Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.pse_166.001 Nacht, mehr denn lichte Nacht! Nacht, lichter als der Tag! pse_166.002 (Gryphius) pse_166.005Nacht, heller als die Sonn! in der das Licht geboren, pse_166.003 Das Gott, der Licht in Licht wohnhaftig, ihm erkoren! pse_166.004 O Nacht, die alle Nächt und Tage trotzen mag! Die ständige Wiederholung des Wortes "Nacht", allerdings pse_166.006 Der Abend wiegte schon die Erde, pse_166.017 pse_166.020Und an den Bergen hing die Nacht; pse_166.018 Schon stand im Nebelkleid die Eiche, pse_166.019 Ein aufgetürmter Riese da ... (Goethe, Willkommen und Abschied) pse_166.021 Es ersteht der Eindruck unmittelbarer Nähe, ja Greifbarkeit pse_166.022 Der Himmel blau und kinderrein, pse_166.027 pse_166.029Worin die Wellen singen, pse_166.028 Der Himmel ist die Seele dein ... (Mörike, Mein Fluß) pse_166.030 Manche Worte, die anschaulich wirken könnten, verlieren pse_166.031 pse_166.001 Nacht, mehr denn lichte Nacht! Nacht, lichter als der Tag! pse_166.002 (Gryphius) pse_166.005Nacht, heller als die Sonn! in der das Licht geboren, pse_166.003 Das Gott, der Licht in Licht wohnhaftig, ihm erkoren! pse_166.004 O Nacht, die alle Nächt und Tage trotzen mag! Die ständige Wiederholung des Wortes »Nacht«, allerdings pse_166.006 Der Abend wiegte schon die Erde, pse_166.017 pse_166.020Und an den Bergen hing die Nacht; pse_166.018 Schon stand im Nebelkleid die Eiche, pse_166.019 Ein aufgetürmter Riese da ... (Goethe, Willkommen und Abschied) pse_166.021 Es ersteht der Eindruck unmittelbarer Nähe, ja Greifbarkeit pse_166.022 Der Himmel blau und kinderrein, pse_166.027 pse_166.029Worin die Wellen singen, pse_166.028 Der Himmel ist die Seele dein ... (Mörike, Mein Fluß) pse_166.030 Manche Worte, die anschaulich wirken könnten, verlieren pse_166.031 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0182" n="166"/> <lb n="pse_166.001"/> <p> <lg> <l> <hi rendition="#aq">Nacht, mehr denn lichte Nacht! 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Zu den Stilwirkungen der Wortgruppe <lb n="pse_166.012"/> gehört auch die sogenannte Anschaulichkeit. Wir wollen <lb n="pse_166.013"/> das Wort im strengen Sinn einschränken. Anschaulich sind <lb n="pse_166.014"/> solche Worte, die eine anschauliche Vorstellung herrufen <lb n="pse_166.015"/> können. Das kann Stilwerte haben:</p> <lb n="pse_166.016"/> <p> <lg> <l> <hi rendition="#aq">Der Abend wiegte schon die Erde,</hi> </l> <lb n="pse_166.017"/> <l> <hi rendition="#aq">Und an den Bergen hing die Nacht;</hi> </l> <lb n="pse_166.018"/> <l> <hi rendition="#aq">Schon stand im Nebelkleid die Eiche,</hi> </l> <lb n="pse_166.019"/> <l> <hi rendition="#aq">Ein aufgetürmter Riese da ...</hi> </l> </lg> <lb n="pse_166.020"/> <hi rendition="#right"> <space dim="horizontal"/> <hi rendition="#aq">(Goethe, Willkommen und Abschied)</hi> </hi> </p> <lb n="pse_166.021"/> <p>Es ersteht der Eindruck unmittelbarer Nähe, ja Greifbarkeit <lb n="pse_166.022"/> hier einer drohenden Welt, und sogar manche Worte, die die <lb n="pse_166.023"/> Anschaulichkeit schon verloren haben, gewinnen sie wieder <lb n="pse_166.024"/> und verstärken den Eindruck. Aber: Anschaulichkeit ist keine <lb n="pse_166.025"/> unbedingte stilhafte Forderung.</p> <lb n="pse_166.026"/> <p> <lg> <l> <hi rendition="#aq">Der Himmel blau und kinderrein,</hi> </l> <lb n="pse_166.027"/> <l> <hi rendition="#aq">Worin die Wellen singen,</hi> </l> <lb n="pse_166.028"/> <l> <hi rendition="#aq">Der Himmel ist die Seele dein ...