pse_161.001 gemüthaft reagiert, das Kind schon, bevor es die Farben pse_161.002 unterscheiden kann. In den Farbworten vor allem sind auch pse_161.003 unsere Gefühle geprägt, die wir bei diesen Eindrücken gehabt pse_161.004 haben. Die Dichter rufen in den Farbworten diese Gefühle pse_161.005 wieder wach. So kommt es zu den Versen Goethes: pse_161.006 "Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens pse_161.007 goldner Baum": ein Schrecken für Physiker und Lichtwellenmesser, pse_161.008 aber der Mensch fühlt das Wahre! Hier ist der Weg pse_161.009 beschritten für die symbolische Verwendung von Farbworten pse_161.010 bei Expressionisten. Sie erwächst aus dem starken Gefühlston pse_161.011 der Farbworte. Man darf aber nicht zu scharf abgrenzen. pse_161.012 Gewiß: "gelb" kann Neid "bezeichnen", man kann Kränkliches pse_161.013 dabei erleben, aber auch an die Himmelschlüssel und pse_161.014 Butterblumen denken. Rot ist das Blut eines Gemordeten, pse_161.015 aber auch die voll erblühte Rose. Farbworte haben also einen pse_161.016 sehr weiten Gefühlsumfang, der erst in bestimmtem Zusammenhang pse_161.017 schärfer umgrenzte Werte erhält.
pse_161.018 Nicht nur diese drei Wortarten, die in so verschiedener pse_161.019 Weise unsere Erfassung der Welt gestalten und damit unserer pse_161.020 geistig geformten Welt Fülle und Reichtum geben, haben pse_161.021 Stilwerte. Aber wir können für die anderen nur Andeutungen pse_161.022 geben, ohne im einzelnen zu begründen. Die Ursache des pse_161.023 Stilwertes auch der Pronomina, Konjunktionen usw. liegt pse_161.024 immer darin, daß auch sie ursprünglich eine bestimmte Einstellung pse_161.025 zur Welt geprägt haben. Im "Du" liegt aller Reichtum pse_161.026 der Erlebnisse verborgen, der in der Begegnung mit dem pse_161.027 Mitmenschen aufgeht, im "Wir" das Gemeinschaftserlebnis, pse_161.028 im "Ich" die deutliche und bewußte Abhebung von der Umwelt, pse_161.029 die Tatsache, daß hier ein Mensch spricht. Das wird pse_161.030 seine Bedeutung für die Erkenntnis des Ich-Romans haben. pse_161.031 Und nur ein Beispiel für den möglichen Stilwert von Konjunktionen. pse_161.032 Man lehnt heute noch vielfach den Gebrauch pse_161.033 von "trotzdem" als Einleitewort für Gliedsätze ab. Wenn es pse_161.034 sich trotzdem durchsetzt, so deshalb wohl, weil es kräftiger pse_161.035 den ganz bestimmten Charakter des Konzessivsatzes aufrufen pse_161.036 kann: "trotzdem" ist stärker als "obwohl".
pse_161.037 Die Worte sind gleichsam die zubehauenen Bausteine, mit pse_161.038 denen nun in der Sprache die geistige Welt aufgebaut wird.
pse_161.001 gemüthaft reagiert, das Kind schon, bevor es die Farben pse_161.002 unterscheiden kann. In den Farbworten vor allem sind auch pse_161.003 unsere Gefühle geprägt, die wir bei diesen Eindrücken gehabt pse_161.004 haben. Die Dichter rufen in den Farbworten diese Gefühle pse_161.005 wieder wach. So kommt es zu den Versen Goethes: pse_161.006 »Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens pse_161.007 goldner Baum«: ein Schrecken für Physiker und Lichtwellenmesser, pse_161.008 aber der Mensch fühlt das Wahre! Hier ist der Weg pse_161.009 beschritten für die symbolische Verwendung von Farbworten pse_161.010 bei Expressionisten. Sie erwächst aus dem starken Gefühlston pse_161.011 der Farbworte. Man darf aber nicht zu scharf abgrenzen. pse_161.012 Gewiß: »gelb« kann Neid »bezeichnen«, man kann Kränkliches pse_161.013 dabei erleben, aber auch an die Himmelschlüssel und pse_161.014 Butterblumen denken. Rot ist das Blut eines Gemordeten, pse_161.015 aber auch die voll erblühte Rose. Farbworte haben also einen pse_161.016 sehr weiten Gefühlsumfang, der erst in bestimmtem Zusammenhang pse_161.017 schärfer umgrenzte Werte erhält.
