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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Anhang. Anatolische Fragmente.
selben ziemlich energisch verfolgt, aber weniger um dem Befehle
des Sultans nachzukommen, sondern vielmehr zur Befriedigung
persönlicher Rachegelüste. Wer sich irgend einer unliebsamen
Persönlichkeit entledigen wollte, denuncirte sie entsprechenden Orts
als Mitglied des aufgehobenen Ordens, worauf sofort die Ver-
bannung des Denuncirten oder gar seine Hinrichtung stattfand,
ohne viel nachzuforschen, ob er auch der Anklage schuldig sei.
Derartige nichtswürdige Mittel wurden bekanntlich sogar noch
unter Mahmud Neddims erster Großvezierats-Epoche in Anwen-
dung gebracht, also vor wenigen Jahren erst ...

Mit diesen wenig erbaulichen Erinnerungen an den hochge-
haltenen aber vollkommen verwahrlosten Wallfahrtsort Hadschi
Begtasch lenken wir unsere Schritte nordwärts über das nahe
Plateau von Bozuk. Es ist ein öder, weitläufiger Tummelplatz
kurdischer Nomaden. Alle jene Stämme, welche das kurdische
Mutterland ausgestoßen1, die eigentlichen ziellosen Wanderhorden,
suchen es jahrein und jahraus heim und von ihren wilden In-
stincten, die sich namentlich in der Mißachtung fremden Eigen-
thums ausprägen, haben die Bewohner, ob nun Christ oder
Moslim, in gleichem Maße zu leiden. Auch hier war es in
früheren Zeiten anders, als noch die einheimischen Feudalherren
das Land verwalteten und unter dem milden Regimente eines

1 Wie das arabische Mutterland Nedschd, dessen nordwärts abgedrängte
und ausgeschiedenen unedlen Stämme heute zu den berüchtigtsten Wege-
lagerern und Wüstenräubern zwischen Syrien und Eufrat zählen. Aus
der Einfachheit und Magerkeit ihres Lebens auf Reinheit der Sitten zu
schließen, wäre ein unverzeihlicher Irrthum. Sie leben statt in Vielweiberei,
so ziemlich in Weibergemeinschaft, und gestehen selbst: "Hunde sind besser,
als wir." Auch wäre es eine große Täuschung, die Eigenschaften, welche
sie an ihren Wüstenidealen (Antar, der Tapfere, Hatim, der Gastfreund-
liche und Laila, die Liebreizende) preisen, bei ihnen selbst vorauszusetzen.
Der Gast, gegen welchen man im eigenen Zelt für die Nacht alle Pflichten
der Gastfreundschaft erfüllt hat, kann am Morgen, einige Stunden weiter-
hin, von seinem Wirth geplündert werden. Beduinische Tapferkeit ist so
zweifelhaft, wie die eines Raubthieres. (Nach Palgrave, "A years jour-
ney thr. Central- and Eastern-Arabia",
und Burton, "Pilgrimage etc.",
bei Braun, a. a. O., 190.) Episoden, wie das Auftauchen der Kurden-
Amazone "Fatma" im letzten Kriege, zählen auch in Kurdistan heute wohl
nur mehr zu den Seltenheiten. Im Uebrigen sind die kurdischen Strauch-
ritter nur nach dem Maße ihrer arabischen Doppelgänger zu messen.

Anhang. Anatoliſche Fragmente.
ſelben ziemlich energiſch verfolgt, aber weniger um dem Befehle
des Sultans nachzukommen, ſondern vielmehr zur Befriedigung
perſönlicher Rachegelüſte. Wer ſich irgend einer unliebſamen
Perſönlichkeit entledigen wollte, denuncirte ſie entſprechenden Orts
als Mitglied des aufgehobenen Ordens, worauf ſofort die Ver-
bannung des Denuncirten oder gar ſeine Hinrichtung ſtattfand,
ohne viel nachzuforſchen, ob er auch der Anklage ſchuldig ſei.
Derartige nichtswürdige Mittel wurden bekanntlich ſogar noch
unter Mahmud Neddims erſter Großvezierats-Epoche in Anwen-
dung gebracht, alſo vor wenigen Jahren erſt …

Mit dieſen wenig erbaulichen Erinnerungen an den hochge-
haltenen aber vollkommen verwahrloſten Wallfahrtsort Hadſchi
Begtaſch lenken wir unſere Schritte nordwärts über das nahe
Plateau von Bozuk. Es iſt ein öder, weitläufiger Tummelplatz
kurdiſcher Nomaden. Alle jene Stämme, welche das kurdiſche
Mutterland ausgeſtoßen1, die eigentlichen zielloſen Wanderhorden,
ſuchen es jahrein und jahraus heim und von ihren wilden In-
ſtincten, die ſich namentlich in der Mißachtung fremden Eigen-
thums ausprägen, haben die Bewohner, ob nun Chriſt oder
Moslim, in gleichem Maße zu leiden. Auch hier war es in
früheren Zeiten anders, als noch die einheimiſchen Feudalherren
das Land verwalteten und unter dem milden Regimente eines

