pse_086.001 mit Gefühl zu tun. Gerade die moderne Lyrik sei dadurch pse_086.002 vielfach gekennzeichnet. Schon aus diesen Einwänden ersieht pse_086.003 man, daß der Erlebnisbegriff selber schwankt. Dilthey sieht in pse_086.004 ihm einen Lebensmoment, in dem sich dem Dichter ein Zug pse_086.005 des Lebens offenbare. Andere treffen Scheidungen: Ermatinger pse_086.006 unterscheidet Stofferlebnis, in dem ein Stück Welt den pse_086.007 Anstoß gibt, Gedankenerlebnis, das von einem geistigen Zusammenhang pse_086.008 angeregt wird, und Formerlebnis, wo die pse_086.009 künstlerische Gestaltung den Dichter ergreift. J. Körner unterscheidet pse_086.010 zwischen Erlebnissen aus der Realität und solchen aus pse_086.011 der Phantasie, Gundolf Erlebnisse aus wirklicher Weltbegegnung pse_086.012 und Bildungserlebnisse aus der Begegnung mit Menschenwerken. pse_086.013 Man hat bald erkannt, daß sich diese Scheidungen pse_086.014 nie allgemein und scharf durchführen lassen. Bei einiger pse_086.015 Überlegung, was wir unter Erlebnis zu verstehen haben, ist pse_086.016 dieser Begriff aber noch durchaus brauchbar.
pse_086.017 Jedesmal, wenn wir einem Stück Welt, äußerer oder pse_086.018 innerer, begegnen, sprechen wir von Erfahrung. Wenn diese pse_086.019 Erfahrung tief in unser Inneres eindringt, auf tiefe Seelenkräfte pse_086.020 wirkt und sie erregt, sprechen wir von Erlebnissen. Sie pse_086.021 können in verschiedener Hinsicht sehr mannigfaltig sein. Sie pse_086.022 bewegen sich einmal zwischen den Polen stärkster und deutlichster pse_086.023 Ausprägung als einmaligen Seelenvorgangs und pse_086.024 schwacher, mehr verfließender Andeutung. Sie können nur pse_086.025 bestimmten Individuen zukommen oder auch einer ganzen pse_086.026 Gemeinschaft. Sie können sich bewegen zwischen klarer bewußter pse_086.027 Ausgeprägtheit und Regungen im Unterbewußten, pse_086.028 sie können von einem Stück der Außenwelt ausgehen oder pse_086.029 von inneren Vorgängen. Solch ein Erlebnis wird auch pse_086.030 dann vorhanden sein, wenn Dichtung aus einem Auftrag pse_086.031 erwächst; denn nur, wenn dieser Auftrag irgendwie ins Innere pse_086.032 des Dichters greift, dort einen tieferen Vorgang auslöst, wird es pse_086.033 zu einem Kunstwerk kommen. Und auch Distanz, Kälte, pse_086.034 Verzweiflung, Grübeln sind seelisch tiefe Reaktionen, ebenso pse_086.035 der Fanatismus des Gestaltens. Man darf bei den Worten pse_086.036 Erlebnis und Gemüt nicht immer an warme, liebe Gefühle, an pse_086.037 Weinen, Rührung und Gemütlichkeit denken, sondern da pse_086.038 sind tiefste Schichten unseres Innern, unser Wesensgrund
pse_086.001 mit Gefühl zu tun. Gerade die moderne Lyrik sei dadurch pse_086.002 vielfach gekennzeichnet. Schon aus diesen Einwänden ersieht pse_086.003 man, daß der Erlebnisbegriff selber schwankt. Dilthey sieht in pse_086.004 ihm einen Lebensmoment, in dem sich dem Dichter ein Zug pse_086.005 des Lebens offenbare. Andere treffen Scheidungen: Ermatinger pse_086.006 unterscheidet Stofferlebnis, in dem ein Stück Welt den pse_086.007 Anstoß gibt, Gedankenerlebnis, das von einem geistigen Zusammenhang pse_086.008 angeregt wird, und Formerlebnis, wo die pse_086.009 künstlerische Gestaltung den Dichter ergreift. J. Körner unterscheidet pse_086.010 zwischen Erlebnissen aus der Realität und solchen aus pse_086.011 der Phantasie, Gundolf Erlebnisse aus wirklicher Weltbegegnung pse_086.012 und Bildungserlebnisse aus der Begegnung mit Menschenwerken. pse_086.013 Man hat bald erkannt, daß sich diese Scheidungen pse_086.014 nie allgemein und scharf durchführen lassen. Bei einiger pse_086.015 Überlegung, was wir unter Erlebnis zu verstehen haben, ist pse_086.016 dieser Begriff aber noch durchaus brauchbar.
