Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Smyrna. wildesten des ganzen Reiches 1 -- dortselbst angerichtet haben,sollen nachträglich auf ein sehr bescheidenes Maß herabgedrückt worden sein 2. Diese Toleranz ist gewissermaßen historisch. Wie 1 Es sind die übelberüchtigten Zeibeks. Sie kommen aus den ent- legensten Schlupfwinkeln des Baba- und Khonas-Dagh, welche Gebirge mit ihren gigantischen Felszacken, Wänden und gewaltigen Terrassen, ein- same Thäler ohne alle Wohnstätten oder Cultur umklammern. Dorthin flüchten sich die Geächteten des Tieflandes (um Aidin), wenn sie die Steuerexecutoren erschlagen oder den officiellen Vertretern gründlich den Text gelesen haben. Die Hochpässe, welche sie umlauern, wie den Kazik- Belli-Paß im Khonasgebirge, wo jedes Ausweichen, jeder Fluchtversuch eine absolute Unmöglichkeit ist, werden nur selten von größeren Kara- wanen gekreuzt. Um so sicherer aber geht irgend ein officieller Reisender, ein Pascha, oder Kaimakam, oder Mutesacif seinem Verderben entgegen, wenn er die durch die Zeibeks verlegten Gebirgswege einschlägt. Auch in die imposanten, meist auf hohen Plateaux gelegenen antiken Ruinenstätten, wie in jenen von Laodicea (Denislü), Hierapolis (Pambuk-Baba) und Gair, haben sie sich eingenistet und mancher Europäer, den die pittoresken Felsterrassen mit ihrer vielfarbigen und vielformigen Gesteinsgestaltung zum näheren Besuche einluden, hat die wüsten Gesellen, noch ehe er die eigentlichen Ruinen-Territorien betrat, angetroffen ... Während des letzten Krieges vernahm man das erstemal wieder Umständliches von den Zeibeks. Sie präsentirten sich als hochgewachsene, äußerst muskulöse Ge- stalten, die Gesichter hart und wettergebräunt, der Blick herausfordernd und Unheil verkündend. Den Kopf umgibt ein riesiger Bund, bizarr überwuchert von jedem erdenklichen Tand, flatternden Franzen, Blech- guirlanden, Amulettenkram u. dgl. m.; die Brust eingeengt in ein hartes Lederwams, über das ein breiter Shawlgürtel gewickelt ist. Das Bein- kleid ist weniger faltig, als es in der Regel bei den Osmanlis zu sein pflegt, die Unterschenkel nackt, an den Füßen einfache Sandalen. Denkt man sich hiezu ein ganzes Arsenal von Waffen, die in dem hochaufge- bauschten Gürtel Platz finden, so hat man das vollendete Bild eines Zeibeks, der indeß, seinem ganzen Habitus nach, ebensosehr einen tune- sischen Feuerfresser oder einen Schlangenvertilger aus dem Pundschab dar- stellen könnte. Wild und unschön ist der Tanz der Zeibeks, mit den ge- zückten Jatagans, und ihr Gesang, rauhe Kehllaute, die dumpf hervor- gekeucht werden und schließlich in ein raubthierartiges Gebrülle ausarten. Wild und phantastisch ist jede Attitude, das eigenthümliche Schaukeln des Kopfes, um den ganzen flatternden Plunder am Turban in wirre Be- wegung zu versetzen. 2 Sie beschränkten sich darauf, die eisernen Gitterfenster der Häuser