pse_161.018 Nicht nur diese drei Wortarten, die in so verschiedener pse_161.019 Weise unsere Erfassung der Welt gestalten und damit unserer pse_161.020 geistig geformten Welt Fülle und Reichtum geben, haben pse_161.021 Stilwerte. Aber wir können für die anderen nur Andeutungen pse_161.022 geben, ohne im einzelnen zu begründen. Die Ursache des pse_161.023 Stilwertes auch der Pronomina, Konjunktionen usw. liegt pse_161.024 immer darin, daß auch sie ursprünglich eine bestimmte Einstellung pse_161.025 zur Welt geprägt haben. Im »Du« liegt aller Reichtum pse_161.026 der Erlebnisse verborgen, der in der Begegnung mit dem pse_161.027 Mitmenschen aufgeht, im »Wir« das Gemeinschaftserlebnis, pse_161.028 im »Ich« die deutliche und bewußte Abhebung von der Umwelt, pse_161.029 die Tatsache, daß hier ein Mensch spricht. Das wird pse_161.030 seine Bedeutung für die Erkenntnis des Ich-Romans haben. pse_161.031 Und nur ein Beispiel für den möglichen Stilwert von Konjunktionen. pse_161.032 Man lehnt heute noch vielfach den Gebrauch pse_161.033 von »trotzdem« als Einleitewort für Gliedsätze ab. Wenn es pse_161.034 sich trotzdem durchsetzt, so deshalb wohl, weil es kräftiger pse_161.035 den ganz bestimmten Charakter des Konzessivsatzes aufrufen pse_161.036 kann: »trotzdem« ist stärker als »obwohl«.
pse_161.037 Die Worte sind gleichsam die zubehauenen Bausteine, mit pse_161.038 denen nun in der Sprache die geistige Welt aufgebaut wird.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0177"n="161"/><lbn="pse_161.001"/>
gemüthaft reagiert, das Kind schon, bevor es die Farben <lbn="pse_161.002"/>
unterscheiden kann. In den Farbworten vor allem sind auch <lbn="pse_161.003"/>
unsere Gefühle geprägt, die wir bei diesen Eindrücken gehabt <lbn="pse_161.004"/>
haben. Die Dichter rufen in den Farbworten diese Gefühle <lbn="pse_161.005"/>
wieder wach. So kommt es zu den Versen Goethes: <lbn="pse_161.006"/>
»Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens <lbn="pse_161.007"/>
goldner Baum«: ein Schrecken für Physiker und Lichtwellenmesser, <lbn="pse_161.008"/>
aber der Mensch fühlt das Wahre! Hier ist der Weg <lbn="pse_161.009"/>
beschritten für die symbolische Verwendung von Farbworten <lbn="pse_161.010"/>
bei Expressionisten. Sie erwächst aus dem starken Gefühlston <lbn="pse_161.011"/>
der Farbworte. Man darf aber nicht zu scharf abgrenzen. <lbn="pse_161.012"/>
Gewiß: »gelb« kann Neid »bezeichnen«, man kann Kränkliches <lbn="pse_161.013"/>
dabei erleben, aber auch an die Himmelschlüssel und <lbn="pse_161.014"/>
Butterblumen denken. Rot ist das Blut eines Gemordeten, <lbn="pse_161.015"/>
aber auch die voll erblühte Rose. Farbworte haben also einen <lbn="pse_161.016"/>
sehr weiten Gefühlsumfang, der erst in bestimmtem Zusammenhang <lbn="pse_161.017"/>
schärfer umgrenzte Werte erhält.</p><p><lbn="pse_161.018"/>
Nicht nur diese drei Wortarten, die in so verschiedener <lbn="pse_161.019"/>
Weise unsere Erfassung der Welt gestalten und damit unserer <lbn="pse_161.020"/>
geistig geformten Welt Fülle und Reichtum geben, haben <lbn="pse_161.021"/>
Stilwerte. Aber wir können für die anderen nur Andeutungen <lbn="pse_161.022"/>
geben, ohne im einzelnen zu begründen. Die Ursache des <lbn="pse_161.023"/>
Stilwertes auch der Pronomina, Konjunktionen usw. liegt <lbn="pse_161.024"/>
immer darin, daß auch sie ursprünglich eine bestimmte Einstellung <lbn="pse_161.025"/>
zur Welt geprägt haben. Im »Du« liegt aller Reichtum <lbn="pse_161.026"/>
der Erlebnisse verborgen, der in der Begegnung mit dem <lbn="pse_161.027"/>
Mitmenschen aufgeht, im »Wir« das Gemeinschaftserlebnis, <lbn="pse_161.028"/>
im »Ich« die deutliche und bewußte Abhebung von der Umwelt, <lbn="pse_161.029"/>
die Tatsache, daß hier ein Mensch spricht. Das wird <lbn="pse_161.030"/>
seine Bedeutung für die Erkenntnis des Ich-Romans haben. <lbn="pse_161.031"/>
Und nur ein Beispiel für den möglichen Stilwert von Konjunktionen. <lbn="pse_161.032"/>
Man lehnt heute noch vielfach den Gebrauch <lbn="pse_161.033"/>
von »trotzdem« als Einleitewort für Gliedsätze ab. Wenn es <lbn="pse_161.034"/>
sich trotzdem durchsetzt, so deshalb wohl, weil es kräftiger <lbn="pse_161.035"/>
den ganz bestimmten Charakter des Konzessivsatzes aufrufen <lbn="pse_161.036"/>
kann: »trotzdem« ist stärker als »obwohl«.</p><p><lbn="pse_161.037"/>
Die Worte sind gleichsam die zubehauenen Bausteine, mit <lbn="pse_161.038"/>
denen nun in der Sprache die geistige Welt aufgebaut wird.