pse_086.017 Jedesmal, wenn wir einem Stück Welt, äußerer oder pse_086.018 innerer, begegnen, sprechen wir von Erfahrung. Wenn diese pse_086.019 Erfahrung tief in unser Inneres eindringt, auf tiefe Seelenkräfte pse_086.020 wirkt und sie erregt, sprechen wir von Erlebnissen. Sie pse_086.021 können in verschiedener Hinsicht sehr mannigfaltig sein. Sie pse_086.022 bewegen sich einmal zwischen den Polen stärkster und deutlichster pse_086.023 Ausprägung als einmaligen Seelenvorgangs und pse_086.024 schwacher, mehr verfließender Andeutung. Sie können nur pse_086.025 bestimmten Individuen zukommen oder auch einer ganzen pse_086.026 Gemeinschaft. Sie können sich bewegen zwischen klarer bewußter pse_086.027 Ausgeprägtheit und Regungen im Unterbewußten, pse_086.028 sie können von einem Stück der Außenwelt ausgehen oder pse_086.029 von inneren Vorgängen. Solch ein Erlebnis wird auch pse_086.030 dann vorhanden sein, wenn Dichtung aus einem Auftrag pse_086.031 erwächst; denn nur, wenn dieser Auftrag irgendwie ins Innere pse_086.032 des Dichters greift, dort einen tieferen Vorgang auslöst, wird es pse_086.033 zu einem Kunstwerk kommen. Und auch Distanz, Kälte, pse_086.034 Verzweiflung, Grübeln sind seelisch tiefe Reaktionen, ebenso pse_086.035 der Fanatismus des Gestaltens. Man darf bei den Worten pse_086.036 Erlebnis und Gemüt nicht immer an warme, liebe Gefühle, an pse_086.037 Weinen, Rührung und Gemütlichkeit denken, sondern da pse_086.038 sind tiefste Schichten unseres Innern, unser Wesensgrund
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mit Gefühl zu tun. Gerade die moderne Lyrik sei dadurch pse_086.002
vielfach gekennzeichnet. Schon aus diesen Einwänden ersieht pse_086.003
man, daß der Erlebnisbegriff selber schwankt. Dilthey sieht in pse_086.004
ihm einen Lebensmoment, in dem sich dem Dichter ein Zug pse_086.005
des Lebens offenbare. Andere treffen Scheidungen: Ermatinger pse_086.006
unterscheidet Stofferlebnis, in dem ein Stück Welt den pse_086.007
Anstoß gibt, Gedankenerlebnis, das von einem geistigen Zusammenhang pse_086.008
angeregt wird, und Formerlebnis, wo die pse_086.009
künstlerische Gestaltung den Dichter ergreift. J. Körner unterscheidet pse_086.010
zwischen Erlebnissen aus der Realität und solchen aus pse_086.011
der Phantasie, Gundolf Erlebnisse aus wirklicher Weltbegegnung pse_086.012
und Bildungserlebnisse aus der Begegnung mit Menschenwerken. pse_086.013
Man hat bald erkannt, daß sich diese Scheidungen pse_086.014
nie allgemein und scharf durchführen lassen. Bei einiger pse_086.015
Überlegung, was wir unter Erlebnis zu verstehen haben, ist pse_086.016
dieser Begriff aber noch durchaus brauchbar.
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Jedesmal, wenn wir einem Stück Welt, äußerer oder pse_086.018
innerer, begegnen, sprechen wir von Erfahrung. Wenn diese pse_086.019
Erfahrung tief in unser Inneres eindringt, auf tiefe Seelenkräfte pse_086.020
wirkt und sie erregt, sprechen wir von Erlebnissen. Sie pse_086.021
können in verschiedener Hinsicht sehr mannigfaltig sein. Sie pse_086.022
bewegen sich einmal zwischen den Polen stärkster und deutlichster pse_086.023
Ausprägung als einmaligen Seelenvorgangs und pse_086.024
schwacher, mehr verfließender Andeutung. Sie können nur pse_086.025
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Ausgeprägtheit und Regungen im Unterbewußten, pse_086.028
sie können von einem Stück der Außenwelt ausgehen oder pse_086.029
von inneren Vorgängen. Solch ein Erlebnis wird auch pse_086.030
dann vorhanden sein, wenn Dichtung aus einem Auftrag pse_086.031
erwächst; denn nur, wenn dieser Auftrag irgendwie ins Innere pse_086.032
des Dichters greift, dort einen tieferen Vorgang auslöst, wird es pse_086.033
zu einem Kunstwerk kommen. Und auch Distanz, Kälte, pse_086.034
Verzweiflung, Grübeln sind seelisch tiefe Reaktionen, ebenso pse_086.035
der Fanatismus des Gestaltens. Man darf bei den Worten pse_086.036
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/102>, abgerufen am 21.11.2024.
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