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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Hadschi-Begtasch.
die Geschichte des Türkenthums genommen1. Bei diesem erhe-
benden, tausend Gedanken über die vielartigen Völkerschicksale
hervorrufenden Anblicke schrumpft jener des nordwärts gelegenen
Districtes von Begtasch in seine ganze moderne türkische Jämmer-
lichkeit zusammen.

In einer Mulde des weiten Hochfeldes liegt das Dorf,
welches den größten Nationalheiligen der Türken hervorgebracht
hat, und in welchem er unter baufälligem Kuppeldache schlummert2.
Der fromme Begtasch hatte bekanntlich unter Orchans Regierung,
dem zweiten Osmaniden, den Impuls zur Gründung der Jani-
tscharen gegeben, wozu geraubte Christenknaben das Material
liefern mußten. Er war aber gleichzeitig der Begründer des
gleichnamigen Derwisch-Ordens, der späterhin, wie die Jani-
tscharen selbst, eine ungeheuer Präponderanz im Reiche gewann
und dessen Macht gleichzeitig mit der Vernichtung der türkischen
Prätorianer unter Sultan Mahmud II. (1826) auf immer ge-
brochen wurde. So glaubte man wenigstens zu Stambul, aber
während die Janitscharen bis auf Wenige thatsächlich vernichtet
wurden, bestanden und -- bestehen die Begtaschis im Geheimen
fort, denn wie früher, so ist auch heute noch jeder Türke, dem
es beliebt, Begtaschi, wie bei uns Jedermann Freimaurer sein
kann. Es mag als bezeichnend gelten, daß der Großvezier Seida,
dem Sultan Mahmud den Auftrag zur Verfolgung der Begtaschis
und Schließung ihrer Ordenshäuser gegeben, -- selbst ein Mit-
glied des Ordens war. Gleichwohl wurden die Angehörigen des-

1 J. Braun, "Gemälde etc.", c. XIX, 366.
2 Dieser für heilig gehaltene Ort gibt durch seinen Schmutz, die Armuth
seiner Bewohner und seinen gänzlichen Verfall zu der Bemerkung Gelegen-
heit, daß nicht der gewöhnliche gouvernementale Druck und die Steuer-
Vexationen einzig und allein die Hauptursache an dem grenzenlosen Zer-
falle alles Bestehenden im Osmanenreiche sein können. Dem Heiligthume
verdanken die Bewohner von Begtasch, daß sie keine Taxen an die Regie-
rung abzugeben brauchen und daß ein großer Theil des Erlöses aus den
Salzgruben von Tuzköj ihnen zufällt. Ungeachtet dieser Einkünfte zerfällt
das Grabmal des Patrons mehr und mehr, da seine Anbeter, stolz au
den Glanz desselben, lieber im Schatten der Bäume lagern und ihren
Tabak in Unthätigkeit schmauchen, anstatt sich einer einträglichen Arbeit
hinzugeben. (Vgl. Ritter, a. a. O. -- Otter, "Voy. II, etc.")

Hadſchi-Begtaſch.
die Geſchichte des Türkenthums genommen1. Bei dieſem erhe-
benden, tauſend Gedanken über die vielartigen Völkerſchickſale
hervorrufenden Anblicke ſchrumpft jener des nordwärts gelegenen
Diſtrictes von Begtaſch in ſeine ganze moderne türkiſche Jämmer-
lichkeit zuſammen.

In einer Mulde des weiten Hochfeldes liegt das Dorf,
welches den größten Nationalheiligen der Türken hervorgebracht
hat, und in welchem er unter baufälligem Kuppeldache ſchlummert2.
Der fromme Begtaſch hatte bekanntlich unter Orchans Regierung,
dem zweiten Osmaniden, den Impuls zur Gründung der Jani-
tſcharen gegeben, wozu geraubte Chriſtenknaben das Material
liefern mußten. Er war aber gleichzeitig der Begründer des
gleichnamigen Derwiſch-Ordens, der ſpäterhin, wie die Jani-
tſcharen ſelbſt, eine ungeheuer Präponderanz im Reiche gewann
und deſſen Macht gleichzeitig mit der Vernichtung der türkiſchen
Prätorianer unter Sultan Mahmud II. (1826) auf immer ge-
brochen wurde. So glaubte man wenigſtens zu Stambul, aber
während die Janitſcharen bis auf Wenige thatſächlich vernichtet
wurden, beſtanden und — beſtehen die Begtaſchis im Geheimen
fort, denn wie früher, ſo iſt auch heute noch jeder Türke, dem
es beliebt, Begtaſchi, wie bei uns Jedermann Freimaurer ſein
kann. Es mag als bezeichnend gelten, daß der Großvezier Seida,
dem Sultan Mahmud den Auftrag zur Verfolgung der Begtaſchis
und Schließung ihrer Ordenshäuſer gegeben, — ſelbſt ein Mit-
glied des Ordens war. Gleichwohl wurden die Angehörigen des-

