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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Hoch-Armenien.
Alle diese Gesänge und selbst die späteren Lieder noch1, waren
der metrischen Form nach immer noch sehr unvollkommen, und
es bedurfte erst der Vermittlung der Araber, um hierin zu
größerer Entwickelung und Vollendung zu gelangen. Um die
Mitte des 11. Jahrhunderts zeichnete sich besonders der Parther-
Prinz Gregor Magistros durch eine in Versen abgefaßte Ueber-
setzung des neuen Testaments aus, welches Werk er in nur drei
Tagen (mit 1000 Zeilen Umfang) verfaßt haben soll2. Es war
das Signal zu einer Art dichterischen Wettkampfes, obgleich
Gregors Stärke nicht die Poesie, sondern die Wissenschaft, zumal
die Mathematik war, in der er sich durch Uebersetzung griechischer
Fachwerke den Culturträgern seines Volkes hochgradig nützlich
erwies. Die schöne Literatur blieb gleichwohl der beliebteste
Tummelplatz, auf dem ein Salum, Aharan und der bedeutendere
Narses, genannt der Clajenser (aus Rum-Kaleh in Nord-Syrien),
nach einander auftraten. Letzterer hat den Untergang, beziehungs-
weise den Verlust Edessas (1144) in einem prächtigen Poem be-
trauert, das die Klosterbrüder von Etschmiadsin noch heute sorg-
fältig hüten3.

Productiv waren indeß die ersten armenischen Schriftsteller
gleichwohl nur in sehr bescheidenem Grade. Es fehlte dem Volke,
wie ja leicht erklärlich, an der nothwendigen intellectuellen Durch-
bildung und von der Barbarei bis zum vollpulsenden Cultur-
leben ist's eben mehr, als blos ein Schritt. So begnügte man
sich anfänglich mit der Uebertragung der verschiedenartigsten
Werke aus den Literaturen der meisten Völker und erscheinen in
dieser Richtung namentlich die Leistungen Moses von Chorene
von hervorragender Bedeutung. Seine umfassenden Reisen, sein
Aufenthalt in Constantinopel, Athen und Rom, seine Sprach-,
Länder- und Völkerkenntnisse berechtigten ihn vollends in Arme-
nien eine Uebersetzungs-Literatur zu schaffen, deren Verbreitung
und deren Eingreifen in das religiös-politische und sociale Leben
gerade in einer Zeit platzgriff, wo sich Europa in tiefster Bar-
barei befand, und der Glanz der römischen Weltherrschaft durch

1 Im armenischen Gesangbuche "Scharagnoz". (Bei Neumann, a. a. O.)
2 St. Martin "Memoire sur l'Armenie", I, 9.
3 Ritter, a. a. O.

Hoch-Armenien.
Alle dieſe Geſänge und ſelbſt die ſpäteren Lieder noch1, waren
der metriſchen Form nach immer noch ſehr unvollkommen, und
es bedurfte erſt der Vermittlung der Araber, um hierin zu
größerer Entwickelung und Vollendung zu gelangen. Um die
Mitte des 11. Jahrhunderts zeichnete ſich beſonders der Parther-
Prinz Gregor Magiſtros durch eine in Verſen abgefaßte Ueber-
ſetzung des neuen Teſtaments aus, welches Werk er in nur drei
Tagen (mit 1000 Zeilen Umfang) verfaßt haben ſoll2. Es war
das Signal zu einer Art dichteriſchen Wettkampfes, obgleich
Gregors Stärke nicht die Poeſie, ſondern die Wiſſenſchaft, zumal
die Mathematik war, in der er ſich durch Ueberſetzung griechiſcher
Fachwerke den Culturträgern ſeines Volkes hochgradig nützlich
erwies. Die ſchöne Literatur blieb gleichwohl der beliebteſte
Tummelplatz, auf dem ein Salum, Aharan und der bedeutendere
Narſes, genannt der Clajenſer (aus Rum-Kaleh in Nord-Syrien),
nach einander auftraten. Letzterer hat den Untergang, beziehungs-
weiſe den Verluſt Edeſſas (1144) in einem prächtigen Poëm be-
trauert, das die Kloſterbrüder von Etſchmiadſin noch heute ſorg-
fältig hüten3.

