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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Anhang. Anatolische Fragmente.
so anziehend erscheint für das nimmersatte Auge das niedere Ge-
stade jenseit des Hafens. Es sind die Ruinen eines Klosters,
die zuerst in die Perspective treten, dann einzelne Bauten für den
Schiffsverkehr, dahinter, in großem Bogen um den Sipylos vor-
beiziehend, ein zweiter Schienenweg, jener von Smyrna nach
Manissa (Magnesia) und Sart (Sardes), und an den Berg-
abhängen, gleich leuchtenden Blüthen in einen bunten Teppich
gewoben, die Villen und Landhäuschen, einzelne Ortschaften und
Ruinen zwischen Gärten, in denen alle subtropischen Pflanzen
ihre Repräsentanten haben. Besonders reizend liegt die Partie
hinter Burnabat, dann das kleine Delta-Gebiet des Meles
zwischen Kalkar-Bunar und der bekannten von Malern vielfach
dargestellten "Karawanen-Brücke". Wir dürfen aber über diese
nebensächlichen Detailbilder der weiten Umgebung nicht auf die
Hauptsache, nämlich auf die Stadt selbst, einzugehen vergessen. Sie
liegt unmittelbar zu unseren Füßen, ja die Häuser des Türkenviertels
scheinen zu uns heraufklettern zu wollen, so sehr ballen sie sich
zu engen, dunstigen und beispiellos schmutzigen Quartieren in der
nächsten Nähe unseres Standpunktes zusammen. Schon ein Blick
von hier oben vermag uns über die großen Bevölkerungsgruppen
der Stadt und ihre Stadtviertel eine ziemlich genaue Orientirung
zu verschaffen.

Das bunte Chaos von baufälligen Holzhäusern, mit den
weitausladenden Altanen in unserer Nachbarschaft, die gegen den
Meles zu liegenden Friedhöfe mit den dunklen Cypressen, und
die stille Geschäftslosigkeit in allen zu überblickenden Gassen, das
kann nur das Türkenquartier sein. Und so ist es. Ueber die
zahlreichen Moscheen-Minarets hinweg trifft unser Blick den
nächsten größern, marcanter hervortretenden Stadt-Complex, in
welchem schon mehr Leben pulsirt, Frauen nicht mehr scheu und
ängstlich hinter mit Holzgeflecht versponnenen Fenstern in die
stille Landschaft hinausbrüten und Kinder weniger aufsichtslos
in den Straßen und Höfen herumlungern. Es sind die Quar-
tiere der Griechen, Armenier und Juden ... Die eigentliche
Pulsader Smyrnas ist aber das "Frankenquartier". Eine einzige,
scheinbar endlose Gasse schneidet es der Länge nach. Mit ihr
parallel zieht der Quai, zum Theile wohlgepflastert, anderntheils
entweder bloßer Schuttweg oder martervolle Pflasterstraße von

Anhang. Anatoliſche Fragmente.
ſo anziehend erſcheint für das nimmerſatte Auge das niedere Ge-
ſtade jenſeit des Hafens. Es ſind die Ruinen eines Kloſters,
die zuerſt in die Perſpective treten, dann einzelne Bauten für den
Schiffsverkehr, dahinter, in großem Bogen um den Sipylos vor-
beiziehend, ein zweiter Schienenweg, jener von Smyrna nach
Maniſſa (Magneſia) und Sart (Sardes), und an den Berg-
abhängen, gleich leuchtenden Blüthen in einen bunten Teppich
gewoben, die Villen und Landhäuschen, einzelne Ortſchaften und
Ruinen zwiſchen Gärten, in denen alle ſubtropiſchen Pflanzen
ihre Repräſentanten haben. Beſonders reizend liegt die Partie
hinter Burnabat, dann das kleine Delta-Gebiet des Meles
zwiſchen Kalkar-Bunar und der bekannten von Malern vielfach
dargeſtellten „Karawanen-Brücke“. Wir dürfen aber über dieſe
nebenſächlichen Detailbilder der weiten Umgebung nicht auf die
Hauptſache, nämlich auf die Stadt ſelbſt, einzugehen vergeſſen. Sie
liegt unmittelbar zu unſeren Füßen, ja die Häuſer des Türkenviertels
ſcheinen zu uns heraufklettern zu wollen, ſo ſehr ballen ſie ſich
zu engen, dunſtigen und beiſpiellos ſchmutzigen Quartieren in der
nächſten Nähe unſeres Standpunktes zuſammen. Schon ein Blick
von hier oben vermag uns über die großen Bevölkerungsgruppen
der Stadt und ihre Stadtviertel eine ziemlich genaue Orientirung
zu verſchaffen.

