Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

Bild:
<< vorherige Seite

Anhang. Anatolische Fragmente.
fallenen Einfriedungen und den überwucherten Grabmonumenten.
Unter dieser, so vielfach mit baulichen Fragmenten übersäeten
Erddecke vermuthete Schliemann die Reste Ilions und nach lang-
wieriger aufreibender Arbeit legte er gewaltige Substructions-
mauern bloß, die er der Feste Priamos zuschrieb und somit jene
weitreichende Umwälzung in der trojanischen Topographie hervor-
rief, die noch immer unsere Hellenisten vollauf beschäftigt. Mag
es damit nun wie immer bestellt sein, zweifellos bleibt es, daß
die Funde aus dem Innern dieses Bodens, das höchste cultur-
geschichtliche Interesse beanspruchen und für die iliensische und
alt-hellenische Kunst- und Religionsgeschichte von unberechenbarem
Werthe sind 1 ... Neben der Abgestorbenheit und Oede auf
Hissarlik ist auch der Ausblick von hier keineswegs ein lohnender.
Das Meer ist verdeckt durch die vorliegenden niederen Uferhöhen
und die waldigen Bergstufen im obern Skamanderthal nicht zu
überblicken. Vollends abgeschlossen ist das Bild gegen Süd-
westen, über die Minaretspitze von Bunarbaschi hinweg, wo der
Bali-Dagh die Insel Tenedos und die vor ihr liegenden Küsten-
Einfassungen der historisch gewordenen Besika-Bai maskirt. In
der Mittagshitze eines morgenländischen Sommertages kann ein
längerer Aufenthalt auf der Plateauhöhe von Hissarlik somit sehr
unbehaglich werden, trotz der Nähe des Skamanders, der zwischen
Pappeln und Tamarisken dem nahen Meere zuschlängelt. Man
sollte indeß kaum glauben, daß diese friedliche Landschaft irgendwie
geeignet sein könnte, ein anderes, als blos historisches oder cultur-
geschichtliches Interesse zu beanspruchen. Und dennoch ist es so,
wie wir schon oben zu bemerken Gelegenheit fanden. Auch vom
trojanischen Gefilde westwärts ist es nicht sehr weit bis zu den
nächsten greifbaren Zeichen der Zeit, bis zu den südlichsten Dar-
danellenforts nämlich, von denen das einsam liegende "Sand-
schloß" (Kum-Kaleh) die asiatische Küste, das Fort Sedil-Bahr
aber die europäische Seite schützt. Der Reisende, der sich zu
Schiff vom Aegäischen Meere her der vielbegehrten und neuestens
wieder vielgenannten Meeresstraße nähert, sieht Anfangs nichts,
als unförmliche Erhöhungen und hin und wieder graues Mauer-
werk. Er würde kaum ahnen, daß nach mehrstündiger über-

1 Curtius, "Archäologische Zeitung", (1869), 110.

Anhang. Anatoliſche Fragmente.
fallenen Einfriedungen und den überwucherten Grabmonumenten.
Unter dieſer, ſo vielfach mit baulichen Fragmenten überſäeten
Erddecke vermuthete Schliemann die Reſte Ilions und nach lang-
wieriger aufreibender Arbeit legte er gewaltige Subſtructions-
mauern bloß, die er der Feſte Priamos zuſchrieb und ſomit jene
weitreichende Umwälzung in der trojaniſchen Topographie hervor-
rief, die noch immer unſere Helleniſten vollauf beſchäftigt. Mag
es damit nun wie immer beſtellt ſein, zweifellos bleibt es, daß
die Funde aus dem Innern dieſes Bodens, das höchſte cultur-
geſchichtliche Intereſſe beanſpruchen und für die ilienſiſche und
alt-helleniſche Kunſt- und Religionsgeſchichte von unberechenbarem
Werthe ſind 1 … Neben der Abgeſtorbenheit und Oede auf
Hiſſarlik iſt auch der Ausblick von hier keineswegs ein lohnender.
Das Meer iſt verdeckt durch die vorliegenden niederen Uferhöhen
und die waldigen Bergſtufen im obern Skamanderthal nicht zu
überblicken. Vollends abgeſchloſſen iſt das Bild gegen Süd-
weſten, über die Minaretſpitze von Bunarbaſchi hinweg, wo der
Bali-Dagh die Inſel Tenedos und die vor ihr liegenden Küſten-
Einfaſſungen der hiſtoriſch gewordenen Beſika-Bai maskirt. In
der Mittagshitze eines morgenländiſchen Sommertages kann ein
längerer Aufenthalt auf der Plateauhöhe von Hiſſarlik ſomit ſehr
unbehaglich werden, trotz der Nähe des Skamanders, der zwiſchen
Pappeln und Tamarisken dem nahen Meere zuſchlängelt. Man
ſollte indeß kaum glauben, daß dieſe friedliche Landſchaft irgendwie
geeignet ſein könnte, ein anderes, als blos hiſtoriſches oder cultur-
geſchichtliches Intereſſe zu beanſpruchen. Und dennoch iſt es ſo,
wie wir ſchon oben zu bemerken Gelegenheit fanden. Auch vom
trojaniſchen Gefilde weſtwärts iſt es nicht ſehr weit bis zu den
nächſten greifbaren Zeichen der Zeit, bis zu den ſüdlichſten Dar-
danellenforts nämlich, von denen das einſam liegende „Sand-
ſchloß“ (Kum-Kaleh) die aſiatiſche Küſte, das Fort Sedil-Bahr
aber die europäiſche Seite ſchützt. Der Reiſende, der ſich zu
Schiff vom Aegäiſchen Meere her der vielbegehrten und neueſtens
wieder vielgenannten Meeresſtraße nähert, ſieht Anfangs nichts,
als unförmliche Erhöhungen und hin und wieder graues Mauer-
werk. Er würde kaum ahnen, daß nach mehrſtündiger über-

