Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Amasia. bezwang und zu seinem Gefangenen machte1. In einem großenKäfig verwahrt mußte es der stolze Beherrscher aller Gläubigen und Sieger über die vereinigten fränkischen Heere bei Nikopoli erleben, wie man ihn vor Amasia brachte und unter seinen Augen die ungeheuerlichsten Grausamkeiten beging. Als sich Amasia nämlich durch mehrere Monate hielt, ließ er alles Landvolk, ob Christ oder Türke, zusammenfangen und es in die Cisternen des Ferhadberges werfen; in dem nahen Siwas aber, wo die ge- ängstete Bevölkerung dem Weltstürmer einige Tausend Kinder mit aufgeschlagenen Koran-Exemplaren auf den unschuldigen Köpfen entgegensendete, ließ Temur die heiligen Bücher in aller Ehrfurcht von den entblößten Häuptern der Kleinen entfernen, diese selbst aber, als angebliche Frucht der Sünde, des Ehebruchs und der Blutschande, von seiner Cavallerie in den Boden stampfen2 Dem gefangenen Sultan aber brach ob solcher Gräuel das Herz und er verschied, anstatt auf dem Throne Osmans, in seinem -- eisernen Käfig ... In der Umgebung von Amasia siedelten aber damals auch zahlreiche Mongolenstämme, es heißt bei fünfzig unabhängige Horden, die seit Hulagus Zeiten zurückgeblieben waren. Sie ließ Temur, aus Rache für die Unbezwingbarkeit der Stadt in die Gefangenschaft fortschleppen, um sie später östlich des Caspi-Meeres anzusiedeln3. Alle diese Ereignisse haben dem uralten Trutzbau von Amasia 1 Zwar nahm der Sieger den staub- und blutbedeckten Gefangenen mit Ehrerbietung auf, konnte aber doch nicht umhin zu lachen. "Warum?" fragte Bajazid. "Weil Gott die Herrschaft der Welt einem Lahmen, wie ich, und einem Gichtbrüchigen, wie du, anvertraut hat; es scheint, daß er nicht viel Werth auf diese seine Welt setzt." Nach Jouannin, "Turquie", bei Braun, a. a. O. 376.) Gleichwohl sahen die Hoftheologen diesen "Lahmen" stets von überirdischer Gloriole umflossen, die sich in Form eines Regen- bogens vom Prophetengrabe zu Medina bis zum Haupte des Weltbe- zwingers spannte. (Nach d'Ohsson, I, 204, bei Braun, ebd.) 2 Braun, "Gemälde", 376. 3 Hammer-Purgstall, "Gesch. d. osm. Reiches", I, 229 u. ff. 13*
Amaſia. bezwang und zu ſeinem Gefangenen machte1. In einem großenKäfig verwahrt mußte es der ſtolze Beherrſcher aller Gläubigen und Sieger über die vereinigten fränkiſchen Heere bei Nikopoli erleben, wie man ihn vor Amaſia brachte und unter ſeinen Augen die ungeheuerlichſten Grauſamkeiten beging. Als ſich Amaſia nämlich durch mehrere Monate hielt, ließ er alles Landvolk, ob Chriſt oder Türke, zuſammenfangen und es in die Ciſternen des Ferhadberges werfen; in dem nahen Siwas aber, wo die ge- ängſtete Bevölkerung dem Weltſtürmer einige Tauſend Kinder mit aufgeſchlagenen Koran-Exemplaren auf den unſchuldigen Köpfen entgegenſendete, ließ Temur die heiligen Bücher in aller Ehrfurcht von den entblößten Häuptern der Kleinen entfernen, dieſe ſelbſt aber, als angebliche Frucht der Sünde, des Ehebruchs und der Blutſchande, von ſeiner Cavallerie in den Boden ſtampfen2 Dem gefangenen Sultan aber brach ob ſolcher Gräuel das Herz und er verſchied, anſtatt auf dem Throne Osmans, in ſeinem — eiſernen Käfig … In der Umgebung von Amaſia ſiedelten aber damals auch zahlreiche Mongolenſtämme, es heißt bei fünfzig unabhängige Horden, die ſeit Hulagus Zeiten zurückgeblieben waren. Sie ließ Temur, aus Rache für die Unbezwingbarkeit der Stadt in die Gefangenſchaft fortſchleppen, um ſie ſpäter öſtlich des Caspi-Meeres anzuſiedeln3. Alle dieſe Ereigniſſe haben dem uralten Trutzbau von Amaſia 1 Zwar nahm der Sieger den ſtaub- und blutbedeckten Gefangenen mit Ehrerbietung auf, konnte aber doch nicht umhin zu lachen. „Warum?“ fragte Bajazid. „Weil Gott die Herrſchaft der Welt einem Lahmen, wie ich, und einem Gichtbrüchigen, wie du, anvertraut hat; es ſcheint, daß er nicht viel Werth auf dieſe ſeine Welt ſetzt.“ Nach Jouannin, „Turquie“, bei Braun, a. a. O. 376.) Gleichwohl ſahen die Hoftheologen dieſen „Lahmen“ ſtets von überirdiſcher Gloriole umfloſſen, die ſich in Form eines Regen- bogens vom Prophetengrabe zu Medina bis zum Haupte des Weltbe- zwingers ſpannte. (Nach d’Ohſſon, I, 204, bei Braun, ebd.) 2 Braun, „Gemälde“, 376. 3 Hammer-Purgſtall, „Geſch. d. osm. Reiches“, I, 229 u. ff. 13*
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Amaſia.