Das bunte Chaos von baufälligen Holzhäuſern, mit den
weitausladenden Altanen in unſerer Nachbarſchaft, die gegen den
Meles zu liegenden Friedhöfe mit den dunklen Cypreſſen, und
die ſtille Geſchäftsloſigkeit in allen zu überblickenden Gaſſen, das
kann nur das Türkenquartier ſein. Und ſo iſt es. Ueber die
zahlreichen Moſcheen-Minarets hinweg trifft unſer Blick den
nächſten größern, marcanter hervortretenden Stadt-Complex, in
welchem ſchon mehr Leben pulſirt, Frauen nicht mehr ſcheu und
ängſtlich hinter mit Holzgeflecht verſponnenen Fenſtern in die
ſtille Landſchaft hinausbrüten und Kinder weniger aufſichtslos
in den Straßen und Höfen herumlungern. Es ſind die Quar-
tiere der Griechen, Armenier und Juden … Die eigentliche
Pulsader Smyrnas iſt aber das „Frankenquartier“. Eine einzige,
ſcheinbar endloſe Gaſſe ſchneidet es der Länge nach. Mit ihr
parallel zieht der Quai, zum Theile wohlgepflaſtert, anderntheils
entweder bloßer Schuttweg oder martervolle Pflaſterſtraße von

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[170/0202] Anhang. Anatoliſche Fragmente. ſo anziehend erſcheint für das nimmerſatte Auge das niedere Ge- ſtade jenſeit des Hafens. Es ſind die Ruinen eines Kloſters, die zuerſt in die Perſpective treten, dann einzelne Bauten für den Schiffsverkehr, dahinter, in großem Bogen um den Sipylos vor- beiziehend, ein zweiter Schienenweg, jener von Smyrna nach Maniſſa (Magneſia) und Sart (Sardes), und an den Berg- abhängen, gleich leuchtenden Blüthen in einen bunten Teppich gewoben, die Villen und Landhäuschen, einzelne Ortſchaften und Ruinen zwiſchen Gärten, in denen alle ſubtropiſchen Pflanzen ihre Repräſentanten haben. Beſonders reizend liegt die Partie hinter Burnabat, dann das kleine Delta-Gebiet des Meles zwiſchen Kalkar-Bunar und der bekannten von Malern vielfach dargeſtellten „Karawanen-Brücke“. Wir dürfen aber über dieſe nebenſächlichen Detailbilder der weiten Umgebung nicht auf die Hauptſache, nämlich auf die Stadt ſelbſt, einzugehen vergeſſen. Sie liegt unmittelbar zu unſeren Füßen, ja die Häuſer des Türkenviertels ſcheinen zu uns heraufklettern zu wollen, ſo ſehr ballen ſie ſich zu engen, dunſtigen und beiſpiellos ſchmutzigen Quartieren in der nächſten Nähe unſeres Standpunktes zuſammen. Schon ein Blick von hier oben vermag uns über die großen Bevölkerungsgruppen der Stadt und ihre Stadtviertel eine ziemlich genaue Orientirung zu verſchaffen. Das bunte Chaos von baufälligen Holzhäuſern, mit den weitausladenden Altanen in unſerer Nachbarſchaft, die gegen den Meles zu liegenden Friedhöfe mit den dunklen Cypreſſen, und die ſtille Geſchäftsloſigkeit in allen zu überblickenden Gaſſen, das kann nur das Türkenquartier ſein. Und ſo iſt es. Ueber die zahlreichen Moſcheen-Minarets hinweg trifft unſer Blick den nächſten größern, marcanter hervortretenden Stadt-Complex, in welchem ſchon mehr Leben pulſirt, Frauen nicht mehr ſcheu und ängſtlich hinter mit Holzgeflecht verſponnenen Fenſtern in die ſtille Landſchaft hinausbrüten und Kinder weniger aufſichtslos in den Straßen und Höfen herumlungern. Es ſind die Quar- tiere der Griechen, Armenier und Juden … Die eigentliche Pulsader Smyrnas iſt aber das „Frankenquartier“. Eine einzige, ſcheinbar endloſe Gaſſe ſchneidet es der Länge nach. Mit ihr parallel zieht der Quai, zum Theile wohlgepflaſtert, anderntheils entweder bloßer Schuttweg oder martervolle Pflaſterſtraße von

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/202>, abgerufen am 21.11.2024.