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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Einleitende Bemerkungen.
auf die russische Territorial-Erwerbung in Armenien das alte
Gespenst herannahender Gefahr für Indien citirt. So schrieb
damals der türkenfreundliche "Daily-Telegraph", daß durch die
Erfolge Rußlands nicht nur die Geschicke der Türkei, sondern
auch jene -- Englands entschieden werden würden. Die Frage
sei von gleich ernster Bedeutung für die Engländer, wie für die
Türken; die Eroberung Armeniens wurde ausdrücklich unter-
nommen, um Großbritannien entschieden Nachtheil zuzufügen,
während der Durst Rußlands nach Gebietsvergrößerung nur in
zweite Linie zu stellen komme. Das Blatt betonte ferner, daß
eine Machterweiterung Rußlands südlich des Kaukasus von der
größtmöglichsten Rückwirkung auf den mohammedanischen Osten
sein würde, und einen Einfluß geltend machen müßte, der den
britischen vollends in den Hintergrund drängen dürfte ... Es
fällt schwer, von der Expansionskraft Rußlands so vollständig
überzeugt zu sein, um derlei Bilder zu entrollen, und zu glauben,
daß die Kosaken, auf Grund des Erfolges in Armenien, mit der
Zeit ganz Asien überschwemmen, Indien, Syrien und Egypten
verschlingen und zuletzt an den Nilquellen Halt machen würden.
Und dennoch konnte diese abenteuerliche Perspective bis auf den
Tag bei den Engländern eine Rolle spielen. Man hat auch
nicht verabsäumt zu erklären, daß Rußland, einmal im Besitze
von Kars und Batum, nicht blos das Eufratthal beherrschen
würde, sondern sich auch jederzeit Syriens bemächtigen könnte,
da die Pforte, durch die unerhörten Anstrengungen zu Tode
erschöpft, fortan in Rußlands Händen sein würde, und da für
die Besetzung Syriens sich leicht ein frommer Vorwand in der
angeblichen Befreiung der heiligen Stätten aus der Gewalt der
Ungläubigen finden ließe. Herr Bright habe bereits einen
solchen Kreuzzug als hochverdienstliches Werk gepriesen, und alle
Vorkämpfer des Christenthums in England, die ganze Partei
der Ritualisten würde Rußland Beifall zujauchzen. Syrien aber
sei die Pforte Egyptens und des Suez-Canals ... Ist das
nicht der schönste Weg über Aden und Sansibar zur Cap-Colonie,
ja, zum Südpol? Nach diesen Politikern bedroht aber ein Groß-
Armenien unter russischer Herrschaft nicht blos Syrien und
Egypten, sondern auch das Eufratthal und mithin den wich-
tigsten Ueberlandweg nach Indien. Von einer solchen kann aber

Einleitende Bemerkungen.
auf die ruſſiſche Territorial-Erwerbung in Armenien das alte
Geſpenſt herannahender Gefahr für Indien citirt. So ſchrieb
damals der türkenfreundliche „Daily-Telegraph“, daß durch die
Erfolge Rußlands nicht nur die Geſchicke der Türkei, ſondern
auch jene — Englands entſchieden werden würden. Die Frage
ſei von gleich ernſter Bedeutung für die Engländer, wie für die
Türken; die Eroberung Armeniens wurde ausdrücklich unter-
nommen, um Großbritannien entſchieden Nachtheil zuzufügen,
während der Durſt Rußlands nach Gebietsvergrößerung nur in
zweite Linie zu ſtellen komme. Das Blatt betonte ferner, daß
eine Machterweiterung Rußlands ſüdlich des Kaukaſus von der
größtmöglichſten Rückwirkung auf den mohammedaniſchen Oſten
ſein würde, und einen Einfluß geltend machen müßte, der den
britiſchen vollends in den Hintergrund drängen dürfte … Es
fällt ſchwer, von der Expanſionskraft Rußlands ſo vollſtändig
überzeugt zu ſein, um derlei Bilder zu entrollen, und zu glauben,
daß die Koſaken, auf Grund des Erfolges in Armenien, mit der
Zeit ganz Aſien überſchwemmen, Indien, Syrien und Egypten
verſchlingen und zuletzt an den Nilquellen Halt machen würden.
Und dennoch konnte dieſe abenteuerliche Perſpective bis auf den
Tag bei den Engländern eine Rolle ſpielen. Man hat auch
nicht verabſäumt zu erklären, daß Rußland, einmal im Beſitze
von Kars und Batum, nicht blos das Eufratthal beherrſchen
würde, ſondern ſich auch jederzeit Syriens bemächtigen könnte,
da die Pforte, durch die unerhörten Anſtrengungen zu Tode
erſchöpft, fortan in Rußlands Händen ſein würde, und da für
die Beſetzung Syriens ſich leicht ein frommer Vorwand in der
angeblichen Befreiung der heiligen Stätten aus der Gewalt der
Ungläubigen finden ließe. Herr Bright habe bereits einen
ſolchen Kreuzzug als hochverdienſtliches Werk geprieſen, und alle
Vorkämpfer des Chriſtenthums in England, die ganze Partei
der Ritualiſten würde Rußland Beifall zujauchzen. Syrien aber
ſei die Pforte Egyptens und des Suez-Canals … Iſt das
nicht der ſchönſte Weg über Aden und Sanſibar zur Cap-Colonie,
ja, zum Südpol? Nach dieſen Politikern bedroht aber ein Groß-
Armenien unter ruſſiſcher Herrſchaft nicht blos Syrien und
Egypten, ſondern auch das Eufratthal und mithin den wich-
tigſten Ueberlandweg nach Indien. Von einer ſolchen kann aber

