Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

Bild:
<< vorherige Seite

Erzerums alte Baureste. -- Hoch-Armenien.
-- ihren Tribut abzuliefern. Das klingt wunderlich genug, ist
aber eine Thatsache. Jedermann, der Janitschar werden wollte,
hatte eine gewisse, vorher vom Beglerbeg normirte Summe dem
Stellvertreter des Padischah abzuliefern, wonach es ihm unbe-
nommen blieb, sich seine Einkünfte auf immer welche Art, durch
Erpressung, willkürlichen Steuerzwang, oder ganz gemeinen Raub
zu verschaffen1 ... Das Castell scheint indeß gleichfalls römischen
Ursprungs zu sein, sowie das Zeughaus zunächst des Tabriser
Thores, an dem noch vor fünfzig Jahren römische Wappen zu
sehen waren2. Dafür sind die christlichen Kirchen meist aus
Holz3, die Moscheen verwahrlost und äußerlich voll Unrath,
sowie die zahlreichen Gassen, in denen die Jauche in Folge des
geringen Gefälles derselben, bis auf die, Miasmen ausathmenden
Rückstände, erst nach vielen Tagen verdunstet. Daß es an
Tausenden der schakalartigen herrenloser Straßenköter allezeit
nicht fehlte, ist für eine türkische Stadt selbstverständlich.

Wir wollen nun einen Blick auf das Gesammtbild Hoch-
Armeniens werfen. Der ausgesprochene Charakter eines Plateau-
Landes, den Ost-Armenien zwischen Erzerum und Eriwan trotz
der Thaleinschnitte des Aras und Kur besitzt, fällt in West-
Armenien ziemlich außer Betracht. Dort gibt es überall lange

1 Vgl. A. Jaubert, Voy. 117. Neuestens hatte das in Erzerum er-
schienene Vilajets-Amtsblatt "Emwarie-Scharkie" (Licht des Ostens) ver-
sprochen, die Namen aller derjenigen mit goldenen Lettern zu veröffent-
lichen, welche sich beeilen würden (kurz vor dem letzten Kriege) in die
Reihen der Vaterlandsvertheidiger zu eilen. Als auf Grund dieser spon-
tanen Kundgebung bald hierauf das Stambuler Kriegsministerium den
Ankauf von Pferden telegraphisch anordnete, beeilte sich der Gouverneur
(Ismail Pascha) auf eigene Faust nach Constantinopel zurückzumelden,
daß die Einwohner seines Vilajets kein Geld annehmen, sondern aus
Patriotismus alle ihre Pferde der Regierung zur Verfügung stellen ...
In der That confiscirte (!) Ismail Pascha die entsprechende Anzahl von
Pferden, ohne einen Para hierfür auszugeben. Dafür heimste er Beglück-
wünschungen und Auszeichnungen von Stambul in reichlichem Maße ein.
("Allg. Ztg.", Nr. 61, 1877.) Das war eben wieder eine ganz eigene
Art von Vergewaltigung, ändert aber am Wesen der Sache nichts.
2 Southgate, bei Ritter, a. a. O.
3 Ueber die Erzerumer Kirchenbauten Näheres bei W. Hamilton,
"Asia minor", I, 178.

Erzerums alte Baureſte. — Hoch-Armenien.
— ihren Tribut abzuliefern. Das klingt wunderlich genug, iſt
aber eine Thatſache. Jedermann, der Janitſchar werden wollte,
hatte eine gewiſſe, vorher vom Beglerbeg normirte Summe dem
Stellvertreter des Padiſchah abzuliefern, wonach es ihm unbe-
nommen blieb, ſich ſeine Einkünfte auf immer welche Art, durch
Erpreſſung, willkürlichen Steuerzwang, oder ganz gemeinen Raub
zu verſchaffen1 … Das Caſtell ſcheint indeß gleichfalls römiſchen
Urſprungs zu ſein, ſowie das Zeughaus zunächſt des Tabriſer
Thores, an dem noch vor fünfzig Jahren römiſche Wappen zu
ſehen waren2. Dafür ſind die chriſtlichen Kirchen meiſt aus
Holz3, die Moſcheen verwahrloſt und äußerlich voll Unrath,
ſowie die zahlreichen Gaſſen, in denen die Jauche in Folge des
geringen Gefälles derſelben, bis auf die, Miasmen ausathmenden
Rückſtände, erſt nach vielen Tagen verdunſtet. Daß es an
Tauſenden der ſchakalartigen herrenloſer Straßenköter allezeit
nicht fehlte, iſt für eine türkiſche Stadt ſelbſtverſtändlich.