1 Wie das arabiſche Mutterland Nedſchd, deſſen nordwärts abgedrängte
und ausgeſchiedenen unedlen Stämme heute zu den berüchtigtſten Wege-
lagerern und Wüſtenräubern zwiſchen Syrien und Eufrat zählen. Aus
der Einfachheit und Magerkeit ihres Lebens auf Reinheit der Sitten zu
ſchließen, wäre ein unverzeihlicher Irrthum. Sie leben ſtatt in Vielweiberei,
ſo ziemlich in Weibergemeinſchaft, und geſtehen ſelbſt: „Hunde ſind beſſer,
als wir.“ Auch wäre es eine große Täuſchung, die Eigenſchaften, welche
ſie an ihren Wüſtenidealen (Antar, der Tapfere, Hatim, der Gaſtfreund-
liche und Laila, die Liebreizende) preiſen, bei ihnen ſelbſt vorauszuſetzen.
Der Gaſt, gegen welchen man im eigenen Zelt für die Nacht alle Pflichten
der Gaſtfreundſchaft erfüllt hat, kann am Morgen, einige Stunden weiter-
hin, von ſeinem Wirth geplündert werden. Beduiniſche Tapferkeit iſt ſo
zweifelhaft, wie die eines Raubthieres. (Nach Palgrave, „A years jour-
ney thr. Central- and Eastern-Arabia“,
und Burton, „Pilgrimage etc.“,
bei Braun, a. a. O., 190.) Epiſoden, wie das Auftauchen der Kurden-
Amazone „Fatma“ im letzten Kriege, zählen auch in Kurdiſtan heute wohl
nur mehr zu den Seltenheiten. Im Uebrigen ſind die kurdiſchen Strauch-
ritter nur nach dem Maße ihrer arabiſchen Doppelgänger zu meſſen.
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[188/0220] Anhang. Anatoliſche Fragmente. ſelben ziemlich energiſch verfolgt, aber weniger um dem Befehle des Sultans nachzukommen, ſondern vielmehr zur Befriedigung perſönlicher Rachegelüſte. Wer ſich irgend einer unliebſamen Perſönlichkeit entledigen wollte, denuncirte ſie entſprechenden Orts als Mitglied des aufgehobenen Ordens, worauf ſofort die Ver- bannung des Denuncirten oder gar ſeine Hinrichtung ſtattfand, ohne viel nachzuforſchen, ob er auch der Anklage ſchuldig ſei. Derartige nichtswürdige Mittel wurden bekanntlich ſogar noch unter Mahmud Neddims erſter Großvezierats-Epoche in Anwen- dung gebracht, alſo vor wenigen Jahren erſt … Mit dieſen wenig erbaulichen Erinnerungen an den hochge- haltenen aber vollkommen verwahrloſten Wallfahrtsort Hadſchi Begtaſch lenken wir unſere Schritte nordwärts über das nahe Plateau von Bozuk. Es iſt ein öder, weitläufiger Tummelplatz kurdiſcher Nomaden. Alle jene Stämme, welche das kurdiſche Mutterland ausgeſtoßen 1, die eigentlichen zielloſen Wanderhorden, ſuchen es jahrein und jahraus heim und von ihren wilden In- ſtincten, die ſich namentlich in der Mißachtung fremden Eigen- thums ausprägen, haben die Bewohner, ob nun Chriſt oder Moslim, in gleichem Maße zu leiden. Auch hier war es in früheren Zeiten anders, als noch die einheimiſchen Feudalherren das Land verwalteten und unter dem milden Regimente eines 1 Wie das arabiſche Mutterland Nedſchd, deſſen nordwärts abgedrängte und ausgeſchiedenen unedlen Stämme heute zu den berüchtigtſten Wege- lagerern und Wüſtenräubern zwiſchen Syrien und Eufrat zählen. Aus der Einfachheit und Magerkeit ihres Lebens auf Reinheit der Sitten zu ſchließen, wäre ein unverzeihlicher Irrthum. Sie leben ſtatt in Vielweiberei, ſo ziemlich in Weibergemeinſchaft, und geſtehen ſelbſt: „Hunde ſind beſſer, als wir.“ Auch wäre es eine große Täuſchung, die Eigenſchaften, welche ſie an ihren Wüſtenidealen (Antar, der Tapfere, Hatim, der Gaſtfreund- liche und Laila, die Liebreizende) preiſen, bei ihnen ſelbſt vorauszuſetzen. Der Gaſt, gegen welchen man im eigenen Zelt für die Nacht alle Pflichten der Gaſtfreundſchaft erfüllt hat, kann am Morgen, einige Stunden weiter- hin, von ſeinem Wirth geplündert werden. Beduiniſche Tapferkeit iſt ſo zweifelhaft, wie die eines Raubthieres. (Nach Palgrave, „A years jour- ney thr. Central- and Eastern-Arabia“, und Burton, „Pilgrimage etc.“, bei Braun, a. a. O., 190.) Epiſoden, wie das Auftauchen der Kurden- Amazone „Fatma“ im letzten Kriege, zählen auch in Kurdiſtan heute wohl nur mehr zu den Seltenheiten. Im Uebrigen ſind die kurdiſchen Strauch- ritter nur nach dem Maße ihrer arabiſchen Doppelgänger zu meſſen.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/220>, abgerufen am 21.11.2024.