pse_131.001 Kronenwächter, Waverley, Witiko, Krieg und Frieden, pse_131.002 Paracelsus. Man könnte vielleicht drei Richtungen sehen, in pse_131.003 die Weite und Tiefe eines Weltbildes aus Geschichtsdichtung pse_131.004 eröffnet werden. Geschichtliches ist für uns das Vergangene, pse_131.005 aber für Menschen dieser Vergangenheit ist es ihre Welt, ihr pse_131.006 Raum, ihre Zeit gewesen: also das Geschichtliche als Lebensraum pse_131.007 von Menschen. So verbindet sich der Reiz des Vergangenen pse_131.008 mit dem des Wirkenden zum Blick auf das Dauernde, pse_131.009 immer Wiederkehrende, Ewige im Menschengeschehen. pse_131.010 Das ist in Scotts Romanen und in Arnims "Kronenwächtern" pse_131.011 der Fall; aber in ganz anderer Weise auch in pse_131.012 Schillers "Wallenstein" und in C. F. Meyers "Jürg Jenatsch". pse_131.013 Hier erleben wir die großen Mächte und unheimlichen Spannungen, pse_131.014 den Widerspruch von großem Einzelnen und Kollektiven, pse_131.015 die sittliche Fragwürdigkeit geschichtlichen Handelns, pse_131.016 die eben immer wieder in gewaltigen Ereignissen das pse_131.017 Menschenleben bestimmen. Ein zweites ist es, wenn der pse_131.018 Dichter aus Geschichtlichem, das heißt Vergangenem, auf das pse_131.019 immer vorhandene Wesenhafte durchstößt, wenn er auch aus pse_131.020 Vergangenem das Ewige, Dauernde einer Lebensform herausholt, pse_131.021 wie es Kolbenheyer im Paracelsusroman versucht. Das pse_131.022 dritte endlich: der Dichter gestaltet die Geschichte selbst: das pse_131.023 Werden, Leben, Vergehen von menschlichen Gemeinschaften, pse_131.024 die Kräfte, die treiben, und damit ein Stück ewigen pse_131.025 Kräftespiels der Welt. Zwei große dichterische Leistungen pse_131.026 dieser Art: Tolstojs "Krieg und Frieden" und Stifters "Witiko".
pse_131.027 Die vorangehenden Betrachtungen über die Wirklichkeit pse_131.028 und den Menschen in der Dichtung haben eines deutlich pse_131.029 gezeigt: es sind sehr wesentliche Zusammenhänge, ohne die pse_131.030 die Dichtung in ihrer Gesamtheit und Eigenart nie voll gesehen pse_131.031 werden kann. Dichtung gestaltet eine Welt und steht in pse_131.032 menschlichen Zusammenhängen. Welcher Art diese Welt ist, pse_131.033 wie sie gesehen wird, welche menschlichen Züge sich in der pse_131.034 Dichtung offenbaren, sind entscheidende Fragen. Aber eben pse_131.035 doch nur ein Fragenbereich.
pse_131.001 Kronenwächter, Waverley, Witiko, Krieg und Frieden, pse_131.002 Paracelsus. Man könnte vielleicht drei Richtungen sehen, in pse_131.003 die Weite und Tiefe eines Weltbildes aus Geschichtsdichtung pse_131.004 eröffnet werden. Geschichtliches ist für uns das Vergangene, pse_131.005 aber für Menschen dieser Vergangenheit ist es ihre Welt, ihr pse_131.006 Raum, ihre Zeit gewesen: also das Geschichtliche als Lebensraum pse_131.007 von Menschen. So verbindet sich der Reiz des Vergangenen pse_131.008 mit dem des Wirkenden zum Blick auf das Dauernde, pse_131.009 immer Wiederkehrende, Ewige im Menschengeschehen. pse_131.010 Das ist in Scotts Romanen und in Arnims »Kronenwächtern« pse_131.011 der Fall; aber in ganz anderer Weise auch in pse_131.012 Schillers »Wallenstein« und in C. F. Meyers »Jürg Jenatsch«. pse_131.013 Hier erleben wir die großen Mächte und unheimlichen Spannungen, pse_131.014 den Widerspruch von großem Einzelnen und Kollektiven, pse_131.015 die sittliche Fragwürdigkeit geschichtlichen Handelns, pse_131.016 die eben immer wieder in gewaltigen Ereignissen das pse_131.017 Menschenleben bestimmen. Ein zweites ist es, wenn der pse_131.018 Dichter aus Geschichtlichem, das heißt Vergangenem, auf das pse_131.019 immer vorhandene Wesenhafte durchstößt, wenn er auch aus pse_131.020 Vergangenem das Ewige, Dauernde einer Lebensform herausholt, pse_131.021 wie es Kolbenheyer im Paracelsusroman versucht. Das pse_131.022 dritte endlich: der Dichter gestaltet die Geschichte selbst: das pse_131.023 Werden, Leben, Vergehen von menschlichen Gemeinschaften, pse_131.024 die Kräfte, die treiben, und damit ein Stück ewigen pse_131.025 Kräftespiels der Welt. Zwei große dichterische Leistungen pse_131.026 dieser Art: Tolstojs »Krieg und Frieden« und Stifters »Witiko«.