im Christenquartier mit ihren Jatagans zu attakiren. Elf Verwundungen sind vorgekommen, doch waren die meisten ganz leicht. Wenn es der Inter- vention der Consuln auch gelang, sie erst entwaffnet und dann, rascher Smyrna. wildeſten des ganzen Reiches 1 — dortſelbſt angerichtet haben,ſollen nachträglich auf ein ſehr beſcheidenes Maß herabgedrückt worden ſein 2. Dieſe Toleranz iſt gewiſſermaßen hiſtoriſch. Wie 1 Es ſind die übelberüchtigten Zeibeks. Sie kommen aus den ent- legenſten Schlupfwinkeln des Baba- und Khonas-Dagh, welche Gebirge mit ihren gigantiſchen Felszacken, Wänden und gewaltigen Terraſſen, ein- ſame Thäler ohne alle Wohnſtätten oder Cultur umklammern. Dorthin flüchten ſich die Geächteten des Tieflandes (um Aidin), wenn ſie die Steuerexecutoren erſchlagen oder den officiellen Vertretern gründlich den Text geleſen haben. Die Hochpäſſe, welche ſie umlauern, wie den Kazik- Belli-Paß im Khonasgebirge, wo jedes Ausweichen, jeder Fluchtverſuch eine abſolute Unmöglichkeit iſt, werden nur ſelten von größeren Kara- wanen gekreuzt. Um ſo ſicherer aber geht irgend ein officieller Reiſender, ein Paſcha, oder Kaimakam, oder Muteſacif ſeinem Verderben entgegen, wenn er die durch die Zeibeks verlegten Gebirgswege einſchlägt. Auch in die impoſanten, meiſt auf hohen Plateaux gelegenen antiken Ruinenſtätten, wie in jenen von Laodicea (Denislü), Hierapolis (Pambuk-Baba) und Gair, haben ſie ſich eingeniſtet und mancher Europäer, den die pittoresken Felsterraſſen mit ihrer vielfarbigen und vielformigen Geſteinsgeſtaltung zum näheren Beſuche einluden, hat die wüſten Geſellen, noch ehe er die eigentlichen Ruinen-Territorien betrat, angetroffen … Während des letzten Krieges vernahm man das erſtemal wieder Umſtändliches von den Zeibeks. Sie präſentirten ſich als hochgewachſene, äußerſt muskulöſe Ge- ſtalten, die Geſichter hart und wettergebräunt, der Blick herausfordernd und Unheil verkündend. Den Kopf umgibt ein rieſiger Bund, bizarr überwuchert von jedem erdenklichen Tand, flatternden Franzen, Blech- guirlanden, Amulettenkram u. dgl. m.; die Bruſt eingeengt in ein hartes Lederwams, über das ein breiter Shawlgürtel gewickelt iſt. Das Bein- kleid iſt weniger faltig, als es in der Regel bei den Osmanlis zu ſein pflegt, die Unterſchenkel nackt, an den Füßen einfache Sandalen. Denkt man ſich hiezu ein ganzes Arſenal von Waffen, die in dem hochaufge- bauſchten Gürtel Platz finden, ſo hat man das vollendete Bild eines Zeibeks, der indeß, ſeinem ganzen Habitus nach, ebenſoſehr einen tune- ſiſchen Feuerfreſſer oder einen Schlangenvertilger aus dem Pundſchab dar- ſtellen könnte. Wild und unſchön iſt der Tanz der Zeibeks, mit den ge- zückten Jatagans, und ihr Geſang, rauhe Kehllaute, die dumpf hervor- gekeucht werden und ſchließlich in ein raubthierartiges Gebrülle ausarten. Wild und phantaſtiſch iſt jede Attitude, das eigenthümliche Schaukeln des Kopfes, um den ganzen flatternden Plunder am Turban in wirre Be- wegung zu verſetzen. 2 Sie beſchränkten ſich darauf, die eiſernen Gitterfenſter der Häuſer
im Chriſtenquartier mit ihren Jatagans zu attakiren. Elf Verwundungen ſind vorgekommen, doch waren die meiſten ganz leicht. Wenn es der Inter- vention der Conſuln auch gelang, ſie erſt entwaffnet und dann, raſcher <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0205" n="173"/><fw place="top" type="header">Smyrna.