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[XX/0024] Einleitende Bemerkungen. auf die ruſſiſche Territorial-Erwerbung in Armenien das alte Geſpenſt herannahender Gefahr für Indien citirt. So ſchrieb damals der türkenfreundliche „Daily-Telegraph“, daß durch die Erfolge Rußlands nicht nur die Geſchicke der Türkei, ſondern auch jene — Englands entſchieden werden würden. Die Frage ſei von gleich ernſter Bedeutung für die Engländer, wie für die Türken; die Eroberung Armeniens wurde ausdrücklich unter- nommen, um Großbritannien entſchieden Nachtheil zuzufügen, während der Durſt Rußlands nach Gebietsvergrößerung nur in zweite Linie zu ſtellen komme. Das Blatt betonte ferner, daß eine Machterweiterung Rußlands ſüdlich des Kaukaſus von der größtmöglichſten Rückwirkung auf den mohammedaniſchen Oſten ſein würde, und einen Einfluß geltend machen müßte, der den britiſchen vollends in den Hintergrund drängen dürfte … Es fällt ſchwer, von der Expanſionskraft Rußlands ſo vollſtändig überzeugt zu ſein, um derlei Bilder zu entrollen, und zu glauben, daß die Koſaken, auf Grund des Erfolges in Armenien, mit der Zeit ganz Aſien überſchwemmen, Indien, Syrien und Egypten verſchlingen und zuletzt an den Nilquellen Halt machen würden. Und dennoch konnte dieſe abenteuerliche Perſpective bis auf den Tag bei den Engländern eine Rolle ſpielen. Man hat auch nicht verabſäumt zu erklären, daß Rußland, einmal im Beſitze von Kars und Batum, nicht blos das Eufratthal beherrſchen würde, ſondern ſich auch jederzeit Syriens bemächtigen könnte, da die Pforte, durch die unerhörten Anſtrengungen zu Tode erſchöpft, fortan in Rußlands Händen ſein würde, und da für die Beſetzung Syriens ſich leicht ein frommer Vorwand in der angeblichen Befreiung der heiligen Stätten aus der Gewalt der Ungläubigen finden ließe. Herr Bright habe bereits einen ſolchen Kreuzzug als hochverdienſtliches Werk geprieſen, und alle Vorkämpfer des Chriſtenthums in England, die ganze Partei der Ritualiſten würde Rußland Beifall zujauchzen. Syrien aber ſei die Pforte Egyptens und des Suez-Canals … Iſt das nicht der ſchönſte Weg über Aden und Sanſibar zur Cap-Colonie, ja, zum Südpol? Nach dieſen Politikern bedroht aber ein Groß- Armenien unter ruſſiſcher Herrſchaft nicht blos Syrien und Egypten, ſondern auch das Eufratthal und mithin den wich- tigſten Ueberlandweg nach Indien. Von einer ſolchen kann aber

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. XX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/24>, abgerufen am 21.11.2024.