1 J. Braun, „Gemälde ꝛc.“, c. XIX, 366.
2 Dieſer für heilig gehaltene Ort gibt durch ſeinen Schmutz, die Armuth
ſeiner Bewohner und ſeinen gänzlichen Verfall zu der Bemerkung Gelegen-
heit, daß nicht der gewöhnliche gouvernementale Druck und die Steuer-
Vexationen einzig und allein die Haupturſache an dem grenzenloſen Zer-
falle alles Beſtehenden im Osmanenreiche ſein können. Dem Heiligthume
verdanken die Bewohner von Begtaſch, daß ſie keine Taxen an die Regie-
rung abzugeben brauchen und daß ein großer Theil des Erlöſes aus den
Salzgruben von Tuzköj ihnen zufällt. Ungeachtet dieſer Einkünfte zerfällt
das Grabmal des Patrons mehr und mehr, da ſeine Anbeter, ſtolz au
den Glanz deſſelben, lieber im Schatten der Bäume lagern und ihren
Tabak in Unthätigkeit ſchmauchen, anſtatt ſich einer einträglichen Arbeit
hinzugeben. (Vgl. Ritter, a. a. O. — Otter, „Voy. II, etc.“)
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[187/0219] Hadſchi-Begtaſch. die Geſchichte des Türkenthums genommen 1. Bei dieſem erhe- benden, tauſend Gedanken über die vielartigen Völkerſchickſale hervorrufenden Anblicke ſchrumpft jener des nordwärts gelegenen Diſtrictes von Begtaſch in ſeine ganze moderne türkiſche Jämmer- lichkeit zuſammen. In einer Mulde des weiten Hochfeldes liegt das Dorf, welches den größten Nationalheiligen der Türken hervorgebracht hat, und in welchem er unter baufälligem Kuppeldache ſchlummert 2. Der fromme Begtaſch hatte bekanntlich unter Orchans Regierung, dem zweiten Osmaniden, den Impuls zur Gründung der Jani- tſcharen gegeben, wozu geraubte Chriſtenknaben das Material liefern mußten. Er war aber gleichzeitig der Begründer des gleichnamigen Derwiſch-Ordens, der ſpäterhin, wie die Jani- tſcharen ſelbſt, eine ungeheuer Präponderanz im Reiche gewann und deſſen Macht gleichzeitig mit der Vernichtung der türkiſchen Prätorianer unter Sultan Mahmud II. (1826) auf immer ge- brochen wurde. So glaubte man wenigſtens zu Stambul, aber während die Janitſcharen bis auf Wenige thatſächlich vernichtet wurden, beſtanden und — beſtehen die Begtaſchis im Geheimen fort, denn wie früher, ſo iſt auch heute noch jeder Türke, dem es beliebt, Begtaſchi, wie bei uns Jedermann Freimaurer ſein kann. Es mag als bezeichnend gelten, daß der Großvezier Seida, dem Sultan Mahmud den Auftrag zur Verfolgung der Begtaſchis und Schließung ihrer Ordenshäuſer gegeben, — ſelbſt ein Mit- glied des Ordens war. Gleichwohl wurden die Angehörigen des- 1 J. Braun, „Gemälde ꝛc.“, c. XIX, 366. 2 Dieſer für heilig gehaltene Ort gibt durch ſeinen Schmutz, die Armuth ſeiner Bewohner und ſeinen gänzlichen Verfall zu der Bemerkung Gelegen- heit, daß nicht der gewöhnliche gouvernementale Druck und die Steuer- Vexationen einzig und allein die Haupturſache an dem grenzenloſen Zer- falle alles Beſtehenden im Osmanenreiche ſein können. Dem Heiligthume verdanken die Bewohner von Begtaſch, daß ſie keine Taxen an die Regie- rung abzugeben brauchen und daß ein großer Theil des Erlöſes aus den Salzgruben von Tuzköj ihnen zufällt. Ungeachtet dieſer Einkünfte zerfällt das Grabmal des Patrons mehr und mehr, da ſeine Anbeter, ſtolz au den Glanz deſſelben, lieber im Schatten der Bäume lagern und ihren Tabak in Unthätigkeit ſchmauchen, anſtatt ſich einer einträglichen Arbeit hinzugeben. (Vgl. Ritter, a. a. O. — Otter, „Voy. II, etc.“)

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/219>, abgerufen am 21.11.2024.