beflügelt, denn jener um-
faſſende Ausblick kann füglich nichts anderes in ſich begreifen,
als die trojaniſche Ebene ſelbſt. Und ſo iſt es. Noch ein letztes
Emporklettern zu dem Dorfe Renkiöj mit ſeinen niederen, flach-
dachigen Steinhäuſern und — zu unſeren Füßen liegt die durch
die Poeſie geheiligte Stätte, deren erſter Eindruck für Jedermann
unvergeßlich bleiben wird. An ſich iſt die weitläufige Niederung

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[162/0194] Anhang. Anatoliſche Fragmente. ſein, während der jugendliche Eroberer mittelſt Kahn die ſüdlichen Geſtade aufſuchte, um auf Ilions geweihtem Boden den zu be- zwingenden Welttheil zu betreten. Gleich unterhalb Nagara-Burun beginnen die eigentlichen Befeſtigungen der Dardanellen, auf aſiatiſcher Uferſeite die Batterie Köſch-Burun Tabia; dieſſeits weiter Tſcham-Burun Tabia und Kilid Bahr, jenſeits das größte der Dardanellenforts, Sultanie, das mit ſeinen plumpen Rundthürmen und weißen Terraſſen- mauern wie aus dem Meere emporzutauchen ſcheint. Impoſant nehmen ſich dieſe Befeſtigungen keineswegs aus, die ſeit ihrer Erbauung durch Mohammed IV. bis in die neueſte Zeit hinein kaum eine gründliche Reſtauration erfahren haben mögen und in denen ſich noch vor Kurzem die älteſten und wunderlichſten Geſchützmonſtren und ganze Magazine mit — Steinprojectilen, wie ſie bei der Belagerung von Conſtantinopel, alſo vor mehr als vierhundert Jahren, in Verwendung waren, befanden. Von Tſchanak-Kaleſſi ab erweitert ſich der Hellespont ſehr bedeutend, auch werden die Uferpartien allenthalben reizlos, und ſo benützt, wer nur einige Zeit hiezu disponibel hat, von dem mehrgenannten Dardanellenſchloſſe, den Landweg bis zur tro- janiſchen Landſchaft hinab. Schon der Beſuch von Mſtr. Cal- vert, dem amerikaniſchen Conſul und Eigenthümer der weitaus werthvollſten ilienſiſchen Antiquitäten-Sammlung, iſt belehrend genug, und mit der nothwendigen Bereicherung ausgeſtattet, ver- läßt der Wanderer auf ſeinem Grauthiere oder auf bedenklich abſtrapazirten Klepper die Dampfſchiffſtation, um nach Süden aufzubrechen. Nur der ferne Ida lugt in die Vor-Landſchaft herein und unmittelbar vor uns liegt die compacte Maſſe eines auf ſteilem Grat — dem Skäiſchen Vorgebirge — aufgeführten Dorfes. Der Führer ſagt uns, daß von der vorliegenden Höhe der Ausblick ein umfaſſender ſei, und ſo erſcheint es begreiflich, wenn man den Gang ſeines Reitthieres beflügelt, denn jener um- faſſende Ausblick kann füglich nichts anderes in ſich begreifen, als die trojaniſche Ebene ſelbſt. Und ſo iſt es. Noch ein letztes Emporklettern zu dem Dorfe Renkiöj mit ſeinen niederen, flach- dachigen Steinhäuſern und — zu unſeren Füßen liegt die durch die Poeſie geheiligte Stätte, deren erſter Eindruck für Jedermann unvergeßlich bleiben wird. An ſich iſt die weitläufige Niederung

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/194>, abgerufen am 24.11.2024.