Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Zur Geschichte Erzerums. und von plumpen Thürmen flankirt werden, waren schon damalsder Schutz der noch immer blühenden gewerbs- und handels- thätigen Capitale Armeniens. Sie haben den Seldschukenhorden nicht widerstanden. Ueber 150,000 Einwohner wurden theils niedergemacht, theils versprengt, oder zwangsweise in Nordpersien und am Araxes colonisirt, und die Stadt selbst fiel in Ruinen. Bald hierauf (1247) rückten die Mongolen vor die Stadt und verlangten bedingungslose Unterwerfung; als aber dieselbe ver- weigert wurde, erfolgte zum zweitenmale innerhalb zwei Jahr- hunderten deren Erstürmung und totale Zerstörung, verbunden mit den furchtbarsten Gräuelthaten gegen die Bewohnerschaft, gleichviel ob Christ oder Mohammedaner ... Bei dieser Ge- legenheit sollen Tausende der werthvollsten Manuscripte zu Grunde gegangen sein, um so bedauerlicher, als die armenischen Geschichts- und Cultur-Traditionen bekanntlich an arger Lückenhaftigkeit leiden. Da indeß die Mongolen, wie schon einmal bemerkt, dem Christenthume im Allgemeinen minder feindlich entgegentraten, als sonstige asiatische Horden, so erfolgte kurz nach der Er- stürmung Erzerums die Einsetzung eines Bischofs und der Wiederaufbau der Stadt, die damals zu einer kurzen Blüthe- epoche sich aufschwang, bis die Roßschweife in ihr Einzug hielten und der unhemmbare Niedergang begann. Gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts (1735) verheerte sie noch einmal ein Welt- stürmer, Nadir Schah1, und vor 49 Jahren zogen die Russen 1 Unter diesem Turkmenen-Fürsten wurde selbst eine so verkommene
Race, wie die damaligen Perser, unwiderstehlich. Bezeichnend für seine Denkungsart ist folgender, als historisch verbürgter Zwischenfall. Als er den persischen Thron bestiegen hatte, berief er sofort die Geistlichkeit (die schiitische natürlich), von der er (als Sunite) nichts Gutes erwartete, und befrug sie, was mit den reichen Landeseinkünften geschehe. Die Antwort war: zum Unterhalte der Priester, der Collegien und Moscheen, in welch letzteren unausgesetzt für das Wohl der iranischen Herrscher gebetet werde. Hierauf erwiederte Nadir Schah: "Euere Gebete sind offenbar dem All- mächtigen nicht angenehm, denn das Reich befand sich stets im größten Verfall, wenn euer Stand am meisten begünstigt wurde. Es ist vom Untergange durch meine tapferen Krieger errettet worden und von nun an soll nur zu deren Unterhalt euer Reichthum verwendet werden." (Vgl. Malcolm, "Geschichte von Persien", II, 16; bei Braun, a. a. O., 248.) Nadir war bis tief nach Indien vorgedrungen und hatte aus Delhi den Zur Geſchichte Erzerums. und von plumpen Thürmen flankirt werden, waren ſchon damalsder Schutz der noch immer blühenden gewerbs- und handels- thätigen Capitale Armeniens. Sie haben den Seldſchukenhorden nicht widerſtanden. Ueber 150,000 Einwohner wurden theils niedergemacht, theils verſprengt, oder zwangsweiſe in Nordperſien und am Araxes coloniſirt, und die Stadt ſelbſt fiel in Ruinen. Bald hierauf (1247) rückten die Mongolen vor die Stadt und verlangten bedingungsloſe Unterwerfung; als aber dieſelbe ver- weigert wurde, erfolgte zum zweitenmale innerhalb zwei Jahr- hunderten deren Erſtürmung und totale Zerſtörung, verbunden mit den furchtbarſten Gräuelthaten gegen die Bewohnerſchaft, gleichviel ob Chriſt oder Mohammedaner … Bei dieſer Ge- legenheit ſollen Tauſende der werthvollſten Manuſcripte zu Grunde gegangen ſein, um ſo bedauerlicher, als die armeniſchen Geſchichts- und Cultur-Traditionen bekanntlich an arger Lückenhaftigkeit leiden. Da indeß die Mongolen, wie ſchon einmal bemerkt, dem Chriſtenthume im Allgemeinen minder feindlich entgegentraten, als ſonſtige aſiatiſche Horden, ſo erfolgte kurz nach der Er- ſtürmung Erzerums die Einſetzung eines Biſchofs und der Wiederaufbau der Stadt, die damals zu einer kurzen Blüthe- epoche ſich aufſchwang, bis die Roßſchweife in ihr Einzug hielten und der unhemmbare Niedergang begann. Gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts (1735) verheerte ſie noch einmal ein Welt- ſtürmer, Nadir Schah1, und vor 49 Jahren zogen die Ruſſen 1 Unter dieſem Turkmenen-Fürſten wurde ſelbſt eine ſo verkommene
