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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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in alle Tiefen und Weiten erlaubt, braucht nicht eigens betont pse_130.002
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Ein anderer Erlebniskreis ist der Bildungsraum, in dem sich pse_130.004
der Mensch entfaltet, der ihm den Widerhalt gibt, an dem er pse_130.005
stark wird oder zerbricht: Familie, Sippe, Gemeinde, Stamm, pse_130.006
Volk, Staat, Kirche. Auch hier gilt das gleiche: es kann beim pse_130.007
engen oder oberflächlichen Blick bleiben, und das Gedicht pse_130.008
verliert an Wert. Oder es kann aus diesem Raum heraus die pse_130.009
Dichtung uns in die Weite und Tiefe blicken lassen.

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Besondere Schicksale, die den Menschen treffen, werden in pse_130.011
mannigfacher Weise in der Dichtung Gestalt. Eines davon ist pse_130.012
der Krieg. Die zwei Weltkriege unseres Jahrhunderts haben pse_130.013
die Kriegsdichtung in scharfe Beleuchtung gerückt. Wir pse_130.014
denken hier nicht an Zweckdichtung, sondern an die Art, pse_130.015
wie der Krieg den einzelnen Menschen packt. Der eine fühlt pse_130.016
sich erschüttert und dem Untergang nahe, den anderen reißt pse_130.017
er zum Wesentlichen empor, wieder einen öffnet er erst recht pse_130.018
der Menschenliebe, andere der Gemeinschaft. Oder er erschließt pse_130.019
die Möglichkeiten des Unheimlichen, Wahnsinnigen pse_130.020
und Grotesken. Aber wir dürfen, um die Möglichkeiten des pse_130.021
Krieges in der Dichtung zu erkennen, nicht in unserem Jahrhundert pse_130.022
allein verweilen. Große Werke der Weltliteratur pse_130.023
haben uns gezeigt, welche tiefen menschlich-dichterischen pse_130.024
Gestaltungen aus seinem Erlebnis hervorgegangen sind: die pse_130.025
Kampfschilderungen der "Ilias", der Durchbruch des Menschlichen pse_130.026
in Wolframs "Willehalm"-Dichtung, der Krieg im pse_130.027
Blick der Barockdichtung, besonders etwa in Grimmelshausens pse_130.028
"Simplizissimus Teutsch", Kleists "Hermannsschlacht" pse_130.029
und Tolstojs "Krieg und Frieden".

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Dieses Werk führt uns zum Lebensraum der Geschichte. pse_130.031
Und auch da ist man mit Aburteilen rasch bei der Hand. Es pse_130.032
drängen sich bei der Wertung sofort Gestaltungsfragen auf; pse_130.033
denn in der Kunstform, die eine Geschichtsdichtung aufweist, pse_130.034
liegt das entscheidende Kriterium für ihren Rang. Wir pse_130.035
wollen hier aber noch den Blick auf das Weltbild aus dem pse_130.036
Geschichtsraum gerichtet halten. Die Mannigfaltigkeit der pse_130.037
Dichtungen, die aus der Geschichte gestalten, sei nur an einigen pse_130.038
Namen rasch angedeutet: Wallenstein, Jürg Jenatsch,

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in alle Tiefen und Weiten erlaubt, braucht nicht eigens betont pse_130.002
zu werden.

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Ein anderer Erlebniskreis ist der Bildungsraum, in dem sich pse_130.004
der Mensch entfaltet, der ihm den Widerhalt gibt, an dem er pse_130.005
stark wird oder zerbricht: Familie, Sippe, Gemeinde, Stamm, pse_130.006
Volk, Staat, Kirche. Auch hier gilt das gleiche: es kann beim pse_130.007
engen oder oberflächlichen Blick bleiben, und das Gedicht pse_130.008
verliert an Wert. Oder es kann aus diesem Raum heraus die pse_130.009
Dichtung uns in die Weite und Tiefe blicken lassen.

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Besondere Schicksale, die den Menschen treffen, werden in pse_130.011
mannigfacher Weise in der Dichtung Gestalt. Eines davon ist pse_130.012
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sich erschüttert und dem Untergang nahe, den anderen reißt pse_130.017
er zum Wesentlichen empor, wieder einen öffnet er erst recht pse_130.018
der Menschenliebe, andere der Gemeinschaft. Oder er erschließt pse_130.019
die Möglichkeiten des Unheimlichen, Wahnsinnigen pse_130.020
und Grotesken. Aber wir dürfen, um die Möglichkeiten des pse_130.021
Krieges in der Dichtung zu erkennen, nicht in unserem Jahrhundert pse_130.022
allein verweilen. Große Werke der Weltliteratur pse_130.023
haben uns gezeigt, welche tiefen menschlich-dichterischen pse_130.024
Gestaltungen aus seinem Erlebnis hervorgegangen sind: die pse_130.025
Kampfschilderungen der »Ilias«, der Durchbruch des Menschlichen pse_130.026
in Wolframs »Willehalm«-Dichtung, der Krieg im pse_130.027
Blick der Barockdichtung, besonders etwa in Grimmelshausens pse_130.028
»Simplizissimus Teutsch«, Kleists »Hermannsschlacht« pse_130.029
und Tolstojs »Krieg und Frieden«.