Productiv waren indeß die erſten armeniſchen Schriftſteller
gleichwohl nur in ſehr beſcheidenem Grade. Es fehlte dem Volke,
wie ja leicht erklärlich, an der nothwendigen intellectuellen Durch-
bildung und von der Barbarei bis zum vollpulſenden Cultur-
leben iſt’s eben mehr, als blos ein Schritt. So begnügte man
ſich anfänglich mit der Uebertragung der verſchiedenartigſten
Werke aus den Literaturen der meiſten Völker und erſcheinen in
dieſer Richtung namentlich die Leiſtungen Moſes von Chorene
von hervorragender Bedeutung. Seine umfaſſenden Reiſen, ſein
Aufenthalt in Conſtantinopel, Athen und Rom, ſeine Sprach-,
Länder- und Völkerkenntniſſe berechtigten ihn vollends in Arme-
nien eine Ueberſetzungs-Literatur zu ſchaffen, deren Verbreitung
und deren Eingreifen in das religiös-politiſche und ſociale Leben
gerade in einer Zeit platzgriff, wo ſich Europa in tiefſter Bar-
barei befand, und der Glanz der römiſchen Weltherrſchaft durch

1 Im armeniſchen Geſangbuche „Scharagnoz“. (Bei Neumann, a. a. O.)
2 St. Martin „Mémoire sur l’Arménie“, I, 9.
3 Ritter, a. a. O.
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[64/0096] Hoch-Armenien. Alle dieſe Geſänge und ſelbſt die ſpäteren Lieder noch 1, waren der metriſchen Form nach immer noch ſehr unvollkommen, und es bedurfte erſt der Vermittlung der Araber, um hierin zu größerer Entwickelung und Vollendung zu gelangen. Um die Mitte des 11. Jahrhunderts zeichnete ſich beſonders der Parther- Prinz Gregor Magiſtros durch eine in Verſen abgefaßte Ueber- ſetzung des neuen Teſtaments aus, welches Werk er in nur drei Tagen (mit 1000 Zeilen Umfang) verfaßt haben ſoll 2. Es war das Signal zu einer Art dichteriſchen Wettkampfes, obgleich Gregors Stärke nicht die Poeſie, ſondern die Wiſſenſchaft, zumal die Mathematik war, in der er ſich durch Ueberſetzung griechiſcher Fachwerke den Culturträgern ſeines Volkes hochgradig nützlich erwies. Die ſchöne Literatur blieb gleichwohl der beliebteſte Tummelplatz, auf dem ein Salum, Aharan und der bedeutendere Narſes, genannt der Clajenſer (aus Rum-Kaleh in Nord-Syrien), nach einander auftraten. Letzterer hat den Untergang, beziehungs- weiſe den Verluſt Edeſſas (1144) in einem prächtigen Poëm be- trauert, das die Kloſterbrüder von Etſchmiadſin noch heute ſorg- fältig hüten 3. Productiv waren indeß die erſten armeniſchen Schriftſteller gleichwohl nur in ſehr beſcheidenem Grade. Es fehlte dem Volke, wie ja leicht erklärlich, an der nothwendigen intellectuellen Durch- bildung und von der Barbarei bis zum vollpulſenden Cultur- leben iſt’s eben mehr, als blos ein Schritt. So begnügte man ſich anfänglich mit der Uebertragung der verſchiedenartigſten Werke aus den Literaturen der meiſten Völker und erſcheinen in dieſer Richtung namentlich die Leiſtungen Moſes von Chorene von hervorragender Bedeutung. Seine umfaſſenden Reiſen, ſein Aufenthalt in Conſtantinopel, Athen und Rom, ſeine Sprach-, Länder- und Völkerkenntniſſe berechtigten ihn vollends in Arme- nien eine Ueberſetzungs-Literatur zu ſchaffen, deren Verbreitung und deren Eingreifen in das religiös-politiſche und ſociale Leben gerade in einer Zeit platzgriff, wo ſich Europa in tiefſter Bar- barei befand, und der Glanz der römiſchen Weltherrſchaft durch 1 Im armeniſchen Geſangbuche „Scharagnoz“. (Bei Neumann, a. a. O.) 2 St. Martin „Mémoire sur l’Arménie“, I, 9. 3 Ritter, a. a. O.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/96>, abgerufen am 21.11.2024.