Race, wie die damaligen Perſer, unwiderſtehlich. Bezeichnend für ſeine Denkungsart iſt folgender, als hiſtoriſch verbürgter Zwiſchenfall. Als er den perſiſchen Thron beſtiegen hatte, berief er ſofort die Geiſtlichkeit (die ſchiitiſche natürlich), von der er (als Sunite) nichts Gutes erwartete, und befrug ſie, was mit den reichen Landeseinkünften geſchehe. Die Antwort war: zum Unterhalte der Prieſter, der Collegien und Moſcheen, in welch letzteren unausgeſetzt für das Wohl der iraniſchen Herrſcher gebetet werde. Hierauf erwiederte Nadir Schah: „Euere Gebete ſind offenbar dem All- mächtigen nicht angenehm, denn das Reich befand ſich ſtets im größten Verfall, wenn euer Stand am meiſten begünſtigt wurde. Es iſt vom Untergange durch meine tapferen Krieger errettet worden und von nun an ſoll nur zu deren Unterhalt euer Reichthum verwendet werden.“ (Vgl. Malcolm, „Geſchichte von Perſien“, II, 16; bei Braun, a. a. O., 248.) Nadir war bis tief nach Indien vorgedrungen und hatte aus Delhi den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0087" n="55"/><fw place="top" type="header">Zur Geſchichte Erzerums.</fw><lb/> und von plumpen Thürmen flankirt werden, waren ſchon damals<lb/> der Schutz der noch immer blühenden gewerbs- und handels-<lb/> thätigen Capitale Armeniens. Sie haben den Seldſchukenhorden<lb/> nicht widerſtanden. Ueber 150,000 Einwohner wurden theils<lb/> niedergemacht, theils verſprengt, oder zwangsweiſe in Nordperſien<lb/> und am Araxes coloniſirt, und die Stadt ſelbſt fiel in Ruinen.<lb/> Bald hierauf (1247) rückten die Mongolen vor die Stadt und<lb/> verlangten bedingungsloſe Unterwerfung; als aber dieſelbe ver-<lb/> weigert wurde, erfolgte zum zweitenmale innerhalb zwei Jahr-<lb/> hunderten deren Erſtürmung und totale Zerſtörung, verbunden<lb/> mit den furchtbarſten Gräuelthaten gegen die Bewohnerſchaft,<lb/> gleichviel ob Chriſt oder Mohammedaner … Bei dieſer Ge-<lb/> legenheit ſollen Tauſende der werthvollſten Manuſcripte zu Grunde<lb/> gegangen ſein, um ſo bedauerlicher, als die armeniſchen Geſchichts-<lb/> und Cultur-Traditionen bekanntlich an arger Lückenhaftigkeit<lb/> leiden. Da indeß die Mongolen, wie ſchon einmal bemerkt, dem<lb/> Chriſtenthume im Allgemeinen minder feindlich entgegentraten,<lb/> als ſonſtige aſiatiſche Horden, ſo erfolgte kurz nach der Er-<lb/> ſtürmung Erzerums die Einſetzung eines Biſchofs und der<lb/> Wiederaufbau der Stadt, die damals zu einer kurzen Blüthe-<lb/> epoche ſich aufſchwang, bis die Roßſchweife in ihr Einzug hielten<lb/> und der unhemmbare Niedergang begann. Gegen die Mitte des<lb/> vorigen Jahrhunderts (1735) verheerte ſie noch einmal ein Welt-<lb/> ſtürmer, Nadir Schah<note xml:id="seg2pn_8_1" next="#seg2pn_8_2" place="foot" n="1">Unter dieſem Turkmenen-Fürſten wurde ſelbſt eine ſo verkommene<lb/> Race, wie die damaligen Perſer, unwiderſtehlich. Bezeichnend für ſeine<lb/> Denkungsart iſt folgender, als hiſtoriſch verbürgter Zwiſchenfall. Als er<lb/> den perſiſchen Thron beſtiegen hatte, berief er ſofort die Geiſtlichkeit (die<lb/> ſchiitiſche natürlich), von der er (als Sunite) nichts Gutes erwartete, und<lb/> befrug ſie, was mit den reichen Landeseinkünften geſchehe. Die Antwort<lb/> war: zum Unterhalte der Prieſter, der Collegien und Moſcheen, in welch<lb/> letzteren unausgeſetzt für das Wohl der iraniſchen Herrſcher gebetet werde.<lb/> Hierauf erwiederte Nadir Schah: „Euere Gebete ſind offenbar dem All-<lb/> mächtigen nicht angenehm, denn das Reich befand ſich ſtets im größten<lb/> Verfall, wenn euer Stand am meiſten begünſtigt wurde. Es iſt vom<lb/> Untergange durch meine tapferen Krieger errettet worden und von nun<lb/> an ſoll nur zu deren Unterhalt euer Reichthum verwendet werden.“<lb/> (Vgl. Malcolm, „Geſchichte von Perſien“, <hi rendition="#aq">II</hi>, 16; bei Braun, a. a. O., 248.)<lb/> Nadir war bis tief nach Indien vorgedrungen und hatte aus Delhi den</note>, und vor 49 Jahren zogen die Ruſſen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [55/0087]
Zur Geſchichte Erzerums.
