Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Hellespont und Ilion. ziemlich reizlos, d. h. sie enthält nichts, was sonst der verwöhnteErdenwaller von einem Landschaftsbilde verlangt, aber schon der Blick auf den aufblitzenden Skamander, der wie ein heller Silber- faden durch die hellgrüne Ebene zieht, mag den ureigenen Zauber dieses Gefildes zum Bewußtsein bringen, an der Küste aber, unweit des Dardanellenforts Kum-Kaleh, ist der Boden vollends dürre, sandig und ohne geringsten Pflanzenschmuck. Dieser Strich ist, nebenher bemerkt, nicht einmal classisches Terrain, denn die Wissenschaft ist nun einmal in ähnlichen Dingen sehr unerbittlich und diesbezügliche Untersuchungen haben ungemein überzeugend festgestellt, daß es einerseits den Anschwemmungen des Skaman- ders 1, anderseits dem säculären Emporsteigen der Küste sein Dasein verdankt, und somit von Danaern und Iliensern niemals betreten werden konnte. Diese Thatsache macht es auch erklär- lich, weshalb Homer sein Troja so nahe dem Meere gelegen sein läßt, ein topographischer Wink, der ohne jene Aufklärung nimmer einleuchten würde. Steigen wir nun von jener Warte hinab, um das Gefilde 1 Gelzer, "Eine Wanderung nach Troja", 8. 2 Arrian, Anab. Alex. I, 11, 7. Auch hielt Alexander einen festlichen Umzug, aber, wie die Sitte erforderte, ohne Waffen, und erklärte laut, wie er diesen Achilleus um seinen Freund im Leben und den Herold (Homer) beneide, den er im Tod gefunden. Alexander aber mußte sich mit einem Chörilos begnügen, dem er Goldstücke für gute Verse, Ohrfeigen für schlechte gab und den er versicherte, er möchte lieber der Thersites Homers, als der Achill des Chörilos sein. (J. Braun, "Historische Land- schaften", 184.) 11*
Hellespont und Ilion. ziemlich reizlos, d. h. ſie enthält nichts, was ſonſt der verwöhnteErdenwaller von einem Landſchaftsbilde verlangt, aber ſchon der Blick auf den aufblitzenden Skamander, der wie ein heller Silber- faden durch die hellgrüne Ebene zieht, mag den ureigenen Zauber dieſes Gefildes zum Bewußtſein bringen, an der Küſte aber, unweit des Dardanellenforts Kum-Kaleh, iſt der Boden vollends dürre, ſandig und ohne geringſten Pflanzenſchmuck. Dieſer Strich iſt, nebenher bemerkt, nicht einmal claſſiſches Terrain, denn die Wiſſenſchaft iſt nun einmal in ähnlichen Dingen ſehr unerbittlich und diesbezügliche Unterſuchungen haben ungemein überzeugend feſtgeſtellt, daß es einerſeits den Anſchwemmungen des Skaman- ders 1, anderſeits dem ſäculären Emporſteigen der Küſte ſein Daſein verdankt, und ſomit von Danaern und Ilienſern niemals betreten werden konnte. Dieſe Thatſache macht es auch erklär- lich, weshalb Homer ſein Troja ſo nahe dem Meere gelegen ſein läßt, ein topographiſcher Wink, der ohne jene Aufklärung nimmer einleuchten würde. Steigen wir nun von jener Warte hinab, um das Gefilde 1 Gelzer, „Eine Wanderung nach Troja“, 8. 2 Arrian, Anab. Alex. I, 11, 7. Auch hielt Alexander einen feſtlichen Umzug, aber, wie die Sitte erforderte, ohne Waffen, und erklärte laut, wie er dieſen Achilleus um ſeinen Freund im Leben und den Herold (Homer) beneide, den er im Tod gefunden. Alexander aber mußte ſich mit einem Chörilos begnügen, dem er Goldſtücke für gute Verſe, Ohrfeigen für ſchlechte gab und den er verſicherte, er möchte lieber der Therſites Homers, als der Achill des Chörilos ſein. (J. Braun, „Hiſtoriſche Land- ſchaften“, 184.) 11*
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Hellespont und Ilion.
ziemlich reizlos, d. h. ſie enthält nichts, was ſonſt der verwöhnte
Erdenwaller von einem Landſchaftsbilde verlangt, aber ſchon der
Blick auf den aufblitzenden Skamander, der wie ein heller Silber-
faden durch die hellgrüne Ebene zieht, mag den ureigenen Zauber
dieſes Gefildes zum Bewußtſein bringen, an der Küſte aber,
unweit des Dardanellenforts Kum-Kaleh, iſt der Boden vollends
dürre, ſandig und ohne geringſten Pflanzenſchmuck. Dieſer Strich
iſt, nebenher bemerkt, nicht einmal claſſiſches Terrain, denn die
Wiſſenſchaft iſt nun einmal in ähnlichen Dingen ſehr unerbittlich
und diesbezügliche Unterſuchungen haben ungemein überzeugend
feſtgeſtellt, daß es einerſeits den Anſchwemmungen des Skaman-
ders 1, anderſeits dem ſäculären Emporſteigen der Küſte ſein
Daſein verdankt, und ſomit von Danaern und Ilienſern niemals
betreten werden konnte. Dieſe Thatſache macht es auch erklär-
lich, weshalb Homer ſein Troja ſo nahe dem Meere gelegen ſein
läßt, ein topographiſcher Wink, der ohne jene Aufklärung nimmer
einleuchten würde.
Steigen wir nun von jener Warte hinab, um das Gefilde
ſelbſt zu durchwandern. Schon von der Höhe aus ſind uns in
ſüdweſtlicher Richtung zwei gewaltige, vollkommen iſolirt aus den
grünenden Feldern emportauchende Hügel aufgefallen. Wir er-
reichen ſie nach kurzem Ritte zwiſchen den weidenden Büffel-
heerden hindurch und ſtehen ſo unverwandt vor den zwei älteſten
Denkmälern ilienſiſcher Geſchichte, vor den Gräbern Achilleus’
und Patroklus’. Einſam iſt’s ringsum und nur beſcheidene
Blümchen ſprießen auf der Trift, die ſeinerzeit Alexander d. Gr.
mit ſilberſtrahlender Rüſtung betreten, um die Ruheſtätte ſeines
gefeierten Vorbildes zu ſchmücken 2. Seit jener Zeit haben zahl-
loſe Völkerſchaaren das Skamanderthal durchzogen und ſie
1 Gelzer, „Eine Wanderung nach Troja“, 8.
2 Arrian, Anab. Alex. I, 11, 7. Auch hielt Alexander einen feſtlichen
Umzug, aber, wie die Sitte erforderte, ohne Waffen, und erklärte laut,
wie er dieſen Achilleus um ſeinen Freund im Leben und den Herold
(Homer) beneide, den er im Tod gefunden. Alexander aber mußte ſich
mit einem Chörilos begnügen, dem er Goldſtücke für gute Verſe, Ohrfeigen
für ſchlechte gab und den er verſicherte, er möchte lieber der Therſites
Homers, als der Achill des Chörilos ſein. (J. Braun, „Hiſtoriſche Land-
ſchaften“, 184.)
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