bezwang und zu ſeinem Gefangenen machte 1. In einem großen
Käfig verwahrt mußte es der ſtolze Beherrſcher aller Gläubigen
und Sieger über die vereinigten fränkiſchen Heere bei Nikopoli
erleben, wie man ihn vor Amaſia brachte und unter ſeinen Augen
die ungeheuerlichſten Grauſamkeiten beging. Als ſich Amaſia
nämlich durch mehrere Monate hielt, ließ er alles Landvolk, ob
Chriſt oder Türke, zuſammenfangen und es in die Ciſternen des
Ferhadberges werfen; in dem nahen Siwas aber, wo die ge-
ängſtete Bevölkerung dem Weltſtürmer einige Tauſend Kinder
mit aufgeſchlagenen Koran-Exemplaren auf den unſchuldigen
Köpfen entgegenſendete, ließ Temur die heiligen Bücher in aller
Ehrfurcht von den entblößten Häuptern der Kleinen entfernen,
dieſe ſelbſt aber, als angebliche Frucht der Sünde, des Ehebruchs
und der Blutſchande, von ſeiner Cavallerie in den Boden ſtampfen 2
Dem gefangenen Sultan aber brach ob ſolcher Gräuel das Herz
und er verſchied, anſtatt auf dem Throne Osmans, in ſeinem —
eiſernen Käfig … In der Umgebung von Amaſia ſiedelten
aber damals auch zahlreiche Mongolenſtämme, es heißt bei fünfzig
unabhängige Horden, die ſeit Hulagus Zeiten zurückgeblieben
waren. Sie ließ Temur, aus Rache für die Unbezwingbarkeit
der Stadt in die Gefangenſchaft fortſchleppen, um ſie ſpäter
öſtlich des Caspi-Meeres anzuſiedeln 3.
Alle dieſe Ereigniſſe haben dem uralten Trutzbau von Amaſia
nichts anzuhaben vermocht. Wer heute die Felſenhöhe des Ferhad-
berges im Süden der Stadt erklettert, der gewahrt die coloſſalen
Grabkammern der pontiſchen Könige unverletzt, als ſeien ſie vor
etlichen Monaten und nicht vor zwei Jahrtauſenden und darüber
1 Zwar nahm der Sieger den ſtaub- und blutbedeckten Gefangenen
mit Ehrerbietung auf, konnte aber doch nicht umhin zu lachen. „Warum?“
fragte Bajazid. „Weil Gott die Herrſchaft der Welt einem Lahmen, wie
ich, und einem Gichtbrüchigen, wie du, anvertraut hat; es ſcheint, daß er
nicht viel Werth auf dieſe ſeine Welt ſetzt.“ Nach Jouannin, „Turquie“,
bei Braun, a. a. O. 376.) Gleichwohl ſahen die Hoftheologen dieſen „Lahmen“
ſtets von überirdiſcher Gloriole umfloſſen, die ſich in Form eines Regen-
bogens vom Prophetengrabe zu Medina bis zum Haupte des Weltbe-
zwingers ſpannte. (Nach d’Ohſſon, I, 204, bei Braun, ebd.)
2 Braun, „Gemälde“, 376.
3 Hammer-Purgſtall, „Geſch. d. osm. Reiches“, I, 229 u. ff.
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