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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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gemüthaft reagiert, das Kind schon, bevor es die Farben pse_161.002
unterscheiden kann. In den Farbworten vor allem sind auch pse_161.003
unsere Gefühle geprägt, die wir bei diesen Eindrücken gehabt pse_161.004
haben. Die Dichter rufen in den Farbworten diese Gefühle pse_161.005
wieder wach. So kommt es zu den Versen Goethes: pse_161.006
"Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens pse_161.007
goldner Baum": ein Schrecken für Physiker und Lichtwellenmesser, pse_161.008
aber der Mensch fühlt das Wahre! Hier ist der Weg pse_161.009
beschritten für die symbolische Verwendung von Farbworten pse_161.010
bei Expressionisten. Sie erwächst aus dem starken Gefühlston pse_161.011
der Farbworte. Man darf aber nicht zu scharf abgrenzen. pse_161.012
Gewiß: "gelb" kann Neid "bezeichnen", man kann Kränkliches pse_161.013
dabei erleben, aber auch an die Himmelschlüssel und pse_161.014
Butterblumen denken. Rot ist das Blut eines Gemordeten, pse_161.015
aber auch die voll erblühte Rose. Farbworte haben also einen pse_161.016
sehr weiten Gefühlsumfang, der erst in bestimmtem Zusammenhang pse_161.017
schärfer umgrenzte Werte erhält.

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Nicht nur diese drei Wortarten, die in so verschiedener pse_161.019
Weise unsere Erfassung der Welt gestalten und damit unserer pse_161.020
geistig geformten Welt Fülle und Reichtum geben, haben pse_161.021
Stilwerte. Aber wir können für die anderen nur Andeutungen pse_161.022
geben, ohne im einzelnen zu begründen. Die Ursache des pse_161.023
Stilwertes auch der Pronomina, Konjunktionen usw. liegt pse_161.024
immer darin, daß auch sie ursprünglich eine bestimmte Einstellung pse_161.025
zur Welt geprägt haben. Im "Du" liegt aller Reichtum pse_161.026
der Erlebnisse verborgen, der in der Begegnung mit dem pse_161.027
Mitmenschen aufgeht, im "Wir" das Gemeinschaftserlebnis, pse_161.028
im "Ich" die deutliche und bewußte Abhebung von der Umwelt, pse_161.029
die Tatsache, daß hier ein Mensch spricht. Das wird pse_161.030
seine Bedeutung für die Erkenntnis des Ich-Romans haben. pse_161.031
Und nur ein Beispiel für den möglichen Stilwert von Konjunktionen. pse_161.032
Man lehnt heute noch vielfach den Gebrauch pse_161.033
von "trotzdem" als Einleitewort für Gliedsätze ab. Wenn es pse_161.034
sich trotzdem durchsetzt, so deshalb wohl, weil es kräftiger pse_161.035
den ganz bestimmten Charakter des Konzessivsatzes aufrufen pse_161.036
kann: "trotzdem" ist stärker als "obwohl".

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Die Worte sind gleichsam die zubehauenen Bausteine, mit pse_161.038
denen nun in der Sprache die geistige Welt aufgebaut wird.

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gemüthaft reagiert, das Kind schon, bevor es die Farben pse_161.002
unterscheiden kann. In den Farbworten vor allem sind auch pse_161.003
unsere Gefühle geprägt, die wir bei diesen Eindrücken gehabt pse_161.004
haben. Die Dichter rufen in den Farbworten diese Gefühle pse_161.005
wieder wach. So kommt es zu den Versen Goethes: pse_161.006
»Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens pse_161.007
goldner Baum«: ein Schrecken für Physiker und Lichtwellenmesser, pse_161.008
aber der Mensch fühlt das Wahre! Hier ist der Weg pse_161.009
beschritten für die symbolische Verwendung von Farbworten pse_161.010
bei Expressionisten. Sie erwächst aus dem starken Gefühlston pse_161.011
der Farbworte. Man darf aber nicht zu scharf abgrenzen. pse_161.012
Gewiß: »gelb« kann Neid »bezeichnen«, man kann Kränkliches pse_161.013
dabei erleben, aber auch an die Himmelschlüssel und pse_161.014
Butterblumen denken. Rot ist das Blut eines Gemordeten, pse_161.015
aber auch die voll erblühte Rose. Farbworte haben also einen pse_161.016
sehr weiten Gefühlsumfang, der erst in bestimmtem Zusammenhang pse_161.017
schärfer umgrenzte Werte erhält.