</fw><lb/> wildeſten des ganzen Reiches <note place="foot" n="1">Es ſind die übelberüchtigten Zeibeks. Sie kommen aus den ent-<lb/> legenſten Schlupfwinkeln des Baba- und Khonas-Dagh, welche Gebirge<lb/> mit ihren gigantiſchen Felszacken, Wänden und gewaltigen Terraſſen, ein-<lb/> ſame Thäler ohne alle Wohnſtätten oder Cultur umklammern. Dorthin<lb/> flüchten ſich die Geächteten des Tieflandes (um Aidin), wenn ſie die<lb/> Steuerexecutoren erſchlagen oder den officiellen Vertretern gründlich den<lb/> Text geleſen haben. Die Hochpäſſe, welche ſie umlauern, wie den Kazik-<lb/> Belli-Paß im Khonasgebirge, wo jedes Ausweichen, jeder Fluchtverſuch<lb/> eine abſolute Unmöglichkeit iſt, werden nur ſelten von größeren Kara-<lb/> wanen gekreuzt. Um ſo ſicherer aber geht irgend ein officieller Reiſender,<lb/> ein Paſcha, oder Kaimakam, oder Muteſacif ſeinem Verderben entgegen,<lb/> wenn er die durch die Zeibeks verlegten Gebirgswege einſchlägt. Auch in<lb/> die impoſanten, meiſt auf hohen Plateaux gelegenen antiken Ruinenſtätten,<lb/> wie in jenen von Laodicea (Denislü), Hierapolis (Pambuk-Baba) und<lb/> Gair, haben ſie ſich eingeniſtet und mancher Europäer, den die pittoresken<lb/> Felsterraſſen mit ihrer vielfarbigen und vielformigen Geſteinsgeſtaltung<lb/> zum näheren Beſuche einluden, hat die wüſten Geſellen, noch ehe er die<lb/> eigentlichen Ruinen-Territorien betrat, angetroffen … Während des<lb/> letzten Krieges vernahm man das erſtemal wieder Umſtändliches von den<lb/> Zeibeks. Sie präſentirten ſich als hochgewachſene, äußerſt muskulöſe Ge-<lb/> ſtalten, die Geſichter hart und wettergebräunt, der Blick herausfordernd<lb/> und Unheil verkündend. Den Kopf umgibt ein rieſiger Bund, bizarr<lb/> überwuchert von jedem erdenklichen Tand, flatternden Franzen, Blech-<lb/> guirlanden, Amulettenkram u. dgl. m.; die Bruſt eingeengt in ein hartes<lb/> Lederwams, über das ein breiter Shawlgürtel gewickelt iſt. Das Bein-<lb/> kleid iſt weniger faltig, als es in der Regel bei den Osmanlis zu ſein<lb/> pflegt, die Unterſchenkel nackt, an den Füßen einfache Sandalen. Denkt<lb/> man ſich hiezu ein ganzes Arſenal von Waffen, die in dem hochaufge-<lb/> bauſchten Gürtel Platz finden, ſo hat man das vollendete Bild eines<lb/> Zeibeks, der indeß, ſeinem ganzen Habitus nach, ebenſoſehr einen tune-<lb/> ſiſchen Feuerfreſſer oder einen Schlangenvertilger aus dem Pundſchab dar-<lb/> ſtellen könnte. Wild und unſchön iſt der Tanz der Zeibeks, mit den ge-<lb/> zückten Jatagans, und ihr Geſang, rauhe Kehllaute, die dumpf hervor-<lb/> gekeucht werden und ſchließlich in ein raubthierartiges Gebrülle ausarten.<lb/> Wild und phantaſtiſch iſt jede Attitude, das eigenthümliche Schaukeln des<lb/> Kopfes, um den ganzen flatternden Plunder am Turban in wirre Be-<lb/> wegung zu verſetzen.</note> — dortſelbſt angerichtet haben,<lb/> ſollen nachträglich auf ein ſehr beſcheidenes Maß herabgedrückt<lb/> worden ſein <note xml:id="seg2pn_19_1" next="#seg2pn_19_2" place="foot" n="2">Sie beſchränkten ſich darauf, die eiſernen Gitterfenſter der Häuſer<lb/> im Chriſtenquartier mit ihren Jatagans zu attakiren. Elf Verwundungen<lb/> ſind vorgekommen, doch waren die meiſten ganz leicht. Wenn es der Inter-<lb/> vention der Conſuln auch gelang, ſie erſt entwaffnet und dann, raſcher</note>. Dieſe Toleranz iſt gewiſſermaßen hiſtoriſch. Wie<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [173/0205]
Smyrna.
