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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Die armenische Sprache. -- Etschmiadsin, der Patriarchensitz.
Einwendungen vollends bedeutungslos sind. Auch hat man sich daran
gehalten, daß im Van-Lande armenische Texte in Keil-Inschriften
entdeckt wurden. An dieser Thatsache ist nichts zu bemäkeln,
doch darf nicht vergessen werden, daß erst Mesrop (im 5. Jahr-
hundert) ein eigenes armenisches Alphabet construirte und bis
dahin die Alphabete anderer Nachbarvölker, der Assyrier und
Perser, ja selbst jenes der Griechen, in Uebung waren ...

Ehe wir das Ararat-Gebiet verlassen, haben wir noch einer
Localität zu gedenken, die uns urplötzlich aus der classischen
Vorepoche Armeniens in die christlich-mittelalterliche und moderne
versetzt. Es ist dies der Patriarchensitz zu Etschmiadsin. Vom
oberen Stadttheile Eriwans erblickt man genau im Westen, in
einer Entfernung von etwa vier Meilen, drei eigenthümlich ge-
formte Kirchenbauten, welche aus der schimmernden Araxes-Ebene
emportauchen. Die Silhouetten dieser drei riesigen Marksteine
auf dem geradlinigen Karawanenwege nach Sardarabad und
weiter nach Alexandrapol gleichen, namentlich bei der nicht un-
bedeutenden Entfernung, eher egyptischen Pyramiden, als christ-
lichen Tempeln, die sie thatsächlich vorstellen. An Ort und Stelle
angelangt, ändert sich freilich das Bild, sobald man der hohen,
im Quadrat gezogenen Umfassungsmauern des einen dieser Tempel,
dann der Annexe und Zubauten ansichtig wird und schließlich
den Blick die, aus wunderlichen Styl-Motiven zusammengesetzte
Tempel-Facade hinan bis zur altehrwürdigen Kuppel schweifen
läßt ... Es ist der Patriarchendom von Etschmiadsin, der religiös-
politische Mittelpunkt Armeniens. Schon mit seiner Gründung
fallen Ereignisse zusammen, die im unmittelbaren Contacte mit
den großen Bewegungen zur Zeit der Partherherrschaft und ihrer
Gegner, der Sassaniden, stehen. Von weit höherem Zauber ist
der Ort freilich noch für den orthodoxen Armenier, in dessen
Seele die Legende von der Erscheinung des "einigen Sohnes"
nachschimmert, die einst der armenische Apostel und Bekehrer,
Gregorios Illuminator, auf der Stelle des heutigen Tempels
hatte. Die Kämpfe im Orient, welche der Mehrzahl nach doch
nur Glaubenskämpfe oder Racenkriege, selten aber rein politische
Fehden sind, haben ja mit der Zeit bei den meisten östlichen
Völkern ihr politisches Bewußtsein in dem weit mächtigeren
religiösen aufgehen lassen, und so glänzen in den Annalen

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Die armeniſche Sprache. — Etſchmiadſin, der Patriarchenſitz.
Einwendungen vollends bedeutungslos ſind. Auch hat man ſich daran
gehalten, daß im Van-Lande armeniſche Texte in Keil-Inſchriften
entdeckt wurden. An dieſer Thatſache iſt nichts zu bemäkeln,
doch darf nicht vergeſſen werden, daß erſt Mesrop (im 5. Jahr-
hundert) ein eigenes armeniſches Alphabet conſtruirte und bis
dahin die Alphabete anderer Nachbarvölker, der Aſſyrier und
Perſer, ja ſelbſt jenes der Griechen, in Uebung waren …