pse_161.018
Nicht nur diese drei Wortarten, die in so verschiedener pse_161.019
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geistig geformten Welt Fülle und Reichtum geben, haben pse_161.021
Stilwerte. Aber wir können für die anderen nur Andeutungen pse_161.022
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zur Welt geprägt haben. Im »Du« liegt aller Reichtum pse_161.026
der Erlebnisse verborgen, der in der Begegnung mit dem pse_161.027
Mitmenschen aufgeht, im »Wir« das Gemeinschaftserlebnis, pse_161.028
im »Ich« die deutliche und bewußte Abhebung von der Umwelt, pse_161.029
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seine Bedeutung für die Erkenntnis des Ich-Romans haben. pse_161.031
Und nur ein Beispiel für den möglichen Stilwert von Konjunktionen. pse_161.032
Man lehnt heute noch vielfach den Gebrauch pse_161.033
von »trotzdem« als Einleitewort für Gliedsätze ab. Wenn es pse_161.034
sich trotzdem durchsetzt, so deshalb wohl, weil es kräftiger pse_161.035
den ganz bestimmten Charakter des Konzessivsatzes aufrufen pse_161.036
kann: »trotzdem« ist stärker als »obwohl«.

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Die Worte sind gleichsam die zubehauenen Bausteine, mit pse_161.038
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[161/0177] pse_161.001 gemüthaft reagiert, das Kind schon, bevor es die Farben pse_161.002 unterscheiden kann. In den Farbworten vor allem sind auch pse_161.003 unsere Gefühle geprägt, die wir bei diesen Eindrücken gehabt pse_161.004 haben. Die Dichter rufen in den Farbworten diese Gefühle pse_161.005 wieder wach. So kommt es zu den Versen Goethes: pse_161.006 »Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens pse_161.007 goldner Baum«: ein Schrecken für Physiker und Lichtwellenmesser, pse_161.008 aber der Mensch fühlt das Wahre! Hier ist der Weg pse_161.009 beschritten für die symbolische Verwendung von Farbworten pse_161.010 bei Expressionisten. Sie erwächst aus dem starken Gefühlston pse_161.011 der Farbworte. Man darf aber nicht zu scharf abgrenzen. pse_161.012 Gewiß: »gelb« kann Neid »bezeichnen«, man kann Kränkliches pse_161.013 dabei erleben, aber auch an die Himmelschlüssel und pse_161.014 Butterblumen denken. Rot ist das Blut eines Gemordeten, pse_161.015 aber auch die voll erblühte Rose. Farbworte haben also einen pse_161.016 sehr weiten Gefühlsumfang, der erst in bestimmtem Zusammenhang pse_161.017 schärfer umgrenzte Werte erhält. pse_161.018 Nicht nur diese drei Wortarten, die in so verschiedener pse_161.019 Weise unsere Erfassung der Welt gestalten und damit unserer pse_161.020 geistig geformten Welt Fülle und Reichtum geben, haben pse_161.021 Stilwerte. Aber wir können für die anderen nur Andeutungen pse_161.022 geben, ohne im einzelnen zu begründen. Die Ursache des pse_161.023 Stilwertes auch der Pronomina, Konjunktionen usw. liegt pse_161.024 immer darin, daß auch sie ursprünglich eine bestimmte Einstellung pse_161.025 zur Welt geprägt haben. Im »Du« liegt aller Reichtum pse_161.026 der Erlebnisse verborgen, der in der Begegnung mit dem pse_161.027 Mitmenschen aufgeht, im »Wir« das Gemeinschaftserlebnis, pse_161.028 im »Ich« die deutliche und bewußte Abhebung von der Umwelt, pse_161.029 die Tatsache, daß hier ein Mensch spricht. Das wird pse_161.030 seine Bedeutung für die Erkenntnis des Ich-Romans haben. pse_161.031 Und nur ein Beispiel für den möglichen Stilwert von Konjunktionen. pse_161.032 Man lehnt heute noch vielfach den Gebrauch pse_161.033 von »trotzdem« als Einleitewort für Gliedsätze ab. Wenn es pse_161.034 sich trotzdem durchsetzt, so deshalb wohl, weil es kräftiger pse_161.035 den ganz bestimmten Charakter des Konzessivsatzes aufrufen pse_161.036 kann: »trotzdem« ist stärker als »obwohl«. pse_161.037 Die Worte sind gleichsam die zubehauenen Bausteine, mit pse_161.038 denen nun in der Sprache die geistige Welt aufgebaut wird.

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/177>, abgerufen am 21.11.2024.