1 Curtius, „Archäologiſche Zeitung“, (1869), 110.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0198" n="166"/><fw place="top" type="header">Anhang. Anatoli&#x017F;che Fragmente.</fw><lb/>
fallenen Einfriedungen und den überwucherten Grabmonumenten.<lb/>
Unter die&#x017F;er, &#x017F;o vielfach mit baulichen Fragmenten über&#x017F;äeten<lb/>
Erddecke vermuthete Schliemann die Re&#x017F;te Ilions und nach lang-<lb/>
wieriger aufreibender Arbeit legte er gewaltige Sub&#x017F;tructions-<lb/>
mauern bloß, die er der Fe&#x017F;te Priamos zu&#x017F;chrieb und &#x017F;omit jene<lb/>
weitreichende Umwälzung in der trojani&#x017F;chen Topographie hervor-<lb/>
rief, die noch immer un&#x017F;ere Helleni&#x017F;ten vollauf be&#x017F;chäftigt. Mag<lb/>
es damit nun wie immer be&#x017F;tellt &#x017F;ein, zweifellos bleibt es, daß<lb/>
die Funde aus dem Innern die&#x017F;es Bodens, das höch&#x017F;te cultur-<lb/>
ge&#x017F;chichtliche Intere&#x017F;&#x017F;e bean&#x017F;pruchen und für die ilien&#x017F;i&#x017F;che und<lb/>
alt-helleni&#x017F;che Kun&#x017F;t- und Religionsge&#x017F;chichte von unberechenbarem<lb/>
Werthe &#x017F;ind <note place="foot" n="1">Curtius, &#x201E;Archäologi&#x017F;che Zeitung&#x201C;, (1869), 110.</note> &#x2026; Neben der Abge&#x017F;torbenheit und Oede auf<lb/>
Hi&#x017F;&#x017F;arlik i&#x017F;t auch der Ausblick von hier keineswegs ein lohnender.<lb/>
Das Meer i&#x017F;t verdeckt durch die vorliegenden niederen Uferhöhen<lb/>
und die waldigen Berg&#x017F;tufen im obern Skamanderthal nicht zu<lb/>
überblicken. Vollends abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t das Bild gegen Süd-<lb/>
we&#x017F;ten, über die Minaret&#x017F;pitze von Bunarba&#x017F;chi hinweg, wo der<lb/>
Bali-Dagh die In&#x017F;el Tenedos und die vor ihr liegenden Kü&#x017F;ten-<lb/>
Einfa&#x017F;&#x017F;ungen der hi&#x017F;tori&#x017F;ch gewordenen Be&#x017F;ika-Bai maskirt. In<lb/>
der Mittagshitze eines morgenländi&#x017F;chen Sommertages kann ein<lb/>
längerer Aufenthalt auf der Plateauhöhe von Hi&#x017F;&#x017F;arlik &#x017F;omit &#x017F;ehr<lb/>
unbehaglich werden, trotz der Nähe des Skamanders, der zwi&#x017F;chen<lb/>
Pappeln und Tamarisken dem nahen Meere zu&#x017F;chlängelt. Man<lb/>
&#x017F;ollte indeß kaum glauben, daß die&#x017F;e friedliche Land&#x017F;chaft irgendwie<lb/>
geeignet &#x017F;ein könnte, ein anderes, als blos hi&#x017F;tori&#x017F;ches oder cultur-<lb/>
ge&#x017F;chichtliches Intere&#x017F;&#x017F;e zu bean&#x017F;pruchen. Und dennoch i&#x017F;t es &#x017F;o,<lb/>
wie wir &#x017F;chon oben zu bemerken Gelegenheit fanden. Auch vom<lb/>
trojani&#x017F;chen Gefilde we&#x017F;twärts i&#x017F;t es nicht &#x017F;ehr weit bis zu den<lb/>
näch&#x017F;ten greifbaren Zeichen der Zeit, bis zu den &#x017F;üdlich&#x017F;ten Dar-<lb/>
danellenforts nämlich, von denen das ein&#x017F;am liegende &#x201E;Sand-<lb/>
&#x017F;chloß&#x201C; (Kum-Kaleh) die a&#x017F;iati&#x017F;che Kü&#x017F;te, das Fort Sedil-Bahr<lb/>