Ehe wir das Ararat-Gebiet verlaſſen, haben wir noch einer
Localität zu gedenken, die uns urplötzlich aus der claſſiſchen
Vorepoche Armeniens in die chriſtlich-mittelalterliche und moderne
verſetzt. Es iſt dies der Patriarchenſitz zu Etſchmiadſin. Vom
oberen Stadttheile Eriwans erblickt man genau im Weſten, in
einer Entfernung von etwa vier Meilen, drei eigenthümlich ge-
formte Kirchenbauten, welche aus der ſchimmernden Araxes-Ebene
emportauchen. Die Silhouetten dieſer drei rieſigen Markſteine
auf dem geradlinigen Karawanenwege nach Sardarabad und
weiter nach Alexandrapol gleichen, namentlich bei der nicht un-
bedeutenden Entfernung, eher egyptiſchen Pyramiden, als chriſt-
lichen Tempeln, die ſie thatſächlich vorſtellen. An Ort und Stelle
angelangt, ändert ſich freilich das Bild, ſobald man der hohen,
im Quadrat gezogenen Umfaſſungsmauern des einen dieſer Tempel,
dann der Annexe und Zubauten anſichtig wird und ſchließlich
den Blick die, aus wunderlichen Styl-Motiven zuſammengeſetzte
Tempel-Façade hinan bis zur altehrwürdigen Kuppel ſchweifen
läßt … Es iſt der Patriarchendom von Etſchmiadſin, der religiös-
politiſche Mittelpunkt Armeniens. Schon mit ſeiner Gründung
fallen Ereigniſſe zuſammen, die im unmittelbaren Contacte mit
den großen Bewegungen zur Zeit der Partherherrſchaft und ihrer
Gegner, der Saſſaniden, ſtehen. Von weit höherem Zauber iſt
der Ort freilich noch für den orthodoxen Armenier, in deſſen
Seele die Legende von der Erſcheinung des „einigen Sohnes“
nachſchimmert, die einſt der armeniſche Apoſtel und Bekehrer,
Gregorios Illuminator, auf der Stelle des heutigen Tempels
hatte. Die Kämpfe im Orient, welche der Mehrzahl nach doch
nur Glaubenskämpfe oder Racenkriege, ſelten aber rein politiſche
Fehden ſind, haben ja mit der Zeit bei den meiſten öſtlichen
Völkern ihr politiſches Bewußtſein in dem weit mächtigeren
religiöſen aufgehen laſſen, und ſo glänzen in den Annalen

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[35/0067] Die armeniſche Sprache. — Etſchmiadſin, der Patriarchenſitz. Einwendungen vollends bedeutungslos ſind. Auch hat man ſich daran gehalten, daß im Van-Lande armeniſche Texte in Keil-Inſchriften entdeckt wurden. An dieſer Thatſache iſt nichts zu bemäkeln, doch darf nicht vergeſſen werden, daß erſt Mesrop (im 5. Jahr- hundert) ein eigenes armeniſches Alphabet conſtruirte und bis dahin die Alphabete anderer Nachbarvölker, der Aſſyrier und Perſer, ja ſelbſt jenes der Griechen, in Uebung waren … Ehe wir das Ararat-Gebiet verlaſſen, haben wir noch einer Localität zu gedenken, die uns urplötzlich aus der claſſiſchen Vorepoche Armeniens in die chriſtlich-mittelalterliche und moderne verſetzt. Es iſt dies der Patriarchenſitz zu Etſchmiadſin. Vom oberen Stadttheile Eriwans erblickt man genau im Weſten, in einer Entfernung von etwa vier Meilen, drei eigenthümlich ge- formte Kirchenbauten, welche aus der ſchimmernden Araxes-Ebene emportauchen. Die Silhouetten dieſer drei rieſigen Markſteine auf dem geradlinigen Karawanenwege nach Sardarabad und weiter nach Alexandrapol gleichen, namentlich bei der nicht un- bedeutenden Entfernung, eher egyptiſchen Pyramiden, als chriſt- lichen Tempeln, die ſie thatſächlich vorſtellen. An Ort und Stelle angelangt, ändert ſich freilich das Bild, ſobald man der hohen, im Quadrat gezogenen Umfaſſungsmauern des einen dieſer Tempel, dann der Annexe und Zubauten anſichtig wird und ſchließlich den Blick die, aus wunderlichen Styl-Motiven zuſammengeſetzte Tempel-Façade hinan bis zur altehrwürdigen Kuppel ſchweifen läßt … Es iſt der Patriarchendom von Etſchmiadſin, der religiös- politiſche Mittelpunkt Armeniens. Schon mit ſeiner Gründung fallen Ereigniſſe zuſammen, die im unmittelbaren Contacte mit den großen Bewegungen zur Zeit der Partherherrſchaft und ihrer Gegner, der Saſſaniden, ſtehen. Von weit höherem Zauber iſt der Ort freilich noch für den orthodoxen Armenier, in deſſen Seele die Legende von der Erſcheinung des „einigen Sohnes“ nachſchimmert, die einſt der armeniſche Apoſtel und Bekehrer, Gregorios Illuminator, auf der Stelle des heutigen Tempels hatte. Die Kämpfe im Orient, welche der Mehrzahl nach doch nur Glaubenskämpfe oder Racenkriege, ſelten aber rein politiſche Fehden ſind, haben ja mit der Zeit bei den meiſten öſtlichen Völkern ihr politiſches Bewußtſein in dem weit mächtigeren religiöſen aufgehen laſſen, und ſo glänzen in den Annalen 3*

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/67>, abgerufen am 21.11.2024.