pse_131.027 Die vorangehenden Betrachtungen über die Wirklichkeit pse_131.028 und den Menschen in der Dichtung haben eines deutlich pse_131.029 gezeigt: es sind sehr wesentliche Zusammenhänge, ohne die pse_131.030 die Dichtung in ihrer Gesamtheit und Eigenart nie voll gesehen pse_131.031 werden kann. Dichtung gestaltet eine Welt und steht in pse_131.032 menschlichen Zusammenhängen. Welcher Art diese Welt ist, pse_131.033 wie sie gesehen wird, welche menschlichen Züge sich in der pse_131.034 Dichtung offenbaren, sind entscheidende Fragen. Aber eben pse_131.035 doch nur ein Fragenbereich.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0147"n="131"/><lbn="pse_131.001"/>
Kronenwächter, Waverley, Witiko, Krieg und Frieden, <lbn="pse_131.002"/>
Paracelsus. Man könnte vielleicht drei Richtungen sehen, in <lbn="pse_131.003"/>
die Weite und Tiefe eines Weltbildes aus Geschichtsdichtung <lbn="pse_131.004"/>
eröffnet werden. Geschichtliches ist für uns das Vergangene, <lbn="pse_131.005"/>
aber für Menschen dieser Vergangenheit ist es ihre Welt, ihr <lbn="pse_131.006"/>
Raum, ihre Zeit gewesen: also das Geschichtliche als Lebensraum <lbn="pse_131.007"/>
von Menschen. So verbindet sich der Reiz des Vergangenen <lbn="pse_131.008"/>
mit dem des Wirkenden zum Blick auf das Dauernde, <lbn="pse_131.009"/>
immer Wiederkehrende, Ewige im Menschengeschehen. <lbn="pse_131.010"/>
Das ist in Scotts Romanen und in Arnims »Kronenwächtern« <lbn="pse_131.011"/>
der Fall; aber in ganz anderer Weise auch in <lbn="pse_131.012"/>
Schillers »Wallenstein« und in C. F. Meyers »Jürg Jenatsch«. <lbn="pse_131.013"/>
Hier erleben wir die großen Mächte und unheimlichen Spannungen, <lbn="pse_131.014"/>
den Widerspruch von großem Einzelnen und Kollektiven, <lbn="pse_131.015"/>
die sittliche Fragwürdigkeit geschichtlichen Handelns, <lbn="pse_131.016"/>
die eben immer wieder in gewaltigen Ereignissen das <lbn="pse_131.017"/>
Menschenleben bestimmen. Ein zweites ist es, wenn der <lbn="pse_131.018"/>
Dichter aus Geschichtlichem, das heißt Vergangenem, auf das <lbn="pse_131.019"/>
immer vorhandene Wesenhafte durchstößt, wenn er auch aus <lbn="pse_131.020"/>
Vergangenem das Ewige, Dauernde einer Lebensform herausholt, <lbn="pse_131.021"/>
wie es Kolbenheyer im Paracelsusroman versucht. Das <lbn="pse_131.022"/>
dritte endlich: der Dichter gestaltet die Geschichte selbst: das <lbn="pse_131.023"/>
Werden, Leben, Vergehen von menschlichen Gemeinschaften, <lbn="pse_131.024"/>
die Kräfte, die treiben, und damit ein Stück ewigen <lbn="pse_131.025"/>
Kräftespiels der Welt. Zwei große dichterische Leistungen <lbn="pse_131.026"/>
dieser Art: Tolstojs »Krieg und Frieden« und Stifters »Witiko«.</p><p><lbn="pse_131.027"/>
Die vorangehenden Betrachtungen über die Wirklichkeit <lbn="pse_131.028"/>
und den Menschen in der Dichtung haben eines deutlich <lbn="pse_131.029"/>
gezeigt: es sind sehr wesentliche Zusammenhänge, ohne die <lbn="pse_131.030"/>