Wir wollen nun einen Blick auf das Geſammtbild Hoch-
Armeniens werfen. Der ausgeſprochene Charakter eines Plateau-
Landes, den Oſt-Armenien zwiſchen Erzerum und Eriwan trotz
der Thaleinſchnitte des Aras und Kur beſitzt, fällt in Weſt-
Armenien ziemlich außer Betracht. Dort gibt es überall lange

1 Vgl. A. Jaubert, Voy. 117. Neueſtens hatte das in Erzerum er-
ſchienene Vilajets-Amtsblatt „Emwarie-Scharkie“ (Licht des Oſtens) ver-
ſprochen, die Namen aller derjenigen mit goldenen Lettern zu veröffent-
lichen, welche ſich beeilen würden (kurz vor dem letzten Kriege) in die
Reihen der Vaterlandsvertheidiger zu eilen. Als auf Grund dieſer ſpon-
tanen Kundgebung bald hierauf das Stambuler Kriegsminiſterium den
Ankauf von Pferden telegraphiſch anordnete, beeilte ſich der Gouverneur
(Ismail Paſcha) auf eigene Fauſt nach Conſtantinopel zurückzumelden,
daß die Einwohner ſeines Vilajets kein Geld annehmen, ſondern aus
Patriotismus alle ihre Pferde der Regierung zur Verfügung ſtellen …
In der That confiscirte (!) Ismail Paſcha die entſprechende Anzahl von
Pferden, ohne einen Para hierfür auszugeben. Dafür heimſte er Beglück-
wünſchungen und Auszeichnungen von Stambul in reichlichem Maße ein.
(„Allg. Ztg.“, Nr. 61, 1877.) Das war eben wieder eine ganz eigene
Art von Vergewaltigung, ändert aber am Weſen der Sache nichts.
2 Southgate, bei Ritter, a. a. O.
3 Ueber die Erzerumer Kirchenbauten Näheres bei W. Hamilton,
„Asia minor“, I, 178.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0089" n="57"/><fw place="top" type="header">Erzerums alte Baure&#x017F;te. &#x2014; Hoch-Armenien.</fw><lb/>
&#x2014; ihren Tribut abzuliefern. Das klingt wunderlich genug, i&#x017F;t<lb/>
aber eine That&#x017F;ache. Jedermann, der Janit&#x017F;char werden wollte,<lb/>
hatte eine gewi&#x017F;&#x017F;e, vorher vom Beglerbeg normirte Summe dem<lb/>
Stellvertreter des Padi&#x017F;chah abzuliefern, wonach es ihm unbe-<lb/>
nommen blieb, &#x017F;ich &#x017F;eine Einkünfte auf immer welche Art, durch<lb/>
Erpre&#x017F;&#x017F;ung, willkürlichen Steuerzwang, oder ganz gemeinen Raub<lb/>
zu ver&#x017F;chaffen<note place="foot" n="1">Vgl. A. Jaubert, <hi rendition="#aq">Voy.</hi> 117. Neue&#x017F;tens hatte das in Erzerum er-<lb/>
&#x017F;chienene Vilajets-Amtsblatt &#x201E;Emwarie-Scharkie&#x201C; (Licht des O&#x017F;tens) ver-<lb/>
&#x017F;prochen, die Namen aller derjenigen mit goldenen Lettern zu veröffent-<lb/>
lichen, welche &#x017F;ich beeilen würden (kurz vor dem letzten Kriege) in die<lb/>
Reihen der Vaterlandsvertheidiger zu eilen. Als auf Grund die&#x017F;er &#x017F;pon-<lb/>
tanen Kundgebung bald hierauf das Stambuler Kriegsmini&#x017F;terium den<lb/>
Ankauf von Pferden telegraphi&#x017F;ch anordnete, beeilte &#x017F;ich der Gouverneur<lb/>
(Ismail Pa&#x017F;cha) auf eigene Fau&#x017F;t nach Con&#x017F;tantinopel zurückzumelden,<lb/>
daß die Einwohner &#x017F;eines Vilajets kein Geld annehmen, &#x017F;ondern aus<lb/>
Patriotismus alle ihre Pferde der Regierung zur Verfügung &#x017F;tellen &#x2026;<lb/>
In der That confiscirte (!) Ismail Pa&#x017F;cha die ent&#x017F;prechende Anzahl von<lb/>
Pferden, ohne einen Para hierfür auszugeben. Dafür heim&#x017F;te er Beglück-<lb/>
wün&#x017F;chungen und Auszeichnungen von Stambul in reichlichem Maße ein.<lb/>
(&#x201E;Allg. Ztg.&#x201C;, Nr. 61, 1877.) Das war eben wieder eine ganz eigene<lb/>
Art von Vergewaltigung, ändert aber am We&#x017F;en der Sache nichts.</note> &#x2026; Das Ca&#x017F;tell &#x017F;cheint indeß gleichfalls römi&#x017F;chen<lb/>
Ur&#x017F;prungs zu &#x017F;ein, &#x017F;owie das Zeughaus zunäch&#x017F;t des Tabri&#x017F;er<lb/>
Thores, an dem noch vor fünfzig Jahren römi&#x017F;che Wappen zu<lb/>
&#x017F;ehen waren<note place="foot" n="2">Southgate, bei Ritter, a. a. O.</note>. Dafür &#x017F;ind die chri&#x017F;tlichen Kirchen mei&#x017F;t aus<lb/>
