Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Smyrna. Wohnstätten ein Asyl nennen, so wunderbar friedlich muthet siean, aber neben dem Silberbande des Flüßchens erblicken wir die schwarze Spur eines -- modernen Schienenweges und das Pol- tern der Locomotive rüttelt uns nun auch hier unbarmherzig aus unseren classischen Träumereien auf, wie auf der athenien- sischen Akropole oder auf dem Kairenser Mokhattam. Es ist die Bahn, die von Smyrna nach Aidin, ins Thal des Mäander führt, die älteste auf vorder-asiatischem Boden, denn sie wurde bereits 1857 dem Verkehr übergeben, also kurz nachher, als die Eisenbahn-Aera in Indien inaugurirt ward 1. Ein schriller Pfiff verscheucht uns den Schatten Homers, und wir sehen wieder den silbernen Meles, die Cypressen und Olivenkronen, das schmucke Dörfchen Budscha und rechter Hand, also gegen Westen hin, die eigenthümlich geformten Doppel-Kuppen des Berges "due fratelli". Wesentlich anderer Natur ist das Bild im Norden und 1 Diese Bahn durchschneidet später das Thal des Kaystros und setzt
bei Ephesos über die Wasserscheide, um den Mäander hinauf bis Aidin weiter zu gehen. Dieselbe hat eine Länge von 821/4 englische Meilen und wurde von Engländern mit englischem Geld, und zwar dermaßen kost- spielig gebaut, daß das Unternehmen, trotz des beträchtlichen Verkehrs bisher nicht einmal noch die Zinsen zu decken vermochte. Die türkische Regierung, welche eine jährliche Minimal-Einnahme von 120,000 Pfd. Sterl. (6 % des Anlage-Capitals) garantirte, ist daher genöthigt, jährlich einen sehr bedeutenden Zuschuß, nämlich mehr als 92,000 Pfd. Sterl. zu leisten. (C. v. Scherzer, "Smyrna etc.", 85.) Smyrna. Wohnſtätten ein Aſyl nennen, ſo wunderbar friedlich muthet ſiean, aber neben dem Silberbande des Flüßchens erblicken wir die ſchwarze Spur eines — modernen Schienenweges und das Pol- tern der Locomotive rüttelt uns nun auch hier unbarmherzig aus unſeren claſſiſchen Träumereien auf, wie auf der athenien- ſiſchen Akropole oder auf dem Kairenſer Mokhattam. Es iſt die Bahn, die von Smyrna nach Aidin, ins Thal des Mäander führt, die älteſte auf vorder-aſiatiſchem Boden, denn ſie wurde bereits 1857 dem Verkehr übergeben, alſo kurz nachher, als die Eiſenbahn-Aera in Indien inaugurirt ward 1. Ein ſchriller Pfiff verſcheucht uns den Schatten Homers, und wir ſehen wieder den ſilbernen Meles, die Cypreſſen und Olivenkronen, das ſchmucke Dörfchen Budſcha und rechter Hand, alſo gegen Weſten hin, die eigenthümlich geformten Doppel-Kuppen des Berges „due fratelli“. Weſentlich anderer Natur iſt das Bild im Norden und 1 Dieſe Bahn durchſchneidet ſpäter das Thal des Kaystros und ſetzt
bei Epheſos über die Waſſerſcheide, um den Mäander hinauf bis Aidin weiter zu gehen. Dieſelbe hat eine Länge von 82¼ engliſche Meilen und wurde von Engländern mit engliſchem Geld, und zwar dermaßen koſt- ſpielig gebaut, daß das Unternehmen, trotz des beträchtlichen Verkehrs bisher nicht einmal noch die Zinſen zu decken vermochte. Die türkiſche Regierung, welche eine jährliche Minimal-Einnahme von 120,000 Pfd. Sterl. (6 % des Anlage-Capitals) garantirte, iſt daher genöthigt, jährlich einen ſehr bedeutenden Zuſchuß, nämlich mehr als 92,000 Pfd. Sterl. zu leiſten. (C. v. Scherzer, „Smyrna ꝛc.“, 85.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0201" n="169"/><fw place="top" type="header">Smyrna.</fw><lb/> Wohnſtätten ein Aſyl nennen, ſo wunderbar friedlich muthet ſie<lb/> an, aber neben dem Silberbande des Flüßchens erblicken wir die<lb/> ſchwarze Spur eines — modernen Schienenweges und das Pol-<lb/> tern der Locomotive rüttelt uns nun auch hier unbarmherzig<lb/> aus unſeren claſſiſchen Träumereien auf, wie auf der athenien-<lb/> ſiſchen Akropole oder auf dem Kairenſer Mokhattam. Es iſt die<lb/> Bahn, die von Smyrna nach Aidin, ins Thal des Mäander<lb/> führt, die älteſte auf vorder-aſiatiſchem Boden, denn ſie wurde<lb/> bereits 1857 dem Verkehr übergeben, alſo kurz nachher, als die<lb/> Eiſenbahn-Aera in Indien inaugurirt ward <note place="foot" n="1">Dieſe Bahn durchſchneidet ſpäter das Thal des Kaystros und ſetzt<lb/> bei Epheſos über die Waſſerſcheide, um den Mäander hinauf bis Aidin<lb/> weiter zu gehen. Dieſelbe hat eine Länge von 82¼ engliſche Meilen und<lb/> wurde von Engländern mit engliſchem Geld, und zwar dermaßen koſt-<lb/> ſpielig gebaut, daß das Unternehmen, trotz des beträchtlichen Verkehrs<lb/> bisher nicht einmal noch die Zinſen zu decken vermochte. Die türkiſche<lb/> Regierung, welche eine jährliche Minimal-Einnahme von 120,000 Pfd.