die Dichtung in ihrer Gesamtheit und Eigenart nie voll gesehen <lbn="pse_131.031"/>
werden kann. Dichtung gestaltet eine Welt und steht in <lbn="pse_131.032"/>
menschlichen Zusammenhängen. Welcher Art diese Welt ist, <lbn="pse_131.033"/>
wie sie gesehen wird, welche menschlichen Züge sich in der <lbn="pse_131.034"/>
Dichtung offenbaren, sind entscheidende Fragen. Aber eben <lbn="pse_131.035"/>
doch nur <hirendition="#g">ein</hi> Fragenbereich.</p></div></div><divn="1"></div></body></text></TEI>
[131/0147]
pse_131.001
Kronenwächter, Waverley, Witiko, Krieg und Frieden, pse_131.002
Paracelsus. Man könnte vielleicht drei Richtungen sehen, in pse_131.003
die Weite und Tiefe eines Weltbildes aus Geschichtsdichtung pse_131.004
eröffnet werden. Geschichtliches ist für uns das Vergangene, pse_131.005
aber für Menschen dieser Vergangenheit ist es ihre Welt, ihr pse_131.006
Raum, ihre Zeit gewesen: also das Geschichtliche als Lebensraum pse_131.007
von Menschen. So verbindet sich der Reiz des Vergangenen pse_131.008
mit dem des Wirkenden zum Blick auf das Dauernde, pse_131.009
immer Wiederkehrende, Ewige im Menschengeschehen. pse_131.010
Das ist in Scotts Romanen und in Arnims »Kronenwächtern« pse_131.011
der Fall; aber in ganz anderer Weise auch in pse_131.012
Schillers »Wallenstein« und in C. F. Meyers »Jürg Jenatsch«. pse_131.013
Hier erleben wir die großen Mächte und unheimlichen Spannungen, pse_131.014
den Widerspruch von großem Einzelnen und Kollektiven, pse_131.015
die sittliche Fragwürdigkeit geschichtlichen Handelns, pse_131.016
die eben immer wieder in gewaltigen Ereignissen das pse_131.017
Menschenleben bestimmen. Ein zweites ist es, wenn der pse_131.018
Dichter aus Geschichtlichem, das heißt Vergangenem, auf das pse_131.019
immer vorhandene Wesenhafte durchstößt, wenn er auch aus pse_131.020
Vergangenem das Ewige, Dauernde einer Lebensform herausholt, pse_131.021
wie es Kolbenheyer im Paracelsusroman versucht. Das pse_131.022
dritte endlich: der Dichter gestaltet die Geschichte selbst: das pse_131.023
Werden, Leben, Vergehen von menschlichen Gemeinschaften, pse_131.024
die Kräfte, die treiben, und damit ein Stück ewigen pse_131.025
Kräftespiels der Welt. Zwei große dichterische Leistungen pse_131.026
dieser Art: Tolstojs »Krieg und Frieden« und Stifters »Witiko«.
pse_131.027
Die vorangehenden Betrachtungen über die Wirklichkeit pse_131.028
und den Menschen in der Dichtung haben eines deutlich pse_131.029
gezeigt: es sind sehr wesentliche Zusammenhänge, ohne die pse_131.030
die Dichtung in ihrer Gesamtheit und Eigenart nie voll gesehen pse_131.031
werden kann. Dichtung gestaltet eine Welt und steht in pse_131.032
menschlichen Zusammenhängen. Welcher Art diese Welt ist, pse_131.033
wie sie gesehen wird, welche menschlichen Züge sich in der pse_131.034
Dichtung offenbaren, sind entscheidende Fragen. Aber eben pse_131.035
doch nur ein Fragenbereich.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/147>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.