pse_167.001 verschieden ist. Anschaulichkeit ist eine, aber nicht die einzige pse_167.002 Möglichkeit dichterischer Sprache. Das Entscheidende ist pse_167.003 immer, daß die Worte in ihrem Gehalt deutlich das bloß pse_167.004 Zeichenhafte einer rationalen Begriffsmarke abstreifen, daß pse_167.005 mehr und Tieferes aufleuchtet, daß das Erlebnis, aus dem die pse_167.006 Wortschöpfung als Umgrenzung eines Erfahrungsstücks erwachsen pse_167.007 ist, wieder lebendig wird, oder daß aus dieser ursprünglichen pse_167.008 Erfassungsweise ein Neues plötzlich und eindringlich pse_167.009 aufleuchtet. Und in der Wortgruppe ist es dasselbe: pse_167.010 ein Sinn muß lebendig werden, der nicht im Rationalen pse_167.011 befangen bleibt, sondern das Innerste ertönen läßt aus dem pse_167.012 Zusammenwirken markanter Wortgehalte. Auch Rationales pse_167.013 kann dabei stark heraustreten, aber eben in der Stärke das Mitklingen pse_167.014 größerer Tiefen verraten.
pse_167.015 Für die Art einer Dichtung ist auch der Gesamtwortbestandpse_167.016 stilistisch von Bedeutung. Und zwar in verschiedener Hinsicht. pse_167.017 Zunächst schon der Umfang. Geringer Umfang kann pse_167.018 Ärmlichkeit des Weltblickes bedeuten, aber auch daraus hervorgehen, pse_167.019 daß mit wenigen Worten weiteste Bereiche umfaßt pse_167.020 werden. Wir erkennen das vor allem an den beiden Nachtliedern pse_167.021 Goethes. Aber man denke auch an den Unterschied pse_167.022 zwischen einem Märchen von Grimm und einer Novelle pse_167.023 von Th. Mann. "Vorzeiten war ein König und eine Königin, pse_167.024 die sprachen jeden Tag: >Ach, wenn wir doch ein Kind pse_167.025 hätten!< und kriegten immer keins." Hier sind weiteste Bereiche pse_167.026 (hohes Menschentum, Sehnsucht nach dem Kind, pse_167.027 tiefes Leid) in Worten geformt, die einen weiten und zugleich pse_167.028 tiefen Gehalt haben. Man vergleiche damit den Anfang der pse_167.029 Novelle "Der Tod in Venedig". Eine Fülle von Worten gestaltet pse_167.030 eine Welt reichster und bis ins einzelne gehender Ausdifferenzierung pse_167.031 und Spezialisierung.
pse_167.032 Zudem ist es dem Dichter möglich, im Wortbestand in pse_167.033 seiner Gesamtheit selbst bestimmte Weltsichten künstlerisch pse_167.034 greifbar zu machen. Es kommt dabei vor allem auf die sinntragenden pse_167.035 Worte an: ob sie stark gemüthaft sind oder strenge pse_167.036 Rationalität zeigen, und welcher Art die Gefühlstöne sind. pse_167.037 Der junge Schiller hat in den "Räubern" auf diese Weise schon pse_167.038 die beiden Brüder auseinandergehalten. Karls Worte haben
pse_167.001 verschieden ist. Anschaulichkeit ist eine, aber nicht die einzige pse_167.002 Möglichkeit dichterischer Sprache. Das Entscheidende ist pse_167.003 immer, daß die Worte in ihrem Gehalt deutlich das bloß pse_167.004 Zeichenhafte einer rationalen Begriffsmarke abstreifen, daß pse_167.005 mehr und Tieferes aufleuchtet, daß das Erlebnis, aus dem die pse_167.006 Wortschöpfung als Umgrenzung eines Erfahrungsstücks erwachsen pse_167.007 ist, wieder lebendig wird, oder daß aus dieser ursprünglichen pse_167.008 Erfassungsweise ein Neues plötzlich und eindringlich pse_167.009 aufleuchtet. Und in der Wortgruppe ist es dasselbe: pse_167.010 ein Sinn muß lebendig werden, der nicht im Rationalen pse_167.011 befangen bleibt, sondern das Innerste ertönen läßt aus dem pse_167.012 Zusammenwirken markanter Wortgehalte. Auch Rationales pse_167.013 kann dabei stark heraustreten, aber eben in der Stärke das Mitklingen pse_167.014 größerer Tiefen verraten.