</p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[161/0177]
pse_161.001
gemüthaft reagiert, das Kind schon, bevor es die Farben pse_161.002
unterscheiden kann. In den Farbworten vor allem sind auch pse_161.003
unsere Gefühle geprägt, die wir bei diesen Eindrücken gehabt pse_161.004
haben. Die Dichter rufen in den Farbworten diese Gefühle pse_161.005
wieder wach. So kommt es zu den Versen Goethes: pse_161.006
»Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens pse_161.007
goldner Baum«: ein Schrecken für Physiker und Lichtwellenmesser, pse_161.008
aber der Mensch fühlt das Wahre! Hier ist der Weg pse_161.009
beschritten für die symbolische Verwendung von Farbworten pse_161.010
bei Expressionisten. Sie erwächst aus dem starken Gefühlston pse_161.011
der Farbworte. Man darf aber nicht zu scharf abgrenzen. pse_161.012
Gewiß: »gelb« kann Neid »bezeichnen«, man kann Kränkliches pse_161.013
dabei erleben, aber auch an die Himmelschlüssel und pse_161.014
Butterblumen denken. Rot ist das Blut eines Gemordeten, pse_161.015
aber auch die voll erblühte Rose. Farbworte haben also einen pse_161.016
sehr weiten Gefühlsumfang, der erst in bestimmtem Zusammenhang pse_161.017
schärfer umgrenzte Werte erhält.
pse_161.018
Nicht nur diese drei Wortarten, die in so verschiedener pse_161.019
Weise unsere Erfassung der Welt gestalten und damit unserer pse_161.020
geistig geformten Welt Fülle und Reichtum geben, haben pse_161.021
Stilwerte. Aber wir können für die anderen nur Andeutungen pse_161.022
geben, ohne im einzelnen zu begründen. Die Ursache des pse_161.023
Stilwertes auch der Pronomina, Konjunktionen usw. liegt pse_161.024
immer darin, daß auch sie ursprünglich eine bestimmte Einstellung pse_161.025
zur Welt geprägt haben. Im »Du« liegt aller Reichtum pse_161.026
der Erlebnisse verborgen, der in der Begegnung mit dem pse_161.027
Mitmenschen aufgeht, im »Wir« das Gemeinschaftserlebnis, pse_161.028
im »Ich« die deutliche und bewußte Abhebung von der Umwelt, pse_161.029
die Tatsache, daß hier ein Mensch spricht. Das wird pse_161.030
seine Bedeutung für die Erkenntnis des Ich-Romans haben. pse_161.031
Und nur ein Beispiel für den möglichen Stilwert von Konjunktionen. pse_161.032
Man lehnt heute noch vielfach den Gebrauch pse_161.033
von »trotzdem« als Einleitewort für Gliedsätze ab. Wenn es pse_161.034
sich trotzdem durchsetzt, so deshalb wohl, weil es kräftiger pse_161.035
den ganz bestimmten Charakter des Konzessivsatzes aufrufen pse_161.036
kann: »trotzdem« ist stärker als »obwohl«.
pse_161.037
Die Worte sind gleichsam die zubehauenen Bausteine, mit pse_161.038
denen nun in der Sprache die geistige Welt aufgebaut wird.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/177>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.