Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Zur älteren Literatur der Armenier. die Völkerwanderung eben vom Erdboden hinweggefegt wurde.Nebst verschiedenen Original-Gedichten, dann der Uebersetzung der Chronik des Eusebius, ist Moses' bedeutendstes Werk wohl seine auf Geheiß des Bagratiden Isaak verfaßte "Geschichte Armeniens". Von den Uranfängen der armenischen Traditionen, der Wanderung Haiks1 und seiner Enkel, geht der Annalist auf die historischen Epochen, zumal auf die, mit Armenien so eng verflochtene Arsa- ciden-Herrschaft über, wobei er bereits die Aufzeichnungen Aga- thangelus', die Zeitgeschichte Tiridates' und Gregors erweiterte, und die reichen historischen Schätze der Bibliothek zu Edessa aus- beutet2. Ohne dies Compendium, das im Laufe der Zeit freilich in Copien mancherlei Verstümmelungen und Lücken erfahren mußte, wäre es unserer Forschung, zumal aber den armenischen Conservatoren ihrer Literatur selbst vollends unmöglich gewesen, auch nur den kleinsten Einblick in die geistige Vergangenheit des Volkes zu gewinnen. Eine armenische Specialgeschichte von voll- kommen nationalem Gepräge gibt und gab es nun freilich nie- mals, die fraglichen Werke mögen aber immerhin kostbar genug erscheinen, um gewisse Lücken im Zusammenhange der Ereignisse im nordöstlichen Vorder-Asien leidlich auszufüllen. Von geringerer Bedeutung ist Moses' armenische Geographie, 1 Interessant erscheint hiebei ein Passus, der sich auf die Sprache der Armenier bezieht ... "Als die Menschen jenes himmelstürmende Bau- werk (von Babel) zu errichten strebten, wurden dem am Frevel mit- betheiligten Stammvater der Armenier, Haik, zur Strafe "unerhörte Laute" in seine Sprache geworfen." Da das Armenische noch heute an solchen Lauten keinen Mangel hat (schon Mesrop mühte sich mit verschiedenen Lautzeichen seines Alphabetes ab), so steht es fest, daß das Armenische gleichaltrig mit dem babylonischen Thurmbaue sei. (Nach Schröder bei Lagarde, "Armenische Studien", 191.) 2 Vgl. Neumann, a. a. O., 3. Schweiger-Lerchenfeld, Freih. von, Armenien. 5
Zur älteren Literatur der Armenier. die Völkerwanderung eben vom Erdboden hinweggefegt wurde.Nebſt verſchiedenen Original-Gedichten, dann der Ueberſetzung der Chronik des Euſebius, iſt Moſes’ bedeutendſtes Werk wohl ſeine auf Geheiß des Bagratiden Iſaak verfaßte „Geſchichte Armeniens“. Von den Uranfängen der armeniſchen Traditionen, der Wanderung Haiks1 und ſeiner Enkel, geht der Annaliſt auf die hiſtoriſchen Epochen, zumal auf die, mit Armenien ſo eng verflochtene Arſa- ciden-Herrſchaft über, wobei er bereits die Aufzeichnungen Aga- thangelus’, die Zeitgeſchichte Tiridates’ und Gregors erweiterte, und die reichen hiſtoriſchen Schätze der Bibliothek zu Edeſſa aus- beutet2. Ohne dies Compendium, das im Laufe der Zeit freilich in Copien mancherlei Verſtümmelungen und Lücken erfahren mußte, wäre es unſerer Forſchung, zumal aber den armeniſchen Conſervatoren ihrer Literatur ſelbſt vollends unmöglich geweſen, auch nur den kleinſten Einblick in die geiſtige Vergangenheit des Volkes zu gewinnen. Eine armeniſche Specialgeſchichte von voll- kommen nationalem Gepräge gibt und gab es nun freilich nie- mals, die fraglichen Werke mögen aber immerhin koſtbar genug erſcheinen, um gewiſſe Lücken im Zuſammenhange der Ereigniſſe im nordöſtlichen Vorder-Aſien leidlich auszufüllen. Von geringerer Bedeutung iſt Moſes’ armeniſche Geographie, 1 Intereſſant erſcheint hiebei ein Paſſus, der ſich auf die Sprache der Armenier bezieht … „Als die Menſchen jenes himmelſtürmende Bau- werk (von Babel) zu errichten ſtrebten, wurden dem am Frevel mit- betheiligten Stammvater der Armenier, Haik, zur Strafe „unerhörte Laute“ in ſeine Sprache geworfen.“ Da das Armeniſche noch heute an ſolchen Lauten keinen Mangel hat (ſchon Mesrop mühte ſich mit verſchiedenen Lautzeichen ſeines Alphabetes ab), ſo ſteht es feſt, daß das Armeniſche gleichaltrig mit dem babyloniſchen Thurmbaue ſei. (Nach Schröder bei Lagarde, „Armeniſche Studien“, 191.) 2 Vgl. Neumann, a. a. O., 3. Schweiger-Lerchenfeld, Freih. von, Armenien. 5
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Zur älteren Literatur der Armenier.