und von plumpen Thürmen flankirt werden, waren ſchon damals
der Schutz der noch immer blühenden gewerbs- und handels-
thätigen Capitale Armeniens. Sie haben den Seldſchukenhorden
nicht widerſtanden. Ueber 150,000 Einwohner wurden theils
niedergemacht, theils verſprengt, oder zwangsweiſe in Nordperſien
und am Araxes coloniſirt, und die Stadt ſelbſt fiel in Ruinen.
Bald hierauf (1247) rückten die Mongolen vor die Stadt und
verlangten bedingungsloſe Unterwerfung; als aber dieſelbe ver-
weigert wurde, erfolgte zum zweitenmale innerhalb zwei Jahr-
hunderten deren Erſtürmung und totale Zerſtörung, verbunden
mit den furchtbarſten Gräuelthaten gegen die Bewohnerſchaft,
gleichviel ob Chriſt oder Mohammedaner … Bei dieſer Ge-
legenheit ſollen Tauſende der werthvollſten Manuſcripte zu Grunde
gegangen ſein, um ſo bedauerlicher, als die armeniſchen Geſchichts-
und Cultur-Traditionen bekanntlich an arger Lückenhaftigkeit
leiden. Da indeß die Mongolen, wie ſchon einmal bemerkt, dem
Chriſtenthume im Allgemeinen minder feindlich entgegentraten,
als ſonſtige aſiatiſche Horden, ſo erfolgte kurz nach der Er-
ſtürmung Erzerums die Einſetzung eines Biſchofs und der
Wiederaufbau der Stadt, die damals zu einer kurzen Blüthe-
epoche ſich aufſchwang, bis die Roßſchweife in ihr Einzug hielten
und der unhemmbare Niedergang begann. Gegen die Mitte des
vorigen Jahrhunderts (1735) verheerte ſie noch einmal ein Welt-
ſtürmer, Nadir Schah 1, und vor 49 Jahren zogen die Ruſſen
1 Unter dieſem Turkmenen-Fürſten wurde ſelbſt eine ſo verkommene
Race, wie die damaligen Perſer, unwiderſtehlich. Bezeichnend für ſeine
Denkungsart iſt folgender, als hiſtoriſch verbürgter Zwiſchenfall. Als er
den perſiſchen Thron beſtiegen hatte, berief er ſofort die Geiſtlichkeit (die
ſchiitiſche natürlich), von der er (als Sunite) nichts Gutes erwartete, und
befrug ſie, was mit den reichen Landeseinkünften geſchehe. Die Antwort
war: zum Unterhalte der Prieſter, der Collegien und Moſcheen, in welch
letzteren unausgeſetzt für das Wohl der iraniſchen Herrſcher gebetet werde.
Hierauf erwiederte Nadir Schah: „Euere Gebete ſind offenbar dem All-
mächtigen nicht angenehm, denn das Reich befand ſich ſtets im größten
Verfall, wenn euer Stand am meiſten begünſtigt wurde. Es iſt vom
Untergange durch meine tapferen Krieger errettet worden und von nun
an ſoll nur zu deren Unterhalt euer Reichthum verwendet werden.“
(Vgl. Malcolm, „Geſchichte von Perſien“, II, 16; bei Braun, a. a. O., 248.)
Nadir war bis tief nach Indien vorgedrungen und hatte aus Delhi den
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