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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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eindringliche Beispiele bietet der Beginn der Novelle "Lenz" pse_207.002
von Georg Büchner; der Sturm warf das Gewölk in die pse_207.003
Täler: [Annotation]

im Zusammentreffen mit "werfen" wird der Sturm pse_207.004
selbst als lebende Kraft gefühlt, aber auch das Vorgangswort pse_207.005
schließt eine Seite seines Gehalts auf. [Annotation] Oder: am tiefen Blau pse_207.006
klomm ein leises Rot hinauf. [Annotation] Es liegt hier eine schöpferische pse_207.007
Leistung vor: aus dem Zusammenwirken zweier Wortgehalte pse_207.008
wird Neues erschlossen, erwächst eine neue Gestalt. pse_207.009
Man kann diesen Vorgang mit "Metapher" oder Übertragung pse_207.010
bezeichnen, muß sich aber klar sein, daß dabei entweder pse_207.011
diese beiden Ausdrücke einen tiefern Sinn bekommen oder pse_207.012
daß mit ihnen als rationalen Zeichen dieser schöpferische Vorgang pse_207.013
nur vom Verstand aus und daher falsch gesehen wird. [Annotation] pse_207.014
Wenn diese "Übertragungen" auch nicht unbedingt nötig pse_207.015
fürs sprachliche Bild sind, wie uns die Verse Trakls zeigen pse_207.016
konnten, so sind gerade diese schöpferischen Erweiterungen pse_207.017
oder neuen Erfassungsweisen im Zusammentreffen von pse_207.018
Sprachgebilden tatsächlich von grundlegender Bedeutung pse_207.019
fürs Dichterische; denn in ihnen als einheitlichen, stimmungshaften pse_207.020
Gebilden geht uns neuer Sinn auf, der rational nicht pse_207.021
ausdrückbar ist. [Annotation] Die Sache, die aus der außersprachlichen pse_207.022
Sphäre in die sprachliche Welt herübergenommen wird, verliert pse_207.023
das Sachliche als Nüchternes und wird im Ergreifen durch pse_207.024
den Menschen in besonderer Weise gesehen, und diese Einheit pse_207.025
von sachlichem Restbestand und aus dem Inneren wachsender pse_207.026
Sichtweise ersteht als neues Gebilde -- als sprachliches Bild.

pse_207.027
Die zweite Seite, von der aus wir das sprachliche Bild betrachten pse_207.028
können, ist die von oben her: vom Weltbild aus. pse_207.029
Man kann sich den sprachlichen Aufbau des Weltbildes in pse_207.030
einzelnen Akten aufgebaut denken, die sich auch im Gefühlsverlauf pse_207.031
voneinander abheben. Jeder Akt ist ein geistig-sprachlich pse_207.032
neuer Griff ins Unbekannte und bisher noch Unbewältigte. pse_207.033
Der Aufbau aus solchen Akten darf nicht mit einer logischen pse_207.034
Reihe verwechselt werden. Das Ergebnis ist die Gestaltung pse_207.035
des vom Ich Ergriffenen in bestimmter innerer Haltung. Akt pse_207.036
und Ergebnis verdichten sich im sprachlichen Bild.

pse_207.037
Daraus lassen sich schon bestimmte Eigenschaften ableiten. pse_207.038
Es sind vor allem zwei: die Unmittelbarkeit und die Vereindringlichung.

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eindringliche Beispiele bietet der Beginn der Novelle »Lenz« pse_207.002
von Georg Büchner; der Sturm warf das Gewölk in die pse_207.003
Täler: [Annotation]

im Zusammentreffen mit »werfen« wird der Sturm pse_207.004
selbst als lebende Kraft gefühlt, aber auch das Vorgangswort pse_207.005
schließt eine Seite seines Gehalts auf. [Annotation] Oder: am tiefen Blau pse_207.006
klomm ein leises Rot hinauf. [Annotation] Es liegt hier eine schöpferische pse_207.007
Leistung vor: aus dem Zusammenwirken zweier Wortgehalte pse_207.008
wird Neues erschlossen, erwächst eine neue Gestalt. pse_207.009
Man kann diesen Vorgang mit »Metapher« oder Übertragung pse_207.010
bezeichnen, muß sich aber klar sein, daß dabei entweder pse_207.011
diese beiden Ausdrücke einen tiefern Sinn bekommen oder pse_207.012
daß mit ihnen als rationalen Zeichen dieser schöpferische Vorgang pse_207.013
nur vom Verstand aus und daher falsch gesehen wird. [Annotation] pse_207.014
Wenn diese »Übertragungen« auch nicht unbedingt nötig pse_207.015
fürs sprachliche Bild sind, wie uns die Verse Trakls zeigen pse_207.016
konnten, so sind gerade diese schöpferischen Erweiterungen pse_207.017
oder neuen Erfassungsweisen im Zusammentreffen von pse_207.018
Sprachgebilden tatsächlich von grundlegender Bedeutung pse_207.019
fürs Dichterische; denn in ihnen als einheitlichen, stimmungshaften pse_207.020
Gebilden geht uns neuer Sinn auf, der rational nicht pse_207.021
ausdrückbar ist. [Annotation] Die Sache, die aus der außersprachlichen pse_207.022
Sphäre in die sprachliche Welt herübergenommen wird, verliert pse_207.023
das Sachliche als Nüchternes und wird im Ergreifen durch pse_207.024
den Menschen in besonderer Weise gesehen, und diese Einheit pse_207.025
von sachlichem Restbestand und aus dem Inneren wachsender pse_207.026
Sichtweise ersteht als neues Gebilde — als sprachliches Bild.

