pse_191.001 bedenke, wie anders die rhythmische Gliederung ist, wenn man pse_191.002 die Goetheverse:
pse_191.003
Wie herrlich leuchtetpse_191.004 Mir die Natur!pse_191.005 Wie glänzt die Sonne,pse_191.006 Wie lacht die Flur!
(Mailied)
pse_191.007
so schreibt:
pse_191.008
Wie herrlich leuchtet mir die Naturpse_191.009 Wie glänzt die Sonne, wie lacht die Flur!
pse_191.010
Die innere Bewegtheit ist beide Male eine ganz andere. Die pse_191.011 höchsten Gliederungsformen sind der Absatz ohne feste Verszahl pse_191.012 und die Strophe mit fester Verszahl: eine in sich geschlossene pse_191.013 und wiederkehrende Versgruppe, in der vielfach pse_191.014 der Reim mitwirkt.
pse_191.015 Das im Grunde jedes Gedichts mitschwingende Schema pse_191.016 rhythmischer Geordnetheit, das Metrum, ist ablösbar (man pse_191.017 kann es mit Zeichen festlegen), daher anwendbar und dadurch pse_191.018 konventionalisierbar. Aber trotzdem müssen wir festhalten, pse_191.019 daß diese Schemata einen bestimmten Charakter haben und pse_191.020 damit eine Gestaltung aus dem Inneren ermöglichen. Wichtiger pse_191.021 aber als diese Ablösbarkeit ist die Frage: Wie wird dieses pse_191.022 metrische Schema sprachlich erfüllt? Damit berühren wir erst pse_191.023 den Bau des Schemas und seinen Stilwert. Denn zwischen pse_191.024 dem Schema und der sprachlichen Erfüllung gibt es die verschiedensten pse_191.025 Beziehungen.
pse_191.026 Voraussetzung dafür, die sprachliche Erfüllung des Schemas pse_191.027 in ihren Stilwerten zu erkennen, ist es, daß wir das Schema pse_191.028 selbst haben. Man kann beobachten, daß man im Erfassen der pse_191.029 künstlerischen Form eines Gedichts unruhig und unsicher ist, pse_191.030 bis einem das Metrum aufgeht, in dem es gebaut ist. Hat man pse_191.031 das Metrum erfaßt, dann tritt eine Art Lösung ein, sogar eine pse_191.032 gewisse Beruhigung. Das Metrum klingt dann mit und gibt pse_191.033 dem Ganzen einen Rahmen. Aber es ist nicht immer einfach, pse_191.034 es zu finden, und gerade solche Unsicherheiten führen wieder pse_191.035 zu Stilfragen. Eine erste ist schon die Frage des fallenden und pse_191.036 steigenden Rhythmus. Manche glauben, dem Deutschen pse_191.037 eigne nur der fallende Rhythmus, es gebe also nur Auftakte pse_191.038 am Versbeginn, nur Trochäen und Daktylen. Aber man kann
pse_191.001 bedenke, wie anders die rhythmische Gliederung ist, wenn man pse_191.002 die Goetheverse:
pse_191.003
Wie herrlich leuchtetpse_191.004 Mir die Natur!pse_191.005 Wie glänzt die Sonne,pse_191.006 Wie lacht die Flur!
(Mailied)
pse_191.007
so schreibt:
pse_191.008
Wie herrlich leuchtet mir die Naturpse_191.009 Wie glänzt die Sonne, wie lacht die Flur!
pse_191.010
Die innere Bewegtheit ist beide Male eine ganz andere. Die pse_191.011 höchsten Gliederungsformen sind der Absatz ohne feste Verszahl pse_191.012 und die Strophe mit fester Verszahl: eine in sich geschlossene pse_191.013 und wiederkehrende Versgruppe, in der vielfach pse_191.014 der Reim mitwirkt.
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pse_191.026 Voraussetzung dafür, die sprachliche Erfüllung des Schemas pse_191.027 in ihren Stilwerten zu erkennen, ist es, daß wir das Schema pse_191.028 selbst haben. Man kann beobachten, daß man im Erfassen der pse_191.029 künstlerischen Form eines Gedichts unruhig und unsicher ist, pse_191.030 bis einem das Metrum aufgeht, in dem es gebaut ist. Hat man pse_191.031 das Metrum erfaßt, dann tritt eine Art Lösung ein, sogar eine pse_191.032 gewisse Beruhigung. Das Metrum klingt dann mit und gibt pse_191.033 dem Ganzen einen Rahmen. Aber es ist nicht immer einfach, pse_191.034 es zu finden, und gerade solche Unsicherheiten führen wieder pse_191.035 zu Stilfragen. Eine erste ist schon die Frage des fallenden und pse_191.036 steigenden Rhythmus. Manche glauben, dem Deutschen pse_191.037 eigne nur der fallende Rhythmus, es gebe also nur Auftakte pse_191.038 am Versbeginn, nur Trochäen und Daktylen. Aber man kann
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Wie glänzt die Sonne, pse_191.006
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Wie herrlich leuchtet mir die Natur pse_191.009
Wie glänzt die Sonne, wie lacht die Flur!
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rhythmischer Geordnetheit, das Metrum, ist ablösbar (man pse_191.017
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künstlerischen Form eines Gedichts unruhig und unsicher ist, pse_191.030
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/207>, abgerufen am 23.11.2024.
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