wildeſten des ganzen Reiches 1 — dortſelbſt angerichtet haben,
ſollen nachträglich auf ein ſehr beſcheidenes Maß herabgedrückt
worden ſein 2. Dieſe Toleranz iſt gewiſſermaßen hiſtoriſch. Wie
1 Es ſind die übelberüchtigten Zeibeks. Sie kommen aus den ent-
legenſten Schlupfwinkeln des Baba- und Khonas-Dagh, welche Gebirge
mit ihren gigantiſchen Felszacken, Wänden und gewaltigen Terraſſen, ein-
ſame Thäler ohne alle Wohnſtätten oder Cultur umklammern. Dorthin
flüchten ſich die Geächteten des Tieflandes (um Aidin), wenn ſie die
Steuerexecutoren erſchlagen oder den officiellen Vertretern gründlich den
Text geleſen haben. Die Hochpäſſe, welche ſie umlauern, wie den Kazik-
Belli-Paß im Khonasgebirge, wo jedes Ausweichen, jeder Fluchtverſuch
eine abſolute Unmöglichkeit iſt, werden nur ſelten von größeren Kara-
wanen gekreuzt. Um ſo ſicherer aber geht irgend ein officieller Reiſender,
ein Paſcha, oder Kaimakam, oder Muteſacif ſeinem Verderben entgegen,
wenn er die durch die Zeibeks verlegten Gebirgswege einſchlägt. Auch in
die impoſanten, meiſt auf hohen Plateaux gelegenen antiken Ruinenſtätten,
wie in jenen von Laodicea (Denislü), Hierapolis (Pambuk-Baba) und
Gair, haben ſie ſich eingeniſtet und mancher Europäer, den die pittoresken
Felsterraſſen mit ihrer vielfarbigen und vielformigen Geſteinsgeſtaltung
zum näheren Beſuche einluden, hat die wüſten Geſellen, noch ehe er die
eigentlichen Ruinen-Territorien betrat, angetroffen … Während des
letzten Krieges vernahm man das erſtemal wieder Umſtändliches von den
Zeibeks. Sie präſentirten ſich als hochgewachſene, äußerſt muskulöſe Ge-
ſtalten, die Geſichter hart und wettergebräunt, der Blick herausfordernd
und Unheil verkündend. Den Kopf umgibt ein rieſiger Bund, bizarr
überwuchert von jedem erdenklichen Tand, flatternden Franzen, Blech-
guirlanden, Amulettenkram u. dgl. m.; die Bruſt eingeengt in ein hartes
Lederwams, über das ein breiter Shawlgürtel gewickelt iſt. Das Bein-
kleid iſt weniger faltig, als es in der Regel bei den Osmanlis zu ſein
pflegt, die Unterſchenkel nackt, an den Füßen einfache Sandalen. Denkt
man ſich hiezu ein ganzes Arſenal von Waffen, die in dem hochaufge-
bauſchten Gürtel Platz finden, ſo hat man das vollendete Bild eines
Zeibeks, der indeß, ſeinem ganzen Habitus nach, ebenſoſehr einen tune-
ſiſchen Feuerfreſſer oder einen Schlangenvertilger aus dem Pundſchab dar-
ſtellen könnte. Wild und unſchön iſt der Tanz der Zeibeks, mit den ge-
zückten Jatagans, und ihr Geſang, rauhe Kehllaute, die dumpf hervor-
gekeucht werden und ſchließlich in ein raubthierartiges Gebrülle ausarten.
Wild und phantaſtiſch iſt jede Attitude, das eigenthümliche Schaukeln des
Kopfes, um den ganzen flatternden Plunder am Turban in wirre Be-
wegung zu verſetzen.
2 Sie beſchränkten ſich darauf, die eiſernen Gitterfenſter der Häuſer
im Chriſtenquartier mit ihren Jatagans zu attakiren. Elf Verwundungen
ſind vorgekommen, doch waren die meiſten ganz leicht. Wenn es der Inter-
vention der Conſuln auch gelang, ſie erſt entwaffnet und dann, raſcher
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