Holz<note place="foot" n="3">Ueber die Erzerumer Kirchenbauten Näheres bei W. Hamilton,<lb/><hi rendition="#aq">&#x201E;Asia minor&#x201C;, I,</hi> 178.</note>, die Mo&#x017F;cheen verwahrlo&#x017F;t und äußerlich voll Unrath,<lb/>
&#x017F;owie die zahlreichen Ga&#x017F;&#x017F;en, in denen die Jauche in Folge des<lb/>
geringen Gefälles der&#x017F;elben, bis auf die, Miasmen ausathmenden<lb/>
Rück&#x017F;tände, er&#x017F;t nach vielen Tagen verdun&#x017F;tet. Daß es an<lb/>
Tau&#x017F;enden der &#x017F;chakalartigen herrenlo&#x017F;er Straßenköter allezeit<lb/>
nicht fehlte, i&#x017F;t für eine türki&#x017F;che Stadt &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich.</p><lb/>
        <p>Wir wollen nun einen Blick auf das Ge&#x017F;ammtbild Hoch-<lb/>
Armeniens werfen. Der ausge&#x017F;prochene Charakter eines Plateau-<lb/>
Landes, den O&#x017F;t-Armenien zwi&#x017F;chen Erzerum und Eriwan trotz<lb/>
der Thalein&#x017F;chnitte des Aras und Kur be&#x017F;itzt, fällt in We&#x017F;t-<lb/>
Armenien ziemlich außer Betracht. Dort gibt es überall lange<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0089] Erzerums alte Baureſte. — Hoch-Armenien. — ihren Tribut abzuliefern. Das klingt wunderlich genug, iſt aber eine Thatſache. Jedermann, der Janitſchar werden wollte, hatte eine gewiſſe, vorher vom Beglerbeg normirte Summe dem Stellvertreter des Padiſchah abzuliefern, wonach es ihm unbe- nommen blieb, ſich ſeine Einkünfte auf immer welche Art, durch Erpreſſung, willkürlichen Steuerzwang, oder ganz gemeinen Raub zu verſchaffen 1 … Das Caſtell ſcheint indeß gleichfalls römiſchen Urſprungs zu ſein, ſowie das Zeughaus zunächſt des Tabriſer Thores, an dem noch vor fünfzig Jahren römiſche Wappen zu ſehen waren 2. Dafür ſind die chriſtlichen Kirchen meiſt aus Holz 3, die Moſcheen verwahrloſt und äußerlich voll Unrath, ſowie die zahlreichen Gaſſen, in denen die Jauche in Folge des geringen Gefälles derſelben, bis auf die, Miasmen ausathmenden Rückſtände, erſt nach vielen Tagen verdunſtet. Daß es an Tauſenden der ſchakalartigen herrenloſer Straßenköter allezeit nicht fehlte, iſt für eine türkiſche Stadt ſelbſtverſtändlich. Wir wollen nun einen Blick auf das Geſammtbild Hoch- Armeniens werfen. Der ausgeſprochene Charakter eines Plateau- Landes, den Oſt-Armenien zwiſchen Erzerum und Eriwan trotz der Thaleinſchnitte des Aras und Kur beſitzt, fällt in Weſt- Armenien ziemlich außer Betracht. Dort gibt es überall lange 1 Vgl. A. Jaubert, Voy. 117. Neueſtens hatte das in Erzerum er- ſchienene Vilajets-Amtsblatt „Emwarie-Scharkie“ (Licht des Oſtens) ver- ſprochen, die Namen aller derjenigen mit goldenen Lettern zu veröffent- lichen, welche ſich beeilen würden (kurz vor dem letzten Kriege) in die Reihen der Vaterlandsvertheidiger zu eilen. Als auf Grund dieſer ſpon- tanen Kundgebung bald hierauf das Stambuler Kriegsminiſterium den Ankauf von Pferden telegraphiſch anordnete, beeilte ſich der Gouverneur (Ismail Paſcha) auf eigene Fauſt nach Conſtantinopel zurückzumelden, daß die Einwohner ſeines Vilajets kein Geld annehmen, ſondern aus Patriotismus alle ihre Pferde der Regierung zur Verfügung ſtellen … In der That confiscirte (!) Ismail Paſcha die entſprechende Anzahl von Pferden, ohne einen Para hierfür auszugeben. Dafür heimſte er Beglück- wünſchungen und Auszeichnungen von Stambul in reichlichem Maße ein. („Allg. Ztg.“, Nr. 61, 1877.) Das war eben wieder eine ganz eigene Art von Vergewaltigung, ändert aber am Weſen der Sache nichts. 2 Southgate, bei Ritter, a. a. O. 3 Ueber die Erzerumer Kirchenbauten Näheres bei W. Hamilton, „Asia minor“, I, 178.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/89
Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/89>, abgerufen am 21.11.2024.