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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Im Reiche der Cyklopen: eine populäre Darstellung der Stahl- und Eisentechnik. Wien u. a., 1900.

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Zweiter Abschnitt.
der Hauptöffnung; die Länge des von diesen Tauen unmittelbar getragenen
Theiles der Fahrbahn mißt 100 Meter (doppelt so viel als bei der Niagara-
Seilbrücke).

Die Großartigkeit dieses Bauwerkes erfaßt den Beschauer erst dann in vollem
Maße, wenn er sich auf die luftige Höhe des Strombrückenfeldes begiebt und auf
die breite Spiegelfläche des East River mit seinem reichbewegten Leben hinabschaut.
Welch ein verkörperter Riesentrotz in dieser Kraftleistung menschlichen Könnens
liegt, erfaßt man erst hier oben, mit dem Ausblick auf das unübersehbare Häuser-
meer des größten amerikanischen Emporiums, mit seinen durch gewaltige Flußläufe
-- welche Meeresarmen gleichen -- geschiedenen Stadttheilen. Wir haben zu unserer
Linken das eigentliche New-York, dessen langgestrecktes Häusermeer sich tief im
Hintergrunde der Manchatten-Insel verliert. Ueber die Spitze New-Yorks hinweg
sehen wir jenseits des majestätischen Hudson den Stadttheil Hoboken; weiter Newark,
etwas tiefer herab Jersey City und das grüne Juwel Staten Island mit seiner
idyllischen Abgeschiedenheit: ein romantischer Wellenbrecher vor dem weiten Ocean,
der dort zwischen den Hafenbefestigungen, an Brooklyn vorüber, dem Hudson ent-
gegenfluthet.

Und dieses Brooklyn selber, auf das wir rechter Hand hinabschauen: ist es
nicht eine Großstadt für sich, ebenbürtig der stolzen und prächtigen Stammmutter?
Bis in weite Ferne, wo im Weichbilde des Häusermeeres von Brooklyn grünes
Land sich öffnet und Schienenwege nach allen Richtungen Long Island durch-
furchen, dringt der Blick des Beschauers -- abwechselnd nach vier Weltrichtungen
gewendet -- wie sich großartiger, herrlicher, lebensvoller ein zweites auf der Erde
nicht wiederfindet.

Nach Fertigstellung der Brooklyn-Brücke würde Niemand zu ahnen gewagt
haben, daß nach Ablauf einer verhältnißmäßig kurzen Zeit in New-York Brücken-
werke geschaffen würden, welche Röbling's gigantischen Bau theils erreichen,
theils übertreffen. Von diesen Brückenwerken sind allerdings erst zwei realisirt
worden -- die beiden neuen Brücken über den East River -- während die Krone
unter diesen Schöpfungen -- die Lindenthal'sche Hängebrücke über den Hudson
-- vorläufig über das Stadium des Projectes nicht hinausgekommen ist. Von den
beiden erstgenannten Brücken zeigt die eine große Aehnlichkeit mit der älteren
Brooklyn-Brücke, wie sie denn auch die gleiche größte Spannweite -- 487 Meter
-- aufweist; die zweite neue Brücke über den East River ist nach dem Kragsystem
ausgeführt und wird von ihr weiter unten die Rede sein. Die Hängebrücke ist
hier in ihrer Gesammtansicht abgebildet (Fig. 266), während eine zweite Darstellung
(Fig. 267) die Anordnung der Pfeiler veranschaulicht.

Was nun das von Gustav Lindenthal (Chefingenieur der North River
Bridge Company in New-York) geplante Riesenwerk anbelangt, folgen wir hier aus-
zugsweise einem Vortrage, welchen derselbe am 14. Jänner 1896 im Verein für
Eisenbahnkunde in Berlin gehalten hat. Um die Bedeutung dieses Projectes klar zu

Zweiter Abſchnitt.
der Hauptöffnung; die Länge des von dieſen Tauen unmittelbar getragenen
Theiles der Fahrbahn mißt 100 Meter (doppelt ſo viel als bei der Niagara-
Seilbrücke).

