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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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Kronenwächter, Waverley, Witiko, Krieg und Frieden, pse_131.002
Paracelsus. Man könnte vielleicht drei Richtungen sehen, in pse_131.003
die Weite und Tiefe eines Weltbildes aus Geschichtsdichtung pse_131.004
eröffnet werden. Geschichtliches ist für uns das Vergangene, pse_131.005
aber für Menschen dieser Vergangenheit ist es ihre Welt, ihr pse_131.006
Raum, ihre Zeit gewesen: also das Geschichtliche als Lebensraum pse_131.007
von Menschen. So verbindet sich der Reiz des Vergangenen pse_131.008
mit dem des Wirkenden zum Blick auf das Dauernde, pse_131.009
immer Wiederkehrende, Ewige im Menschengeschehen. pse_131.010
Das ist in Scotts Romanen und in Arnims "Kronenwächtern" pse_131.011
der Fall; aber in ganz anderer Weise auch in pse_131.012
Schillers "Wallenstein" und in C. F. Meyers "Jürg Jenatsch". pse_131.013
Hier erleben wir die großen Mächte und unheimlichen Spannungen, pse_131.014
den Widerspruch von großem Einzelnen und Kollektiven, pse_131.015
die sittliche Fragwürdigkeit geschichtlichen Handelns, pse_131.016
die eben immer wieder in gewaltigen Ereignissen das pse_131.017
Menschenleben bestimmen. Ein zweites ist es, wenn der pse_131.018
Dichter aus Geschichtlichem, das heißt Vergangenem, auf das pse_131.019
immer vorhandene Wesenhafte durchstößt, wenn er auch aus pse_131.020
Vergangenem das Ewige, Dauernde einer Lebensform herausholt, pse_131.021
wie es Kolbenheyer im Paracelsusroman versucht. Das pse_131.022
dritte endlich: der Dichter gestaltet die Geschichte selbst: das pse_131.023
Werden, Leben, Vergehen von menschlichen Gemeinschaften, pse_131.024
die Kräfte, die treiben, und damit ein Stück ewigen pse_131.025
Kräftespiels der Welt. Zwei große dichterische Leistungen pse_131.026
dieser Art: Tolstojs "Krieg und Frieden" und Stifters "Witiko".

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Die vorangehenden Betrachtungen über die Wirklichkeit pse_131.028
und den Menschen in der Dichtung haben eines deutlich pse_131.029
gezeigt: es sind sehr wesentliche Zusammenhänge, ohne die pse_131.030
die Dichtung in ihrer Gesamtheit und Eigenart nie voll gesehen pse_131.031
werden kann. Dichtung gestaltet eine Welt und steht in pse_131.032
menschlichen Zusammenhängen. Welcher Art diese Welt ist, pse_131.033
wie sie gesehen wird, welche menschlichen Züge sich in der pse_131.034
Dichtung offenbaren, sind entscheidende Fragen. Aber eben pse_131.035
doch nur ein Fragenbereich.

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Kronenwächter, Waverley, Witiko, Krieg und Frieden, pse_131.002
Paracelsus. Man könnte vielleicht drei Richtungen sehen, in pse_131.003
die Weite und Tiefe eines Weltbildes aus Geschichtsdichtung pse_131.004
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mit dem des Wirkenden zum Blick auf das Dauernde, pse_131.009
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der Fall; aber in ganz anderer Weise auch in pse_131.012
Schillers »Wallenstein« und in C. F. Meyers »Jürg Jenatsch«. pse_131.013
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den Widerspruch von großem Einzelnen und Kollektiven, pse_131.015
die sittliche Fragwürdigkeit geschichtlichen Handelns, pse_131.016
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Menschenleben bestimmen. Ein zweites ist es, wenn der pse_131.018
Dichter aus Geschichtlichem, das heißt Vergangenem, auf das pse_131.019
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Vergangenem das Ewige, Dauernde einer Lebensform herausholt, pse_131.021
wie es Kolbenheyer im Paracelsusroman versucht. Das pse_131.022
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die Kräfte, die treiben, und damit ein Stück ewigen pse_131.025
Kräftespiels der Welt. Zwei große dichterische Leistungen pse_131.026
dieser Art: Tolstojs »Krieg und Frieden« und Stifters »Witiko«.

