Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Anhang. Anatolische Fragmente. gleich die Gastfreundschaft sich hier gerne gut bezahlt macht unddem heiligen Zwecke des Besuches nicht ganz das erwünschte Verständniß entgegenbringt1. Das Innere der Grabmoschee wird derartig heilig gehalten, daß sich kein Ungläubiger nur in dessen Nähe wagen, geschweige in dasselbe eintreten darf2. Unter acht- eckiger Pyramidal-Bedachung des Grabraumes steht der reich- geschmückte Sarkophag, umgeben von einem silbernen Gitter und mäßig erhellt durch silberne Ampeln. Die Beschränktheit des Raumes ruft alsbald unter den Pilgern ein wüstes Lärmen und Drängen hervor, es regnet Flüche und Scheltworte, denen wohl auch mitunter veritable Prügel nachfolgen, alles in getreuester Copie zu jenen berüchtigten Auftritten in Mekka, denen übrigens, wenn wir aufrichtig sein wollen, auch die Balgereien in der Jerusalemer Grabkirche würdig an die Seite gestellt werden können3. Der Zelotismus treibt eben überall die gleichen schönen Blüthen, doch erscheint er im Oriente selbstverständlich bedeut- samer, da er ja die Massen beherrscht und durch die, nur spärlich platzgreifende Aufklärung nicht jenen wohlthuenden Regulator findet, wie im Abendlande. Dschelaleddins Heim hat heute für uns leider nur mehr 1 Wie zu Mekka, wo nach Schluß der Pilger-Feierlichkeiten die Mekkaner ihr Profitchen nachrechnen und bei geschlossenen Kaufläden ihren häuslichen Unterhaltungen nachgehen, wobei die verschiedenartigsten Er- zählungen, wie man die dummen Pilger geprellt hat, das Hauptthema des Gesprächsstoffes bilden (Vgl. Braun, "Gemälde etc.", 453.) 2 Sperling, "Ztschrft. für allg. Erdkunde" a. a. O. 3 Man denke nur an den frechen Betrug der armenischen und grie-
chischen Geistlichkeit, welche immer noch alljährlich aus einem Loch der Grabescapelle zu bestimmter Stunde die von ihrer gläubigen Heerde er- sehnte Wunderflamme hervorbrechen läßt, worauf in der Regel jene Schlägerei stattfindet, die erst durch das Dazwischenfahren der türkischen Ge- wehrkolben ihr Ende findet. Anhang. Anatoliſche Fragmente. gleich die Gaſtfreundſchaft ſich hier gerne gut bezahlt macht unddem heiligen Zwecke des Beſuches nicht ganz das erwünſchte Verſtändniß entgegenbringt1. Das Innere der Grabmoſchee wird derartig heilig gehalten, daß ſich kein Ungläubiger nur in deſſen Nähe wagen, geſchweige in daſſelbe eintreten darf2. Unter acht- eckiger Pyramidal-Bedachung des Grabraumes ſteht der reich- geſchmückte Sarkophag, umgeben von einem ſilbernen Gitter und mäßig erhellt durch ſilberne Ampeln. Die Beſchränktheit des Raumes ruft alsbald unter den Pilgern ein wüſtes Lärmen und Drängen hervor, es regnet Flüche und Scheltworte, denen wohl auch mitunter veritable Prügel nachfolgen, alles in getreueſter Copie zu jenen berüchtigten Auftritten in Mekka, denen übrigens, wenn wir aufrichtig ſein wollen, auch die Balgereien in der Jeruſalemer Grabkirche würdig an die Seite geſtellt werden können3. Der Zelotismus treibt eben überall die gleichen ſchönen Blüthen, doch erſcheint er im Oriente ſelbſtverſtändlich bedeut- ſamer, da er ja die Maſſen beherrſcht und durch die, nur ſpärlich platzgreifende Aufklärung nicht jenen wohlthuenden Regulator findet, wie im Abendlande. Dſchelaleddins Heim hat heute für uns leider nur mehr 1 Wie zu Mekka, wo nach Schluß der Pilger-Feierlichkeiten die Mekkaner ihr Profitchen nachrechnen und bei geſchloſſenen Kaufläden ihren häuslichen Unterhaltungen nachgehen, wobei die verſchiedenartigſten Er- zählungen, wie man die dummen Pilger geprellt hat, das Hauptthema des Geſprächsſtoffes bilden (Vgl. Braun, „Gemälde ꝛc.“, 453.) 2 Sperling, „Ztſchrft. für allg. Erdkunde“ a. a. O. 3 Man denke nur an den frechen Betrug der armeniſchen und grie-
