Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Zur älteren Literatur der Armenier. Individualität, ja selbst für die ethnische, wie bei so manchemVolke Asiens spurlos verwischt und die armenische Sprache, zu- mal das Classisch-haikanische der Forschung auf immerdar ent- zogen worden. Diese Thatsache allein würde aber nicht genügt haben, wenn diese jungen Triebe nicht in einer anderen, bedeu- tenden Persönlichkeit Wurzeln gefaßt hätten, in jener des weit- aus begabtesten und gebildetsten aller alt-armenischen Literaten Moses, nach seinem Geburtsorte "Chorene" im Gaue Daron am Muradflusse so genannt. Moses fand bei Beginn seiner Thätig- keit, die ein volles Jahrhundert umfaßte (er lebte 120 Jahre, 370--490 n. Ch.), nur alte Volks- und Heldengesänge1 vor, die er zum Theile selbst noch augenscheinlich von herumziehenden Rhapsoden, zum Klange primitiver Instrumente executiren hörte und die ihrem Inhalte nach, wohl noch Anklänge an die irani- schen Heldensagen, wie sie später Firdusi niederschrieb und poetisch erweiterte, gewesen sein mochten und somit sich in heidnisch- heroischen Vorstellungen der Vorzeit bewegten. Wir haben schon oben darauf hingewiesen, daß diese geistige Verwandtschaft des armenischen Volkes mit den Iraniern nicht vollends bedeutungslos in Bezug auf die tiefere ethnische Verwandtschaft zu sein vermag, da am Ende die gleichen uralten Sagenbilder, bei der räumlich geringen Entfernung der beiden Völker, in einer gemeinsamen ethnologischen Vergangenheit und Abstammung wurzeln müssen. 1 Eines dieser wildpoetischen Fragmente historischer Lieder, jenes die
Geburt Wahagn's betreffend, lautet etwa wie folgt: "In Geburtsschmerzen lag der Himmel, in Geburtsschmerzen die Erde; in Geburtsschmerzen lag das purpurne Meer und lag das röthliche Schilfrohr im Meere. Aus des Rohres Munde kam Rauch empor, aus des Rohres Munde kam Flamme empor, und aus der Flamme entstieg eilends der blonde Jüng- ling. Feuer hatte er an den Haaren und Flammen hatte er im Barte, und die Augen und die Ohren waren Sonnen." (Vgl. Neumann, a. a. O.) Derlei Heldengesänge wurden in Armenien an gewissen Festtagen gesungen und man bringt sie, augenscheinlich nicht ohne einige Berechtigung, mit den alt-persischen Zohak-Todtenfeiern am Demavend (bei Teheran) in Ver- bindung. Von Zohak, dem bösen Principe (aber nicht in seiner vollsten Bedeutung), abzustammen, rühmten sich bekanntlich nicht nur mythische Dynastien, sondern auch der Meder Dejokes und häufiger noch die Herrscherfamilien Kabuls, dieser Stadt, in welche der Satan bei seinem Sturze mitten hineingefallen. (Vgl. Braun, "Naturgeschichte d. Sage", I, 132.) Zur älteren Literatur der Armenier. Individualität, ja ſelbſt für die ethniſche, wie bei ſo manchemVolke Aſiens ſpurlos verwiſcht und die armeniſche Sprache, zu- mal das Claſſiſch-haikaniſche der Forſchung auf immerdar ent- zogen worden. Dieſe Thatſache allein würde aber nicht genügt haben, wenn dieſe jungen Triebe nicht in einer anderen, bedeu- tenden Perſönlichkeit Wurzeln gefaßt hätten, in jener des weit- aus begabteſten und gebildetſten aller alt-armeniſchen Literaten Moſes, nach ſeinem Geburtsorte „Chorene“ im Gaue Daron am Muradfluſſe ſo genannt. Moſes fand bei Beginn ſeiner Thätig- keit, die ein volles Jahrhundert umfaßte (er lebte 120 Jahre, 370—490 n. Ch.), nur alte Volks- und Heldengeſänge1 vor, die er zum Theile ſelbſt noch augenſcheinlich von herumziehenden Rhapſoden, zum Klange primitiver Inſtrumente executiren hörte und die ihrem Inhalte nach, wohl noch Anklänge an die irani- ſchen Heldenſagen, wie ſie ſpäter Firduſi niederſchrieb und poetiſch erweiterte, geweſen ſein mochten und ſomit ſich in heidniſch- heroiſchen Vorſtellungen der Vorzeit bewegten. Wir haben ſchon oben darauf hingewieſen, daß dieſe geiſtige Verwandtſchaft des armeniſchen Volkes mit den Iraniern nicht vollends bedeutungslos in Bezug auf die tiefere ethniſche Verwandtſchaft zu ſein vermag, da am Ende die gleichen uralten Sagenbilder, bei der räumlich geringen Entfernung der beiden Völker, in einer gemeinſamen ethnologiſchen Vergangenheit und Abſtammung wurzeln müſſen. 1 Eines dieſer wildpoetiſchen Fragmente hiſtoriſcher Lieder, jenes die