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und den Menschen in der Dichtung haben eines deutlich pse_131.029
gezeigt: es sind sehr wesentliche Zusammenhänge, ohne die pse_131.030
die Dichtung in ihrer Gesamtheit und Eigenart nie voll gesehen pse_131.031
werden kann. Dichtung gestaltet eine Welt und steht in pse_131.032
menschlichen Zusammenhängen. Welcher Art diese Welt ist, pse_131.033
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[131/0147] pse_131.001 Kronenwächter, Waverley, Witiko, Krieg und Frieden, pse_131.002 Paracelsus. Man könnte vielleicht drei Richtungen sehen, in pse_131.003 die Weite und Tiefe eines Weltbildes aus Geschichtsdichtung pse_131.004 eröffnet werden. Geschichtliches ist für uns das Vergangene, pse_131.005 aber für Menschen dieser Vergangenheit ist es ihre Welt, ihr pse_131.006 Raum, ihre Zeit gewesen: also das Geschichtliche als Lebensraum pse_131.007 von Menschen. So verbindet sich der Reiz des Vergangenen pse_131.008 mit dem des Wirkenden zum Blick auf das Dauernde, pse_131.009 immer Wiederkehrende, Ewige im Menschengeschehen. pse_131.010 Das ist in Scotts Romanen und in Arnims »Kronenwächtern« pse_131.011 der Fall; aber in ganz anderer Weise auch in pse_131.012 Schillers »Wallenstein« und in C. F. Meyers »Jürg Jenatsch«. pse_131.013 Hier erleben wir die großen Mächte und unheimlichen Spannungen, pse_131.014 den Widerspruch von großem Einzelnen und Kollektiven, pse_131.015 die sittliche Fragwürdigkeit geschichtlichen Handelns, pse_131.016 die eben immer wieder in gewaltigen Ereignissen das pse_131.017 Menschenleben bestimmen. Ein zweites ist es, wenn der pse_131.018 Dichter aus Geschichtlichem, das heißt Vergangenem, auf das pse_131.019 immer vorhandene Wesenhafte durchstößt, wenn er auch aus pse_131.020 Vergangenem das Ewige, Dauernde einer Lebensform herausholt, pse_131.021 wie es Kolbenheyer im Paracelsusroman versucht. Das pse_131.022 dritte endlich: der Dichter gestaltet die Geschichte selbst: das pse_131.023 Werden, Leben, Vergehen von menschlichen Gemeinschaften, pse_131.024 die Kräfte, die treiben, und damit ein Stück ewigen pse_131.025 Kräftespiels der Welt. Zwei große dichterische Leistungen pse_131.026 dieser Art: Tolstojs »Krieg und Frieden« und Stifters »Witiko«. pse_131.027 Die vorangehenden Betrachtungen über die Wirklichkeit pse_131.028 und den Menschen in der Dichtung haben eines deutlich pse_131.029 gezeigt: es sind sehr wesentliche Zusammenhänge, ohne die pse_131.030 die Dichtung in ihrer Gesamtheit und Eigenart nie voll gesehen pse_131.031 werden kann. Dichtung gestaltet eine Welt und steht in pse_131.032 menschlichen Zusammenhängen. Welcher Art diese Welt ist, pse_131.033 wie sie gesehen wird, welche menschlichen Züge sich in der pse_131.034 Dichtung offenbaren, sind entscheidende Fragen. Aber eben pse_131.035 doch nur ein Fragenbereich.

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/147>, abgerufen am 21.11.2024.