Die Großartigkeit dieſes Bauwerkes erfaßt den Beſchauer erſt dann in vollem
Maße, wenn er ſich auf die luftige Höhe des Strombrückenfeldes begiebt und auf
die breite Spiegelfläche des Eaſt River mit ſeinem reichbewegten Leben hinabſchaut.
Welch ein verkörperter Rieſentrotz in dieſer Kraftleiſtung menſchlichen Könnens
liegt, erfaßt man erſt hier oben, mit dem Ausblick auf das unüberſehbare Häuſer-
meer des größten amerikaniſchen Emporiums, mit ſeinen durch gewaltige Flußläufe
— welche Meeresarmen gleichen — geſchiedenen Stadttheilen. Wir haben zu unſerer
Linken das eigentliche New-York, deſſen langgeſtrecktes Häuſermeer ſich tief im
Hintergrunde der Manchatten-Inſel verliert. Ueber die Spitze New-Yorks hinweg
ſehen wir jenſeits des majeſtätiſchen Hudſon den Stadttheil Hoboken; weiter Newark,
etwas tiefer herab Jerſey City und das grüne Juwel Staten Island mit ſeiner
idylliſchen Abgeſchiedenheit: ein romantiſcher Wellenbrecher vor dem weiten Ocean,
der dort zwiſchen den Hafenbefeſtigungen, an Brooklyn vorüber, dem Hudſon ent-
gegenfluthet.

Und dieſes Brooklyn ſelber, auf das wir rechter Hand hinabſchauen: iſt es
nicht eine Großſtadt für ſich, ebenbürtig der ſtolzen und prächtigen Stammmutter?
Bis in weite Ferne, wo im Weichbilde des Häuſermeeres von Brooklyn grünes
Land ſich öffnet und Schienenwege nach allen Richtungen Long Island durch-
furchen, dringt der Blick des Beſchauers — abwechſelnd nach vier Weltrichtungen
gewendet — wie ſich großartiger, herrlicher, lebensvoller ein zweites auf der Erde
nicht wiederfindet.

Nach Fertigſtellung der Brooklyn-Brücke würde Niemand zu ahnen gewagt
haben, daß nach Ablauf einer verhältnißmäßig kurzen Zeit in New-York Brücken-
werke geſchaffen würden, welche Röbling's gigantiſchen Bau theils erreichen,
theils übertreffen. Von dieſen Brückenwerken ſind allerdings erſt zwei realiſirt
worden — die beiden neuen Brücken über den Eaſt River — während die Krone
unter dieſen Schöpfungen — die Lindenthal'ſche Hängebrücke über den Hudſon
— vorläufig über das Stadium des Projectes nicht hinausgekommen iſt. Von den
beiden erſtgenannten Brücken zeigt die eine große Aehnlichkeit mit der älteren
Brooklyn-Brücke, wie ſie denn auch die gleiche größte Spannweite — 487 Meter
— aufweiſt; die zweite neue Brücke über den Eaſt River iſt nach dem Kragſyſtem
ausgeführt und wird von ihr weiter unten die Rede ſein. Die Hängebrücke iſt
hier in ihrer Geſammtanſicht abgebildet (Fig. 266), während eine zweite Darſtellung
(Fig. 267) die Anordnung der Pfeiler veranſchaulicht.

