Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Etschmiadsin, der Patriarchensitz. Zeiten, Diocletian, und um einem barbarischen Schicksale zuentgehen, flüchtete eine Jungfrau aus prinzlichem Geblüte, Hrip- sime, aus Latium nach Armenien, dem damaligen Horte der Christenheit1. Es galt dies selbstverständlich nur vom westlichen, von Tiridates' Herrschaft wenig fühlenden Theile des Landes (Klein-Armenien oder Sebasta -- Siwas -- und Cappadocien). Hripsime suchte aber unvorsichtiger Weise ihr Asyl in der heid- nischen Stadt Vagharschabad, die sich auf derselben Stelle befand, auf der sich heute Etschmiadsin erhebt. Als sie eines Tages ihre Bekehrungsversuche auch auf den König erstreckte, wurde sie mit sammt ihren Gefährtinnen ergriffen und gesteinigt. Es war die letzte christenfeindliche That Tiridates'; kurz nach dem Martyrium der Römerin ließ er sich durch Gregorios, dem Sohne Anags, des verruchten Mörders von Tiridates Vater Khosrew, bekehren, und er empfing mit seinem ganzen Heere in Alaschgerd, dem heutigen Toprak-Kaleh, die Taufe2. Die erste Gründung Tiri- dates', der nun den lateinisirten Namen ablegte und den arme- nischen (Dertad-Medz) annahm, war die Kirche von Surp-Ohannes, dem heutigen Utsch-Kilissa zwischen Diadin und Karakilissa3. Diese Gründung fällt in das Jahr 306, also in dieselbe Zeit, wie jene Etschmiadsins, das Dertad damals freilich in ganz anderer Gestalt, als es sich heute dem Besucher darstellt, dem ersten Bischofe und Patriarchen von Armenien, Gregorios Illuminator, erbauen ließ und zum Sitze anwies. Als Dertad sein ruhmreiches Leben abgeschlossen hatte, wurde 1 Mos. v. Chor. 2 Mos. v. Chorene, III. Nach Strabo (XI) am Fuße des Berges Nebad, der von mancher Seite als mit dem Masius oder Ararat identisch angesehen wird. (Vgl. St. Martin, a. a. O.) 3 Daß bald hierauf die Zerstörung sämmtlicher heidnischen Tempel, die einer verderbten Zoroasterlehre dienten, im großartigsten Style in Angriff genommen wurde, dafür dürfte Gregorios' Uebereifer allenthalben Sorge getragen haben. Es waren dies die Tempel des Aramadz (Ormudz), der Anahid (Artemis) und der Mihr; dann die der sarmatisch-nordischen Gottheiten Parsham und Nanu, welche in den armenischen Götterhimmel hereinragen, und schließlich die Cultusstätten des indischen Gottes Kesane. 4 Angeblich schon um das Jahr 600 v. Chr. durch einen König
Vardsche gegründet, hat sie gleichwohl erst unter Vagharsch oder Valar- Etſchmiadſin, der Patriarchenſitz. Zeiten, Diocletian, und um einem barbariſchen Schickſale zuentgehen, flüchtete eine Jungfrau aus prinzlichem Geblüte, Hrip- ſime, aus Latium nach Armenien, dem damaligen Horte der Chriſtenheit1. Es galt dies ſelbſtverſtändlich nur vom weſtlichen, von Tiridates’ Herrſchaft wenig fühlenden Theile des Landes (Klein-Armenien oder Sebaſta — Siwas — und Cappadocien). Hripſime ſuchte aber unvorſichtiger Weiſe ihr Aſyl in der heid- niſchen Stadt Vagharſchabad, die ſich auf derſelben Stelle befand, auf der ſich heute Etſchmiadſin erhebt. Als ſie eines Tages ihre Bekehrungsverſuche auch auf den König erſtreckte, wurde ſie mit ſammt ihren Gefährtinnen ergriffen und geſteinigt. Es war die letzte chriſtenfeindliche That Tiridates’; kurz nach dem Martyrium der Römerin ließ er ſich durch Gregorios, dem Sohne Anags, des verruchten Mörders von Tiridates Vater Khosrew, bekehren, und er empfing mit ſeinem ganzen Heere in Alaſchgerd, dem heutigen Toprak-Kaleh, die Taufe2. Die erſte Gründung Tiri- dates’, der nun den lateiniſirten Namen ablegte und den arme- niſchen (Dertad-Medz) annahm, war die Kirche von Surp-Ohannes, dem heutigen Utſch-Kiliſſa zwiſchen Diadin und Karakiliſſa3. Dieſe Gründung fällt in das Jahr 306, alſo in dieſelbe Zeit, wie jene Etſchmiadſins, das Dertad damals freilich in ganz anderer Geſtalt, als es ſich heute dem Beſucher darſtellt, dem erſten Biſchofe und Patriarchen von Armenien, Gregorios Illuminator, erbauen ließ und zum Sitze anwies. Als Dertad ſein ruhmreiches Leben abgeſchloſſen hatte, wurde 1 Moſ. v. Chor. 2 Moſ. v. Chorene, III. Nach Strabo (XI) am Fuße des Berges Nebad, der von mancher Seite als mit dem Maſius oder Ararat identiſch angeſehen wird. (Vgl. St. Martin, a. a. O.) 3 Daß bald hierauf die Zerſtörung ſämmtlicher heidniſchen Tempel, die einer verderbten Zoroaſterlehre dienten, im großartigſten Style in Angriff genommen wurde, dafür dürfte Gregorios’ Uebereifer allenthalben Sorge getragen haben. Es waren dies die Tempel des Aramadz (Ormudz), der Anahid (Artemis) und der Mihr; dann die der ſarmatiſch-nordiſchen Gottheiten Parſham und Nanu, welche in den armeniſchen Götterhimmel hereinragen, und ſchließlich die Cultusſtätten des indiſchen Gottes Keſane. 4 Angeblich ſchon um das Jahr 600 v. Chr. durch einen König
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Etſchmiadſin, der Patriarchenſitz.