die Völkerwanderung eben vom Erdboden hinweggefegt wurde.
Nebſt verſchiedenen Original-Gedichten, dann der Ueberſetzung der
Chronik des Euſebius, iſt Moſes’ bedeutendſtes Werk wohl ſeine auf
Geheiß des Bagratiden Iſaak verfaßte „Geſchichte Armeniens“.
Von den Uranfängen der armeniſchen Traditionen, der Wanderung
Haiks 1 und ſeiner Enkel, geht der Annaliſt auf die hiſtoriſchen
Epochen, zumal auf die, mit Armenien ſo eng verflochtene Arſa-
ciden-Herrſchaft über, wobei er bereits die Aufzeichnungen Aga-
thangelus’, die Zeitgeſchichte Tiridates’ und Gregors erweiterte,
und die reichen hiſtoriſchen Schätze der Bibliothek zu Edeſſa aus-
beutet 2. Ohne dies Compendium, das im Laufe der Zeit
freilich in Copien mancherlei Verſtümmelungen und Lücken erfahren
mußte, wäre es unſerer Forſchung, zumal aber den armeniſchen
Conſervatoren ihrer Literatur ſelbſt vollends unmöglich geweſen,
auch nur den kleinſten Einblick in die geiſtige Vergangenheit des
Volkes zu gewinnen. Eine armeniſche Specialgeſchichte von voll-
kommen nationalem Gepräge gibt und gab es nun freilich nie-
mals, die fraglichen Werke mögen aber immerhin koſtbar genug
erſcheinen, um gewiſſe Lücken im Zuſammenhange der Ereigniſſe
im nordöſtlichen Vorder-Aſien leidlich auszufüllen.
Von geringerer Bedeutung iſt Moſes’ armeniſche Geographie,
die übrigens ihn nicht in ihrem vollen Umfange zum Verfaſſer
hat. Hatte nämlich ſchon deſſen armeniſche Geſchichte mancherlei
Verſtümmelungen erfahren, ſo gilt dies in Bezug auf das zweite
fragliche Werk inſoferne in noch höherem Maße, als es in dem-
ſelben Abſchnitte gibt, die wohl nur Ueberſetzungen der allge-
meinen Geographie des Papus von Alexandria ſein dürften und
nur durch weitläufige Zuſätze, die engere armeniſche Heimat
1 Intereſſant erſcheint hiebei ein Paſſus, der ſich auf die Sprache
der Armenier bezieht … „Als die Menſchen jenes himmelſtürmende Bau-
werk (von Babel) zu errichten ſtrebten, wurden dem am Frevel mit-
betheiligten Stammvater der Armenier, Haik, zur Strafe „unerhörte Laute“
in ſeine Sprache geworfen.“ Da das Armeniſche noch heute an ſolchen
Lauten keinen Mangel hat (ſchon Mesrop mühte ſich mit verſchiedenen
Lautzeichen ſeines Alphabetes ab), ſo ſteht es feſt, daß das Armeniſche
gleichaltrig mit dem babyloniſchen Thurmbaue ſei. (Nach Schröder bei
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2 Vgl. Neumann, a. a. O., 3.
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