Geburt Wahagn’s betreffend, lautet etwa wie folgt: „In Geburtsſchmerzen lag der Himmel, in Geburtsſchmerzen die Erde; in Geburtsſchmerzen lag das purpurne Meer und lag das röthliche Schilfrohr im Meere. Aus des Rohres Munde kam Rauch empor, aus des Rohres Munde kam Flamme empor, und aus der Flamme entſtieg eilends der blonde Jüng- ling. Feuer hatte er an den Haaren und Flammen hatte er im Barte, und die Augen und die Ohren waren Sonnen.“ (Vgl. Neumann, a. a. O.) Derlei Heldengeſänge wurden in Armenien an gewiſſen Feſttagen geſungen und man bringt ſie, augenſcheinlich nicht ohne einige Berechtigung, mit den alt-perſiſchen Zohak-Todtenfeiern am Demavend (bei Teheran) in Ver- bindung. Von Zohak, dem böſen Principe (aber nicht in ſeiner vollſten Bedeutung), abzuſtammen, rühmten ſich bekanntlich nicht nur mythiſche Dynaſtien, ſondern auch der Meder Dejokes und häufiger noch die Herrſcherfamilien Kabuls, dieſer Stadt, in welche der Satan bei ſeinem Sturze mitten hineingefallen. (Vgl. Braun, „Naturgeſchichte d. Sage“, I, 132.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0095" n="63"/><fw place="top" type="header">Zur älteren Literatur der Armenier.</fw><lb/> Individualität, ja ſelbſt für die ethniſche, wie bei ſo manchem<lb/> Volke Aſiens ſpurlos verwiſcht und die armeniſche Sprache, zu-<lb/> mal das Claſſiſch-haikaniſche der Forſchung auf immerdar ent-<lb/> zogen worden. Dieſe Thatſache allein würde aber nicht genügt<lb/> haben, wenn dieſe jungen Triebe nicht in einer anderen, bedeu-<lb/> tenden Perſönlichkeit Wurzeln gefaßt hätten, in jener des weit-<lb/> aus begabteſten und gebildetſten aller alt-armeniſchen Literaten<lb/> Moſes, nach ſeinem Geburtsorte „Chorene“ im Gaue Daron am<lb/> Muradfluſſe ſo genannt. Moſes fand bei Beginn ſeiner Thätig-<lb/> keit, die ein volles Jahrhundert umfaßte (er lebte 120 Jahre,<lb/> 370—490 n. Ch.), nur alte Volks- und Heldengeſänge<note place="foot" n="1">Eines dieſer wildpoetiſchen Fragmente hiſtoriſcher Lieder, jenes die<lb/> Geburt Wahagn’s betreffend, lautet etwa wie folgt: „In Geburtsſchmerzen<lb/> lag der Himmel, in Geburtsſchmerzen die Erde; in Geburtsſchmerzen lag<lb/> das purpurne Meer und lag das röthliche Schilfrohr im Meere. Aus<lb/> des Rohres Munde kam Rauch empor, aus des Rohres Munde kam<lb/> Flamme empor, und aus der Flamme entſtieg eilends der blonde Jüng-<lb/> ling. Feuer hatte er an den Haaren und Flammen hatte er im Barte,<lb/> und die Augen und die Ohren waren Sonnen.“ (Vgl. Neumann, a. a. O.)<lb/> Derlei Heldengeſänge wurden in Armenien an gewiſſen Feſttagen geſungen<lb/> und man bringt ſie, augenſcheinlich nicht ohne einige Berechtigung, mit<lb/> den alt-perſiſchen Zohak-Todtenfeiern am Demavend (bei Teheran) in Ver-<lb/> bindung. Von Zohak, dem böſen Principe (aber nicht in ſeiner vollſten<lb/> Bedeutung), abzuſtammen, rühmten ſich bekanntlich nicht nur mythiſche<lb/> Dynaſtien, ſondern auch der Meder Dejokes und häufiger noch die<lb/> Herrſcherfamilien Kabuls, dieſer Stadt, in welche der Satan bei ſeinem<lb/> Sturze mitten hineingefallen. (Vgl. Braun, „Naturgeſchichte d. Sage“, <hi rendition="#aq">I</hi>, 132.)</note> vor, die<lb/> er zum Theile ſelbſt noch augenſcheinlich von herumziehenden<lb/> Rhapſoden, zum Klange primitiver Inſtrumente executiren hörte<lb/> und die ihrem Inhalte nach, wohl noch Anklänge an die irani-<lb/> ſchen Heldenſagen, wie ſie ſpäter Firduſi niederſchrieb und poetiſch<lb/> erweiterte, geweſen ſein mochten und ſomit ſich in heidniſch-<lb/> heroiſchen Vorſtellungen der Vorzeit bewegten. Wir haben ſchon<lb/> oben darauf hingewieſen, daß dieſe geiſtige Verwandtſchaft des<lb/> armeniſchen Volkes mit den Iraniern nicht vollends bedeutungslos<lb/> in Bezug auf die tiefere ethniſche Verwandtſchaft zu ſein vermag,<lb/> da am Ende die gleichen uralten Sagenbilder, bei der räumlich<lb/> geringen Entfernung der beiden Völker, in einer gemeinſamen<lb/> ethnologiſchen Vergangenheit und Abſtammung wurzeln müſſen.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [63/0095]
Zur älteren Literatur der Armenier.