Zeiten, Diocletian, und um einem barbariſchen Schickſale zu
entgehen, flüchtete eine Jungfrau aus prinzlichem Geblüte, Hrip-
ſime, aus Latium nach Armenien, dem damaligen Horte der
Chriſtenheit 1. Es galt dies ſelbſtverſtändlich nur vom weſtlichen,
von Tiridates’ Herrſchaft wenig fühlenden Theile des Landes
(Klein-Armenien oder Sebaſta — Siwas — und Cappadocien).
Hripſime ſuchte aber unvorſichtiger Weiſe ihr Aſyl in der heid-
niſchen Stadt Vagharſchabad, die ſich auf derſelben Stelle befand,
auf der ſich heute Etſchmiadſin erhebt. Als ſie eines Tages ihre
Bekehrungsverſuche auch auf den König erſtreckte, wurde ſie mit
ſammt ihren Gefährtinnen ergriffen und geſteinigt. Es war die
letzte chriſtenfeindliche That Tiridates’; kurz nach dem Martyrium
der Römerin ließ er ſich durch Gregorios, dem Sohne Anags,
des verruchten Mörders von Tiridates Vater Khosrew, bekehren,
und er empfing mit ſeinem ganzen Heere in Alaſchgerd, dem
heutigen Toprak-Kaleh, die Taufe 2. Die erſte Gründung Tiri-
dates’, der nun den lateiniſirten Namen ablegte und den arme-
niſchen (Dertad-Medz) annahm, war die Kirche von Surp-Ohannes,
dem heutigen Utſch-Kiliſſa zwiſchen Diadin und Karakiliſſa 3.
Dieſe Gründung fällt in das Jahr 306, alſo in dieſelbe Zeit,
wie jene Etſchmiadſins, das Dertad damals freilich in ganz anderer
Geſtalt, als es ſich heute dem Beſucher darſtellt, dem erſten
Biſchofe und Patriarchen von Armenien, Gregorios Illuminator,
erbauen ließ und zum Sitze anwies.
Als Dertad ſein ruhmreiches Leben abgeſchloſſen hatte, wurde
die armeniſche Königsreſidenz von Vagharſchabad 4 nach Ani
1 Moſ. v. Chor.
2 Moſ. v. Chorene, III. Nach Strabo (XI) am Fuße des Berges
Nebad, der von mancher Seite als mit dem Maſius oder Ararat identiſch
angeſehen wird. (Vgl. St. Martin, a. a. O.)
3 Daß bald hierauf die Zerſtörung ſämmtlicher heidniſchen Tempel,
die einer verderbten Zoroaſterlehre dienten, im großartigſten Style in
Angriff genommen wurde, dafür dürfte Gregorios’ Uebereifer allenthalben
Sorge getragen haben. Es waren dies die Tempel des Aramadz (Ormudz),
der Anahid (Artemis) und der Mihr; dann die der ſarmatiſch-nordiſchen
Gottheiten Parſham und Nanu, welche in den armeniſchen Götterhimmel
hereinragen, und ſchließlich die Cultusſtätten des indiſchen Gottes Keſane.
4 Angeblich ſchon um das Jahr 600 v. Chr. durch einen König
Vardſche gegründet, hat ſie gleichwohl erſt unter Vagharſch oder Valar-
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