wesentliche Verstärkung gaben und dadurch das Rohr bei Anwendung großer Pulverladungen vor dem Zerspringen bewahrten oder doch bewahren sollten.
In den nächsten Jahren ging es mit der Ausgestaltung der neuen Geschütz- systeme recht langsam vorwärts. Sehr behindernd wirkte hierbei ein Umstand, den man vorher gar nicht erwogen hatte, nämlich der, daß das gezogene Rohr bezüglich der Geschoßbewegung den Pulvergasen einen größeren Widerstand entgegensetzte, die Gasspannungen daher erheblich höher waren, als bei den glatten Vorderladern. Das Maximum dieses Widerstandes, beziehungsweise die Höhe der Gasspannung, ergab sich beim gezogenen Hinterlader, da hier das Geschoß in die Züge gepreßt wurde, also aller Spielraum aufgehoben war.
Damit trat ein neues Problem auf die Bildfläche. Wollte man die Geschoß- geschwindigkeit steigern, so war dies zunächst nur zu erreichen, daß man sich für größere Pulverladungen entschied, bei gleichzeitiger Verwendung eines besseren Geschützmateriales. Da aber letzteres zunächst nicht vorhanden war, kam man auf den Gedanken, eine Pulvergattung herzustellen, welche von minderer brisanter Wirkung, als das bisherige sein sollte, d. h. durch ein Pulver von langsamerer Verbrennungsdauer sollten die hohen Gasspannungen aufgehoben werden. Es kam aber noch ein anderer Umstand hinzu, der das Problem noch mehr verwickelte. In den Siebziger- jahren war nämlich die "Panzerfrage" in den Vordergrund aller militärtechnischen Fragen getreten. Es entspann sich langsam, aber stetig fortschreitend, der Wettstreit zwischen Geschütz und Panzer, von welchem bereits an anderer Stelle die Rede war. Daraus entwickelte sich jener gewaltige Fortschritt auf dem Gebiete der Geschütztechnik, welcher zuerst seinen Einfluß auf die Schiffspanzer und Küstenvertheidigungswerke und neuerdings auch auf die Binnenlandbefestigungen ausgeübt hat.
Daß bei der Schiffs- und Küstenartillerie wegen Wegfalles jeder Orts- veränderung der Geschütze und ferner wegen der wachsenden Widerstandsfähigkeit der gegnerischen Schutzvorrichtungen sich die Steigerung der Leistungen am groß- artigsten zeigte, liegt in der Natur der Sache. Diese Steigerung, welche sich in der Vergrößerung der Durchschlagskraft der Geschosse äußert, ist, abgesehen von der richtigen Auswahl des Geschoßmaterials, nur erreichbar durch Vergrößerung der leben- digen Kraft des Projectils beim Auftreffen, welche sich ihrerseits aus der Endgeschwin- digkeit und dem Geschoßgewicht ergiebt. Letzteres kann nur vermehrt werden durch Ver- größerung des Calibers des Rohres, sowie die Länge des Geschosses, während die hohe Fluggeschwindigkeit erreicht wird durch starke Ladungen langsam verbrennen- den Pulvers im Vereine mit einer großen Länge des Geschützrohres. Das Rohr ist hierbei durch die nicht plötzlich erfolgende Explosion der ganzen Ladung gegen das Zerspringen gesichert, während wiederum die sich entwickelnden Gase auf dem ganzen Wege, welchen das Geschoß im Rohre zurücklegt, mit wachsender Kraft auf dieses wirken.
Es ist nun von großem Interesse, die Entwickelung der Dinge, wie sie vor- stehend nach ihren principiellen Gesichtspunkten gekennzeichnet wurden, zu verfolgen.
Erſter Abſchnitt.
weſentliche Verſtärkung gaben und dadurch das Rohr bei Anwendung großer Pulverladungen vor dem Zerſpringen bewahrten oder doch bewahren ſollten.