</hi> </l> </lg> <lb n="pse_166.029"/> <hi rendition="#right"> <space dim="horizontal"/> <hi rendition="#aq">(Mörike, Mein Fluß)</hi> </hi> </p> <lb n="pse_166.030"/> <p>Manche Worte, die anschaulich wirken könnten, verlieren <lb n="pse_166.031"/> sie geradezu hier im Zusammenhang mit anderen. Und doch <lb n="pse_166.032"/> wirken die Verse. Die Worte entfalten ein tiefes Gefühl, sie <lb n="pse_166.033"/> steigen aus dem Inneren der Seele und ihr Gefühlswert klingt <lb n="pse_166.034"/> in wundersamer Weise zusammen. Wir erkennen: das Ausschlaggebende <lb n="pse_166.035"/> an den Stilmöglichkeiten des Wortgehalts ist <lb n="pse_166.036"/> das Gemüthafte, das er aufklingen läßt, ist der Seelengrund, <lb n="pse_166.037"/> der in ihn eingeformt ist. Hier berühren wir einen Punkt, wo <lb n="pse_166.038"/> die Dichtung besonders von Plastik und Malerei grundlegend </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [166/0182]
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Nacht, mehr denn lichte Nacht! Nacht, lichter als der Tag! pse_166.002
Nacht, heller als die Sonn! in der das Licht geboren, pse_166.003
Das Gott, der Licht in Licht wohnhaftig, ihm erkoren! pse_166.004
O Nacht, die alle Nächt und Tage trotzen mag!
(Gryphius)
pse_166.005
Die ständige Wiederholung des Wortes »Nacht«, allerdings pse_166.006
auch in der Gegenwirkung zu Licht, Tag usw., treibt den pse_166.007
Gehalt dieses Wortes stark heraus und schafft so das Thema pse_166.008
des ganzen Sonetts. Hier haben wir aber zugleich ein Beispiel pse_166.009
für die Häufung: eine Fülle von Wortgehalten drängen pse_166.010
sich, kein gemüthafter Leerlauf, sondern ein Drängen von pse_166.011
wirkenden Gehalten. Zu den Stilwirkungen der Wortgruppe pse_166.012
gehört auch die sogenannte Anschaulichkeit. Wir wollen pse_166.013
das Wort im strengen Sinn einschränken. Anschaulich sind pse_166.014
solche Worte, die eine anschauliche Vorstellung herrufen pse_166.015
können. Das kann Stilwerte haben:
pse_166.016
Der Abend wiegte schon die Erde, pse_166.017
Und an den Bergen hing die Nacht; pse_166.018
Schon stand im Nebelkleid die Eiche, pse_166.019
Ein aufgetürmter Riese da ...
pse_166.020
(Goethe, Willkommen und Abschied)
pse_166.021
Es ersteht der Eindruck unmittelbarer Nähe, ja Greifbarkeit pse_166.022
hier einer drohenden Welt, und sogar manche Worte, die die pse_166.023
Anschaulichkeit schon verloren haben, gewinnen sie wieder pse_166.024
und verstärken den Eindruck. Aber: Anschaulichkeit ist keine pse_166.025
unbedingte stilhafte Forderung.
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Der Himmel blau und kinderrein, pse_166.027
Worin die Wellen singen, pse_166.028
Der Himmel ist die Seele dein ...
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(Mörike, Mein Fluß)
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Manche Worte, die anschaulich wirken könnten, verlieren pse_166.031
sie geradezu hier im Zusammenhang mit anderen. Und doch pse_166.032
wirken die Verse. Die Worte entfalten ein tiefes Gefühl, sie pse_166.033
steigen aus dem Inneren der Seele und ihr Gefühlswert klingt pse_166.034
in wundersamer Weise zusammen. Wir erkennen: das Ausschlaggebende pse_166.035
an den Stilmöglichkeiten des Wortgehalts ist pse_166.036
das Gemüthafte, das er aufklingen läßt, ist der Seelengrund, pse_166.037
der in ihn eingeformt ist. Hier berühren wir einen Punkt, wo pse_166.038
die Dichtung besonders von Plastik und Malerei grundlegend
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