aber die europäi&#x017F;che Seite &#x017F;chützt. Der Rei&#x017F;ende, der &#x017F;ich zu<lb/>
Schiff vom Aegäi&#x017F;chen Meere her der vielbegehrten und neue&#x017F;tens<lb/>
wieder vielgenannten Meeres&#x017F;traße nähert, &#x017F;ieht Anfangs nichts,<lb/>
als unförmliche Erhöhungen und hin und wieder graues Mauer-<lb/>
werk. Er würde kaum ahnen, daß nach mehr&#x017F;tündiger über-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[166/0198] Anhang. Anatoliſche Fragmente. fallenen Einfriedungen und den überwucherten Grabmonumenten. Unter dieſer, ſo vielfach mit baulichen Fragmenten überſäeten Erddecke vermuthete Schliemann die Reſte Ilions und nach lang- wieriger aufreibender Arbeit legte er gewaltige Subſtructions- mauern bloß, die er der Feſte Priamos zuſchrieb und ſomit jene weitreichende Umwälzung in der trojaniſchen Topographie hervor- rief, die noch immer unſere Helleniſten vollauf beſchäftigt. Mag es damit nun wie immer beſtellt ſein, zweifellos bleibt es, daß die Funde aus dem Innern dieſes Bodens, das höchſte cultur- geſchichtliche Intereſſe beanſpruchen und für die ilienſiſche und alt-helleniſche Kunſt- und Religionsgeſchichte von unberechenbarem Werthe ſind 1 … Neben der Abgeſtorbenheit und Oede auf Hiſſarlik iſt auch der Ausblick von hier keineswegs ein lohnender. Das Meer iſt verdeckt durch die vorliegenden niederen Uferhöhen und die waldigen Bergſtufen im obern Skamanderthal nicht zu überblicken. Vollends abgeſchloſſen iſt das Bild gegen Süd- weſten, über die Minaretſpitze von Bunarbaſchi hinweg, wo der Bali-Dagh die Inſel Tenedos und die vor ihr liegenden Küſten- Einfaſſungen der hiſtoriſch gewordenen Beſika-Bai maskirt. In der Mittagshitze eines morgenländiſchen Sommertages kann ein längerer Aufenthalt auf der Plateauhöhe von Hiſſarlik ſomit ſehr unbehaglich werden, trotz der Nähe des Skamanders, der zwiſchen Pappeln und Tamarisken dem nahen Meere zuſchlängelt. Man ſollte indeß kaum glauben, daß dieſe friedliche Landſchaft irgendwie geeignet ſein könnte, ein anderes, als blos hiſtoriſches oder cultur- geſchichtliches Intereſſe zu beanſpruchen. Und dennoch iſt es ſo, wie wir ſchon oben zu bemerken Gelegenheit fanden. Auch vom trojaniſchen Gefilde weſtwärts iſt es nicht ſehr weit bis zu den nächſten greifbaren Zeichen der Zeit, bis zu den ſüdlichſten Dar- danellenforts nämlich, von denen das einſam liegende „Sand- ſchloß“ (Kum-Kaleh) die aſiatiſche Küſte, das Fort Sedil-Bahr aber die europäiſche Seite ſchützt. Der Reiſende, der ſich zu Schiff vom Aegäiſchen Meere her der vielbegehrten und neueſtens wieder vielgenannten Meeresſtraße nähert, ſieht Anfangs nichts, als unförmliche Erhöhungen und hin und wieder graues Mauer- werk. Er würde kaum ahnen, daß nach mehrſtündiger über- 1 Curtius, „Archäologiſche Zeitung“, (1869), 110.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/198
Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/198>, abgerufen am 21.11.2024.