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Dieses Werk führt uns zum Lebensraum der Geschichte. pse_130.031
Und auch da ist man mit Aburteilen rasch bei der Hand. Es pse_130.032
drängen sich bei der Wertung sofort Gestaltungsfragen auf; pse_130.033
denn in der Kunstform, die eine Geschichtsdichtung aufweist, pse_130.034
liegt das entscheidende Kriterium für ihren Rang. Wir pse_130.035
wollen hier aber noch den Blick auf das Weltbild aus dem pse_130.036
Geschichtsraum gerichtet halten. Die Mannigfaltigkeit der pse_130.037
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[130/0146] pse_130.001 in alle Tiefen und Weiten erlaubt, braucht nicht eigens betont pse_130.002 zu werden. pse_130.003 Ein anderer Erlebniskreis ist der Bildungsraum, in dem sich pse_130.004 der Mensch entfaltet, der ihm den Widerhalt gibt, an dem er pse_130.005 stark wird oder zerbricht: Familie, Sippe, Gemeinde, Stamm, pse_130.006 Volk, Staat, Kirche. Auch hier gilt das gleiche: es kann beim pse_130.007 engen oder oberflächlichen Blick bleiben, und das Gedicht pse_130.008 verliert an Wert. Oder es kann aus diesem Raum heraus die pse_130.009 Dichtung uns in die Weite und Tiefe blicken lassen. pse_130.010 Besondere Schicksale, die den Menschen treffen, werden in pse_130.011 mannigfacher Weise in der Dichtung Gestalt. Eines davon ist pse_130.012 der Krieg. Die zwei Weltkriege unseres Jahrhunderts haben pse_130.013 die Kriegsdichtung in scharfe Beleuchtung gerückt. Wir pse_130.014 denken hier nicht an Zweckdichtung, sondern an die Art, pse_130.015 wie der Krieg den einzelnen Menschen packt. Der eine fühlt pse_130.016 sich erschüttert und dem Untergang nahe, den anderen reißt pse_130.017 er zum Wesentlichen empor, wieder einen öffnet er erst recht pse_130.018 der Menschenliebe, andere der Gemeinschaft. Oder er erschließt pse_130.019 die Möglichkeiten des Unheimlichen, Wahnsinnigen pse_130.020 und Grotesken. Aber wir dürfen, um die Möglichkeiten des pse_130.021 Krieges in der Dichtung zu erkennen, nicht in unserem Jahrhundert pse_130.022 allein verweilen. Große Werke der Weltliteratur pse_130.023 haben uns gezeigt, welche tiefen menschlich-dichterischen pse_130.024 Gestaltungen aus seinem Erlebnis hervorgegangen sind: die pse_130.025 Kampfschilderungen der »Ilias«, der Durchbruch des Menschlichen pse_130.026 in Wolframs »Willehalm«-Dichtung, der Krieg im pse_130.027 Blick der Barockdichtung, besonders etwa in Grimmelshausens pse_130.028 »Simplizissimus Teutsch«, Kleists »Hermannsschlacht« pse_130.029 und Tolstojs »Krieg und Frieden«. pse_130.030 Dieses Werk führt uns zum Lebensraum der Geschichte. pse_130.031 Und auch da ist man mit Aburteilen rasch bei der Hand. Es pse_130.032 drängen sich bei der Wertung sofort Gestaltungsfragen auf; pse_130.033 denn in der Kunstform, die eine Geschichtsdichtung aufweist, pse_130.034 liegt das entscheidende Kriterium für ihren Rang. Wir pse_130.035 wollen hier aber noch den Blick auf das Weltbild aus dem pse_130.036 Geschichtsraum gerichtet halten. Die Mannigfaltigkeit der pse_130.037 Dichtungen, die aus der Geschichte gestalten, sei nur an einigen pse_130.038 Namen rasch angedeutet: Wallenstein, Jürg Jenatsch,

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/146>, abgerufen am 21.11.2024.