chiſchen Geiſtlichkeit, welche immer noch alljährlich aus einem Loch der Grabescapelle zu beſtimmter Stunde die von ihrer gläubigen Heerde er- ſehnte Wunderflamme hervorbrechen läßt, worauf in der Regel jene Schlägerei ſtattfindet, die erſt durch das Dazwiſchenfahren der türkiſchen Ge- wehrkolben ihr Ende findet. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0214" n="182"/><fw place="top" type="header">Anhang. Anatoliſche Fragmente.</fw><lb/> gleich die Gaſtfreundſchaft ſich hier gerne gut bezahlt macht und<lb/> dem heiligen Zwecke des Beſuches nicht ganz das erwünſchte<lb/> Verſtändniß entgegenbringt<note place="foot" n="1">Wie zu Mekka, wo nach Schluß der Pilger-Feierlichkeiten die<lb/> Mekkaner ihr Profitchen nachrechnen und bei geſchloſſenen Kaufläden ihren<lb/> häuslichen Unterhaltungen nachgehen, wobei die verſchiedenartigſten Er-<lb/> zählungen, wie man die dummen Pilger geprellt hat, das Hauptthema<lb/> des Geſprächsſtoffes bilden (Vgl. Braun, „Gemälde ꝛc.“, 453.)</note>. Das Innere der Grabmoſchee wird<lb/> derartig heilig gehalten, daß ſich kein Ungläubiger nur in deſſen<lb/> Nähe wagen, geſchweige in daſſelbe eintreten darf<note place="foot" n="2">Sperling, „Ztſchrft. für allg. Erdkunde“ a. a. O.</note>. Unter acht-<lb/> eckiger Pyramidal-Bedachung des Grabraumes ſteht der reich-<lb/> geſchmückte Sarkophag, umgeben von einem ſilbernen Gitter und<lb/> mäßig erhellt durch ſilberne Ampeln. Die Beſchränktheit des<lb/> Raumes ruft alsbald unter den Pilgern ein wüſtes Lärmen und<lb/> Drängen hervor, es regnet Flüche und Scheltworte, denen wohl<lb/> auch mitunter veritable Prügel nachfolgen, alles in getreueſter<lb/> Copie zu jenen berüchtigten Auftritten in Mekka, denen übrigens,<lb/> wenn wir aufrichtig ſein wollen, auch die Balgereien in der<lb/> Jeruſalemer Grabkirche würdig an die Seite geſtellt werden<lb/> können<note place="foot" n="3">Man denke nur an den frechen Betrug der armeniſchen und grie-<lb/> chiſchen Geiſtlichkeit, welche immer noch alljährlich aus einem Loch der<lb/> Grabescapelle zu beſtimmter Stunde die von ihrer gläubigen Heerde er-<lb/> ſehnte Wunderflamme hervorbrechen läßt, worauf in der Regel jene<lb/> Schlägerei ſtattfindet, die erſt durch das Dazwiſchenfahren der türkiſchen Ge-<lb/> wehrkolben ihr Ende findet.</note>. Der Zelotismus treibt eben überall die gleichen ſchönen<lb/> Blüthen, doch erſcheint er im Oriente ſelbſtverſtändlich bedeut-<lb/> ſamer, da er ja die Maſſen beherrſcht und durch die, nur ſpärlich<lb/> platzgreifende Aufklärung nicht jenen wohlthuenden Regulator<lb/> findet, wie im Abendlande.</p><lb/> <p>Dſchelaleddins Heim hat heute für uns leider nur mehr<lb/> einen hiſtoriſchen Werth. Einſt war es anders, denn Konja war<lb/> ja die Reſidenz der kunſtliebenden Seldſchuken-Sultane, von<lb/> denen namentlich ihr letzter, Alaeddin Keikobad, ſein Andenken in<lb/> allerhand, nun freilich in Ruinen liegenden Bauten erhalten hat.<lb/> Der ganze Platz um Konja iſt heute ein ausgedehntes Ruinen-<lb/> Territorium. Allenthalben noch ſieht man die alten Stadt-<lb/> umwallungen, welche annähernd einen Maßſtab für die einſtige<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [182/0214]
Anhang. Anatoliſche Fragmente.