pse_167.015 Für die Art einer Dichtung ist auch der Gesamtwortbestandpse_167.016 stilistisch von Bedeutung. Und zwar in verschiedener Hinsicht. pse_167.017 Zunächst schon der Umfang. Geringer Umfang kann pse_167.018 Ärmlichkeit des Weltblickes bedeuten, aber auch daraus hervorgehen, pse_167.019 daß mit wenigen Worten weiteste Bereiche umfaßt pse_167.020 werden. Wir erkennen das vor allem an den beiden Nachtliedern pse_167.021 Goethes. Aber man denke auch an den Unterschied pse_167.022 zwischen einem Märchen von Grimm und einer Novelle pse_167.023 von Th. Mann. »Vorzeiten war ein König und eine Königin, pse_167.024 die sprachen jeden Tag: ›Ach, wenn wir doch ein Kind pse_167.025 hätten!‹ und kriegten immer keins.« Hier sind weiteste Bereiche pse_167.026 (hohes Menschentum, Sehnsucht nach dem Kind, pse_167.027 tiefes Leid) in Worten geformt, die einen weiten und zugleich pse_167.028 tiefen Gehalt haben. Man vergleiche damit den Anfang der pse_167.029 Novelle »Der Tod in Venedig«. Eine Fülle von Worten gestaltet pse_167.030 eine Welt reichster und bis ins einzelne gehender Ausdifferenzierung pse_167.031 und Spezialisierung.
pse_167.032 Zudem ist es dem Dichter möglich, im Wortbestand in pse_167.033 seiner Gesamtheit selbst bestimmte Weltsichten künstlerisch pse_167.034 greifbar zu machen. Es kommt dabei vor allem auf die sinntragenden pse_167.035 Worte an: ob sie stark gemüthaft sind oder strenge pse_167.036 Rationalität zeigen, und welcher Art die Gefühlstöne sind. pse_167.037 Der junge Schiller hat in den »Räubern« auf diese Weise schon pse_167.038 die beiden Brüder auseinandergehalten. Karls Worte haben
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verschieden ist. Anschaulichkeit ist eine, aber nicht die einzige pse_167.002
Möglichkeit dichterischer Sprache. Das Entscheidende ist pse_167.003
immer, daß die Worte in ihrem Gehalt deutlich das bloß pse_167.004
Zeichenhafte einer rationalen Begriffsmarke abstreifen, daß pse_167.005
mehr und Tieferes aufleuchtet, daß das Erlebnis, aus dem die pse_167.006
Wortschöpfung als Umgrenzung eines Erfahrungsstücks erwachsen pse_167.007
ist, wieder lebendig wird, oder daß aus dieser ursprünglichen pse_167.008
Erfassungsweise ein Neues plötzlich und eindringlich pse_167.009
aufleuchtet. Und in der Wortgruppe ist es dasselbe: pse_167.010
ein Sinn muß lebendig werden, der nicht im Rationalen pse_167.011
befangen bleibt, sondern das Innerste ertönen läßt aus dem pse_167.012
Zusammenwirken markanter Wortgehalte. Auch Rationales pse_167.013
kann dabei stark heraustreten, aber eben in der Stärke das Mitklingen pse_167.014
größerer Tiefen verraten.
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Für die Art einer Dichtung ist auch der Gesamtwortbestand pse_167.016
stilistisch von Bedeutung. Und zwar in verschiedener Hinsicht. pse_167.017
Zunächst schon der Umfang. Geringer Umfang kann pse_167.018
Ärmlichkeit des Weltblickes bedeuten, aber auch daraus hervorgehen, pse_167.019
daß mit wenigen Worten weiteste Bereiche umfaßt pse_167.020
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Goethes. Aber man denke auch an den Unterschied pse_167.022
zwischen einem Märchen von Grimm und einer Novelle pse_167.023
von Th. Mann. »Vorzeiten war ein König und eine Königin, pse_167.024
die sprachen jeden Tag: ›Ach, wenn wir doch ein Kind pse_167.025
hätten!‹ und kriegten immer keins.« Hier sind weiteste Bereiche pse_167.026
(hohes Menschentum, Sehnsucht nach dem Kind, pse_167.027
tiefes Leid) in Worten geformt, die einen weiten und zugleich pse_167.028
tiefen Gehalt haben. Man vergleiche damit den Anfang der pse_167.029
Novelle »Der Tod in Venedig«. Eine Fülle von Worten gestaltet pse_167.030
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pse_167.032
Zudem ist es dem Dichter möglich, im Wortbestand in pse_167.033
seiner Gesamtheit selbst bestimmte Weltsichten künstlerisch pse_167.034
greifbar zu machen. Es kommt dabei vor allem auf die sinntragenden pse_167.035
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Der junge Schiller hat in den »Räubern« auf diese Weise schon pse_167.038
die beiden Brüder auseinandergehalten. Karls Worte haben
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/183>, abgerufen am 21.11.2024.
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