Individualität, ja ſelbſt für die ethniſche, wie bei ſo manchem
Volke Aſiens ſpurlos verwiſcht und die armeniſche Sprache, zu-
mal das Claſſiſch-haikaniſche der Forſchung auf immerdar ent-
zogen worden. Dieſe Thatſache allein würde aber nicht genügt
haben, wenn dieſe jungen Triebe nicht in einer anderen, bedeu-
tenden Perſönlichkeit Wurzeln gefaßt hätten, in jener des weit-
aus begabteſten und gebildetſten aller alt-armeniſchen Literaten
Moſes, nach ſeinem Geburtsorte „Chorene“ im Gaue Daron am
Muradfluſſe ſo genannt. Moſes fand bei Beginn ſeiner Thätig-
keit, die ein volles Jahrhundert umfaßte (er lebte 120 Jahre,
370—490 n. Ch.), nur alte Volks- und Heldengeſänge 1 vor, die
er zum Theile ſelbſt noch augenſcheinlich von herumziehenden
Rhapſoden, zum Klange primitiver Inſtrumente executiren hörte
und die ihrem Inhalte nach, wohl noch Anklänge an die irani-
ſchen Heldenſagen, wie ſie ſpäter Firduſi niederſchrieb und poetiſch
erweiterte, geweſen ſein mochten und ſomit ſich in heidniſch-
heroiſchen Vorſtellungen der Vorzeit bewegten. Wir haben ſchon
oben darauf hingewieſen, daß dieſe geiſtige Verwandtſchaft des
armeniſchen Volkes mit den Iraniern nicht vollends bedeutungslos
in Bezug auf die tiefere ethniſche Verwandtſchaft zu ſein vermag,
da am Ende die gleichen uralten Sagenbilder, bei der räumlich
geringen Entfernung der beiden Völker, in einer gemeinſamen
ethnologiſchen Vergangenheit und Abſtammung wurzeln müſſen.
1 Eines dieſer wildpoetiſchen Fragmente hiſtoriſcher Lieder, jenes die
Geburt Wahagn’s betreffend, lautet etwa wie folgt: „In Geburtsſchmerzen
lag der Himmel, in Geburtsſchmerzen die Erde; in Geburtsſchmerzen lag
das purpurne Meer und lag das röthliche Schilfrohr im Meere. Aus
des Rohres Munde kam Rauch empor, aus des Rohres Munde kam
Flamme empor, und aus der Flamme entſtieg eilends der blonde Jüng-
ling. Feuer hatte er an den Haaren und Flammen hatte er im Barte,
und die Augen und die Ohren waren Sonnen.“ (Vgl. Neumann, a. a. O.)
Derlei Heldengeſänge wurden in Armenien an gewiſſen Feſttagen geſungen
und man bringt ſie, augenſcheinlich nicht ohne einige Berechtigung, mit
den alt-perſiſchen Zohak-Todtenfeiern am Demavend (bei Teheran) in Ver-
bindung. Von Zohak, dem böſen Principe (aber nicht in ſeiner vollſten
Bedeutung), abzuſtammen, rühmten ſich bekanntlich nicht nur mythiſche
Dynaſtien, ſondern auch der Meder Dejokes und häufiger noch die
Herrſcherfamilien Kabuls, dieſer Stadt, in welche der Satan bei ſeinem
Sturze mitten hineingefallen. (Vgl. Braun, „Naturgeſchichte d. Sage“, I, 132.)
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