Was nun das von Guſtav Lindenthal (Chefingenieur der North River
Bridge Company in New-York) geplante Rieſenwerk anbelangt, folgen wir hier aus-
zugsweiſe einem Vortrage, welchen derſelbe am 14. Jänner 1896 im Verein für
Eiſenbahnkunde in Berlin gehalten hat. Um die Bedeutung dieſes Projectes klar zu

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[330/0370] Zweiter Abſchnitt. der Hauptöffnung; die Länge des von dieſen Tauen unmittelbar getragenen Theiles der Fahrbahn mißt 100 Meter (doppelt ſo viel als bei der Niagara- Seilbrücke). Die Großartigkeit dieſes Bauwerkes erfaßt den Beſchauer erſt dann in vollem Maße, wenn er ſich auf die luftige Höhe des Strombrückenfeldes begiebt und auf die breite Spiegelfläche des Eaſt River mit ſeinem reichbewegten Leben hinabſchaut. Welch ein verkörperter Rieſentrotz in dieſer Kraftleiſtung menſchlichen Könnens liegt, erfaßt man erſt hier oben, mit dem Ausblick auf das unüberſehbare Häuſer- meer des größten amerikaniſchen Emporiums, mit ſeinen durch gewaltige Flußläufe — welche Meeresarmen gleichen — geſchiedenen Stadttheilen. Wir haben zu unſerer Linken das eigentliche New-York, deſſen langgeſtrecktes Häuſermeer ſich tief im Hintergrunde der Manchatten-Inſel verliert. Ueber die Spitze New-Yorks hinweg ſehen wir jenſeits des majeſtätiſchen Hudſon den Stadttheil Hoboken; weiter Newark, etwas tiefer herab Jerſey City und das grüne Juwel Staten Island mit ſeiner idylliſchen Abgeſchiedenheit: ein romantiſcher Wellenbrecher vor dem weiten Ocean, der dort zwiſchen den Hafenbefeſtigungen, an Brooklyn vorüber, dem Hudſon ent- gegenfluthet. Und dieſes Brooklyn ſelber, auf das wir rechter Hand hinabſchauen: iſt es nicht eine Großſtadt für ſich, ebenbürtig der ſtolzen und prächtigen Stammmutter? Bis in weite Ferne, wo im Weichbilde des Häuſermeeres von Brooklyn grünes Land ſich öffnet und Schienenwege nach allen Richtungen Long Island durch- furchen, dringt der Blick des Beſchauers — abwechſelnd nach vier Weltrichtungen gewendet — wie ſich großartiger, herrlicher, lebensvoller ein zweites auf der Erde nicht wiederfindet. Nach Fertigſtellung der Brooklyn-Brücke würde Niemand zu ahnen gewagt haben, daß nach Ablauf einer verhältnißmäßig kurzen Zeit in New-York Brücken- werke geſchaffen würden, welche Röbling's gigantiſchen Bau theils erreichen, theils übertreffen. Von dieſen Brückenwerken ſind allerdings erſt zwei realiſirt worden — die beiden neuen Brücken über den Eaſt River — während die Krone unter dieſen Schöpfungen — die Lindenthal'ſche Hängebrücke über den Hudſon — vorläufig über das Stadium des Projectes nicht hinausgekommen iſt. Von den beiden erſtgenannten Brücken zeigt die eine große Aehnlichkeit mit der älteren Brooklyn-Brücke, wie ſie denn auch die gleiche größte Spannweite — 487 Meter — aufweiſt; die zweite neue Brücke über den Eaſt River iſt nach dem Kragſyſtem ausgeführt und wird von ihr weiter unten die Rede ſein. Die Hängebrücke iſt hier in ihrer Geſammtanſicht abgebildet (Fig. 266), während eine zweite Darſtellung (Fig. 267) die Anordnung der Pfeiler veranſchaulicht. Was nun das von Guſtav Lindenthal (Chefingenieur der North River Bridge Company in New-York) geplante Rieſenwerk anbelangt, folgen wir hier aus- zugsweiſe einem Vortrage, welchen derſelbe am 14. Jänner 1896 im Verein für Eiſenbahnkunde in Berlin gehalten hat. Um die Bedeutung dieſes Projectes klar zu

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Im Reiche der Cyklopen: eine populäre Darstellung der Stahl- und Eisentechnik. Wien u. a., 1900, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_cyklopen_1900/370>, abgerufen am 21.11.2024.