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Die zweite Seite, von der aus wir das sprachliche Bild betrachten pse_207.028
können, ist die von oben her: vom Weltbild aus. pse_207.029
Man kann sich den sprachlichen Aufbau des Weltbildes in pse_207.030
einzelnen Akten aufgebaut denken, die sich auch im Gefühlsverlauf pse_207.031
voneinander abheben. Jeder Akt ist ein geistig-sprachlich pse_207.032
neuer Griff ins Unbekannte und bisher noch Unbewältigte. pse_207.033
Der Aufbau aus solchen Akten darf nicht mit einer logischen pse_207.034
Reihe verwechselt werden. Das Ergebnis ist die Gestaltung pse_207.035
des vom Ich Ergriffenen in bestimmter innerer Haltung. Akt pse_207.036
und Ergebnis verdichten sich im sprachlichen Bild.

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Es sind vor allem zwei: die Unmittelbarkeit und die Vereindringlichung.

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[207/0223] pse_207.001 eindringliche Beispiele bietet der Beginn der Novelle »Lenz« pse_207.002 von Georg Büchner; der Sturm warf das Gewölk in die pse_207.003 Täler: Georg Büchner: Lenz https://textgridrep.org/browse/-/browse/ksck_0 im Zusammentreffen mit »werfen« wird der Sturm pse_207.004 selbst als lebende Kraft gefühlt, aber auch das Vorgangswort pse_207.005 schließt eine Seite seines Gehalts auf. Poetikentext exempl. bezieht sich auf Büchner: Lenz - Bsp. für Expl. Oder: am tiefen Blau pse_207.006 klomm ein leises Rot hinauf. Büchner: Lenz - Bsp. für Expl. Es liegt hier eine schöpferische pse_207.007 Leistung vor: aus dem Zusammenwirken zweier Wortgehalte pse_207.008 wird Neues erschlossen, erwächst eine neue Gestalt. pse_207.009 Man kann diesen Vorgang mit »Metapher« oder Übertragung pse_207.010 bezeichnen, muß sich aber klar sein, daß dabei entweder pse_207.011 diese beiden Ausdrücke einen tiefern Sinn bekommen oder pse_207.012 daß mit ihnen als rationalen Zeichen dieser schöpferische Vorgang pse_207.013 nur vom Verstand aus und daher falsch gesehen wird. Theoretisches hergeleitet aus vorigem Zitat aus Büchners Lenz pse_207.014 Wenn diese »Übertragungen« auch nicht unbedingt nötig pse_207.015 fürs sprachliche Bild sind, wie uns die Verse Trakls zeigen pse_207.016 konnten, so sind gerade diese schöpferischen Erweiterungen pse_207.017 oder neuen Erfassungsweisen im Zusammentreffen von pse_207.018 Sprachgebilden tatsächlich von grundlegender Bedeutung pse_207.019 fürs Dichterische; denn in ihnen als einheitlichen, stimmungshaften pse_207.020 Gebilden geht uns neuer Sinn auf, der rational nicht pse_207.021 ausdrückbar ist. Abgr. zum spr. Bild - nennt Gedicht von Trakl: Musik im Mirabell Die Sache, die aus der außersprachlichen pse_207.022 Sphäre in die sprachliche Welt herübergenommen wird, verliert pse_207.023 das Sachliche als Nüchternes und wird im Ergreifen durch pse_207.024 den Menschen in besonderer Weise gesehen, und diese Einheit pse_207.025 von sachlichem Restbestand und aus dem Inneren wachsender pse_207.026 Sichtweise ersteht als neues Gebilde — als sprachliches Bild. pse_207.027 Die zweite Seite, von der aus wir das sprachliche Bild betrachten pse_207.028 können, ist die von oben her: vom Weltbild aus. pse_207.029 Man kann sich den sprachlichen Aufbau des Weltbildes in pse_207.030 einzelnen Akten aufgebaut denken, die sich auch im Gefühlsverlauf pse_207.031 voneinander abheben. Jeder Akt ist ein geistig-sprachlich pse_207.032 neuer Griff ins Unbekannte und bisher noch Unbewältigte. pse_207.033 Der Aufbau aus solchen Akten darf nicht mit einer logischen pse_207.034 Reihe verwechselt werden. Das Ergebnis ist die Gestaltung pse_207.035 des vom Ich Ergriffenen in bestimmter innerer Haltung. Akt pse_207.036 und Ergebnis verdichten sich im sprachlichen Bild. pse_207.037 Daraus lassen sich schon bestimmte Eigenschaften ableiten. pse_207.038 Es sind vor allem zwei: die Unmittelbarkeit und die Vereindringlichung.

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/223>, abgerufen am 25.11.2024.