In den nächſten Jahren ging es mit der Ausgeſtaltung der neuen Geſchütz- ſyſteme recht langſam vorwärts. Sehr behindernd wirkte hierbei ein Umſtand, den man vorher gar nicht erwogen hatte, nämlich der, daß das gezogene Rohr bezüglich der Geſchoßbewegung den Pulvergaſen einen größeren Widerſtand entgegenſetzte, die Gasſpannungen daher erheblich höher waren, als bei den glatten Vorderladern. Das Maximum dieſes Widerſtandes, beziehungsweiſe die Höhe der Gasſpannung, ergab ſich beim gezogenen Hinterlader, da hier das Geſchoß in die Züge gepreßt wurde, alſo aller Spielraum aufgehoben war.
Damit trat ein neues Problem auf die Bildfläche. Wollte man die Geſchoß- geſchwindigkeit ſteigern, ſo war dies zunächſt nur zu erreichen, daß man ſich für größere Pulverladungen entſchied, bei gleichzeitiger Verwendung eines beſſeren Geſchützmateriales. Da aber letzteres zunächſt nicht vorhanden war, kam man auf den Gedanken, eine Pulvergattung herzuſtellen, welche von minderer briſanter Wirkung, als das bisherige ſein ſollte, d. h. durch ein Pulver von langſamerer Verbrennungsdauer ſollten die hohen Gasſpannungen aufgehoben werden. Es kam aber noch ein anderer Umſtand hinzu, der das Problem noch mehr verwickelte. In den Siebziger- jahren war nämlich die »Panzerfrage« in den Vordergrund aller militärtechniſchen Fragen getreten. Es entſpann ſich langſam, aber ſtetig fortſchreitend, der Wettſtreit zwiſchen Geſchütz und Panzer, von welchem bereits an anderer Stelle die Rede war. Daraus entwickelte ſich jener gewaltige Fortſchritt auf dem Gebiete der Geſchütztechnik, welcher zuerſt ſeinen Einfluß auf die Schiffspanzer und Küſtenvertheidigungswerke und neuerdings auch auf die Binnenlandbefeſtigungen ausgeübt hat.
Daß bei der Schiffs- und Küſtenartillerie wegen Wegfalles jeder Orts- veränderung der Geſchütze und ferner wegen der wachſenden Widerſtandsfähigkeit der gegneriſchen Schutzvorrichtungen ſich die Steigerung der Leiſtungen am groß- artigſten zeigte, liegt in der Natur der Sache. Dieſe Steigerung, welche ſich in der Vergrößerung der Durchſchlagskraft der Geſchoſſe äußert, iſt, abgeſehen von der richtigen Auswahl des Geſchoßmaterials, nur erreichbar durch Vergrößerung der leben- digen Kraft des Projectils beim Auftreffen, welche ſich ihrerſeits aus der Endgeſchwin- digkeit und dem Geſchoßgewicht ergiebt. Letzteres kann nur vermehrt werden durch Ver- größerung des Calibers des Rohres, ſowie die Länge des Geſchoſſes, während die hohe Fluggeſchwindigkeit erreicht wird durch ſtarke Ladungen langſam verbrennen- den Pulvers im Vereine mit einer großen Länge des Geſchützrohres. Das Rohr iſt hierbei durch die nicht plötzlich erfolgende Exploſion der ganzen Ladung gegen das Zerſpringen geſichert, während wiederum die ſich entwickelnden Gaſe auf dem ganzen Wege, welchen das Geſchoß im Rohre zurücklegt, mit wachſender Kraft auf dieſes wirken.
Es iſt nun von großem Intereſſe, die Entwickelung der Dinge, wie ſie vor- ſtehend nach ihren principiellen Geſichtspunkten gekennzeichnet wurden, zu verfolgen.
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Erſter Abſchnitt.
weſentliche Verſtärkung gaben und dadurch das Rohr bei Anwendung großer
Pulverladungen vor dem Zerſpringen bewahrten oder doch bewahren ſollten.