<lb/> Sterl. (6 % des Anlage-Capitals) garantirte, iſt daher genöthigt, jährlich<lb/> einen ſehr bedeutenden Zuſchuß, nämlich mehr als 92,000 Pfd. Sterl. zu<lb/> leiſten. (C. v. Scherzer, „Smyrna ꝛc.“, 85.)</note>. Ein ſchriller Pfiff<lb/> verſcheucht uns den Schatten Homers, und wir ſehen wieder<lb/> den ſilbernen Meles, die Cypreſſen und Olivenkronen, das<lb/> ſchmucke Dörfchen Budſcha und rechter Hand, alſo gegen Weſten<lb/> hin, die eigenthümlich geformten Doppel-Kuppen des Berges<lb/><hi rendition="#aq">„due fratelli“.</hi></p><lb/> <p>Weſentlich anderer Natur iſt das Bild im Norden und<lb/> Weſten. Man braucht ſich ſozuſagen nur um ſeine eigene Achſe<lb/> zu drehen, um eine totale Veränderung des Geſichtskreiſes herbei-<lb/> zuführen. Es iſt der breite Golf, der ſich zu unſeren Füßen<lb/> dehnt, nicht ſo großartig, wie jener Neapels, zumal wegen ſeines<lb/> allenthalben öden Nordufers, aber immerhin mit ihm vergleich-<lb/> bar, zumal nach der Nordoſt-Seite hin, wo der höchſte Berg des<lb/> Smyrnaer Rayons, der Sipylos mit ſeinen Dörfern und Villen,<lb/> Waldparcellen und üppigen Gärten eine äußerſt belebte Geſtade-<lb/> zone im Hintergrunde abſchließt. Wie alſo gegen Oſten der<lb/> tiefblaue Golf mit ſeiner geradezu permanent vor Anker liegenden<lb/> Handels- und Kriegsflotte aller abendländiſchen Seemächte wohl-<lb/> thuend die abwechslungsreichen landſchaftlichen Linien unterbricht,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [169/0201]
Smyrna.
Wohnſtätten ein Aſyl nennen, ſo wunderbar friedlich muthet ſie
an, aber neben dem Silberbande des Flüßchens erblicken wir die
ſchwarze Spur eines — modernen Schienenweges und das Pol-
tern der Locomotive rüttelt uns nun auch hier unbarmherzig
aus unſeren claſſiſchen Träumereien auf, wie auf der athenien-
ſiſchen Akropole oder auf dem Kairenſer Mokhattam. Es iſt die
Bahn, die von Smyrna nach Aidin, ins Thal des Mäander
führt, die älteſte auf vorder-aſiatiſchem Boden, denn ſie wurde
bereits 1857 dem Verkehr übergeben, alſo kurz nachher, als die
Eiſenbahn-Aera in Indien inaugurirt ward 1. Ein ſchriller Pfiff
verſcheucht uns den Schatten Homers, und wir ſehen wieder
den ſilbernen Meles, die Cypreſſen und Olivenkronen, das
ſchmucke Dörfchen Budſcha und rechter Hand, alſo gegen Weſten
hin, die eigenthümlich geformten Doppel-Kuppen des Berges
„due fratelli“.
Weſentlich anderer Natur iſt das Bild im Norden und
Weſten. Man braucht ſich ſozuſagen nur um ſeine eigene Achſe
zu drehen, um eine totale Veränderung des Geſichtskreiſes herbei-
zuführen. Es iſt der breite Golf, der ſich zu unſeren Füßen
dehnt, nicht ſo großartig, wie jener Neapels, zumal wegen ſeines
allenthalben öden Nordufers, aber immerhin mit ihm vergleich-
bar, zumal nach der Nordoſt-Seite hin, wo der höchſte Berg des
Smyrnaer Rayons, der Sipylos mit ſeinen Dörfern und Villen,
Waldparcellen und üppigen Gärten eine äußerſt belebte Geſtade-
zone im Hintergrunde abſchließt. Wie alſo gegen Oſten der
tiefblaue Golf mit ſeiner geradezu permanent vor Anker liegenden
Handels- und Kriegsflotte aller abendländiſchen Seemächte wohl-
thuend die abwechslungsreichen landſchaftlichen Linien unterbricht,
1 Dieſe Bahn durchſchneidet ſpäter das Thal des Kaystros und ſetzt
bei Epheſos über die Waſſerſcheide, um den Mäander hinauf bis Aidin
weiter zu gehen. Dieſelbe hat eine Länge von 82¼ engliſche Meilen und
wurde von Engländern mit engliſchem Geld, und zwar dermaßen koſt-
ſpielig gebaut, daß das Unternehmen, trotz des beträchtlichen Verkehrs
bisher nicht einmal noch die Zinſen zu decken vermochte. Die türkiſche
Regierung, welche eine jährliche Minimal-Einnahme von 120,000 Pfd.
Sterl. (6 % des Anlage-Capitals) garantirte, iſt daher genöthigt, jährlich
einen ſehr bedeutenden Zuſchuß, nämlich mehr als 92,000 Pfd. Sterl. zu
leiſten. (C. v. Scherzer, „Smyrna ꝛc.“, 85.)
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