gleich die Gaſtfreundſchaft ſich hier gerne gut bezahlt macht und
dem heiligen Zwecke des Beſuches nicht ganz das erwünſchte
Verſtändniß entgegenbringt 1. Das Innere der Grabmoſchee wird
derartig heilig gehalten, daß ſich kein Ungläubiger nur in deſſen
Nähe wagen, geſchweige in daſſelbe eintreten darf 2. Unter acht-
eckiger Pyramidal-Bedachung des Grabraumes ſteht der reich-
geſchmückte Sarkophag, umgeben von einem ſilbernen Gitter und
mäßig erhellt durch ſilberne Ampeln. Die Beſchränktheit des
Raumes ruft alsbald unter den Pilgern ein wüſtes Lärmen und
Drängen hervor, es regnet Flüche und Scheltworte, denen wohl
auch mitunter veritable Prügel nachfolgen, alles in getreueſter
Copie zu jenen berüchtigten Auftritten in Mekka, denen übrigens,
wenn wir aufrichtig ſein wollen, auch die Balgereien in der
Jeruſalemer Grabkirche würdig an die Seite geſtellt werden
können 3. Der Zelotismus treibt eben überall die gleichen ſchönen
Blüthen, doch erſcheint er im Oriente ſelbſtverſtändlich bedeut-
ſamer, da er ja die Maſſen beherrſcht und durch die, nur ſpärlich
platzgreifende Aufklärung nicht jenen wohlthuenden Regulator
findet, wie im Abendlande.
Dſchelaleddins Heim hat heute für uns leider nur mehr
einen hiſtoriſchen Werth. Einſt war es anders, denn Konja war
ja die Reſidenz der kunſtliebenden Seldſchuken-Sultane, von
denen namentlich ihr letzter, Alaeddin Keikobad, ſein Andenken in
allerhand, nun freilich in Ruinen liegenden Bauten erhalten hat.
Der ganze Platz um Konja iſt heute ein ausgedehntes Ruinen-
Territorium. Allenthalben noch ſieht man die alten Stadt-
umwallungen, welche annähernd einen Maßſtab für die einſtige
1 Wie zu Mekka, wo nach Schluß der Pilger-Feierlichkeiten die
Mekkaner ihr Profitchen nachrechnen und bei geſchloſſenen Kaufläden ihren
häuslichen Unterhaltungen nachgehen, wobei die verſchiedenartigſten Er-
zählungen, wie man die dummen Pilger geprellt hat, das Hauptthema
des Geſprächsſtoffes bilden (Vgl. Braun, „Gemälde ꝛc.“, 453.)
2 Sperling, „Ztſchrft. für allg. Erdkunde“ a. a. O.
3 Man denke nur an den frechen Betrug der armeniſchen und grie-
chiſchen Geiſtlichkeit, welche immer noch alljährlich aus einem Loch der
Grabescapelle zu beſtimmter Stunde die von ihrer gläubigen Heerde er-
ſehnte Wunderflamme hervorbrechen läßt, worauf in der Regel jene
Schlägerei ſtattfindet, die erſt durch das Dazwiſchenfahren der türkiſchen Ge-
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