In den nächſten Jahren ging es mit der Ausgeſtaltung der neuen Geſchütz-
ſyſteme recht langſam vorwärts. Sehr behindernd wirkte hierbei ein Umſtand, den
man vorher gar nicht erwogen hatte, nämlich der, daß das gezogene Rohr bezüglich
der Geſchoßbewegung den Pulvergaſen einen größeren Widerſtand entgegenſetzte,
die Gasſpannungen daher erheblich höher waren, als bei den glatten Vorderladern.
Das Maximum dieſes Widerſtandes, beziehungsweiſe die Höhe der Gasſpannung,
ergab ſich beim gezogenen Hinterlader, da hier das Geſchoß in die Züge gepreßt
wurde, alſo aller Spielraum aufgehoben war.
Damit trat ein neues Problem auf die Bildfläche. Wollte man die Geſchoß-
geſchwindigkeit ſteigern, ſo war dies zunächſt nur zu erreichen, daß man ſich für größere
Pulverladungen entſchied, bei gleichzeitiger Verwendung eines beſſeren Geſchützmateriales.
Da aber letzteres zunächſt nicht vorhanden war, kam man auf den Gedanken,
eine Pulvergattung herzuſtellen, welche von minderer briſanter Wirkung, als das
bisherige ſein ſollte, d. h. durch ein Pulver von langſamerer Verbrennungsdauer
ſollten die hohen Gasſpannungen aufgehoben werden. Es kam aber noch ein
anderer Umſtand hinzu, der das Problem noch mehr verwickelte. In den Siebziger-
jahren war nämlich die »Panzerfrage« in den Vordergrund aller militärtechniſchen
Fragen getreten. Es entſpann ſich langſam, aber ſtetig fortſchreitend, der Wettſtreit
zwiſchen Geſchütz und Panzer, von welchem bereits an anderer Stelle die Rede war.
Daraus entwickelte ſich jener gewaltige Fortſchritt auf dem Gebiete der Geſchütztechnik,
welcher zuerſt ſeinen Einfluß auf die Schiffspanzer und Küſtenvertheidigungswerke
und neuerdings auch auf die Binnenlandbefeſtigungen ausgeübt hat.
Daß bei der Schiffs- und Küſtenartillerie wegen Wegfalles jeder Orts-
veränderung der Geſchütze und ferner wegen der wachſenden Widerſtandsfähigkeit
der gegneriſchen Schutzvorrichtungen ſich die Steigerung der Leiſtungen am groß-
artigſten zeigte, liegt in der Natur der Sache. Dieſe Steigerung, welche ſich in
der Vergrößerung der Durchſchlagskraft der Geſchoſſe äußert, iſt, abgeſehen von der
richtigen Auswahl des Geſchoßmaterials, nur erreichbar durch Vergrößerung der leben-
digen Kraft des Projectils beim Auftreffen, welche ſich ihrerſeits aus der Endgeſchwin-
digkeit und dem Geſchoßgewicht ergiebt. Letzteres kann nur vermehrt werden durch Ver-
größerung des Calibers des Rohres, ſowie die Länge des Geſchoſſes, während die
hohe Fluggeſchwindigkeit erreicht wird durch ſtarke Ladungen langſam verbrennen-
den Pulvers im Vereine mit einer großen Länge des Geſchützrohres. Das Rohr
iſt hierbei durch die nicht plötzlich erfolgende Exploſion der ganzen Ladung gegen
das Zerſpringen geſichert, während wiederum die ſich entwickelnden Gaſe auf dem
ganzen Wege, welchen das Geſchoß im Rohre zurücklegt, mit wachſender Kraft auf
dieſes wirken.
Es iſt nun von großem Intereſſe, die Entwickelung der Dinge, wie ſie vor-
ſtehend nach ihren principiellen Geſichtspunkten gekennzeichnet wurden, zu verfolgen.
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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Im Reiche der Cyklopen: eine populäre Darstellung der Stahl- und Eisentechnik. Wien u. a., 1900, S. 686. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_cyklopen_1900/760>, abgerufen am 22.11.2024.
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