pse_254.001 Differenzierung der von uns erfaßten Welt. Dabei hat die pse_254.002 Dichtung an sich gezögert, alle diese Differenzierungen mitzumachen. pse_254.003 Aber es ist doch deutlich ein Weg zu erkennen pse_254.004 von der Aufklärung über den Sturm und Drang in den sogenannten pse_254.005 Realismus des 19. Jahrhunderts. Eine besonders pse_254.006 starke Ausdifferenzierungsstufe hat dann die kurze Epoche pse_254.007 des Naturalismus erreicht. Auf der einen Seite steht der reine pse_254.008 Naturalismus. Mit der weitgehenden Ausdifferenzierung des pse_254.009 Weltbildes in bezug auf das Soziale, die sich in einer starken pse_254.010 Vermehrung des Wortschatzes zeigt, verbindet sich ein Einbau pse_254.011 sachdarstellerischer Haltung, durch die ein unmittelbareres pse_254.012 Gestalten der außersprachlichen Wirklichkeit erreicht werden pse_254.013 soll. Demgegenüber betont der beinahe gleichzeitige Symbolismus pse_254.014 die reine Sprachkunst, also möglichste Entfernung pse_254.015 vom Konventionellen, vom Rationalen und vom Sachdarstellerischen. pse_254.016 Beide Richtungen zusammen schaffen also neue pse_254.017 Möglichkeiten sprachkünstlerischer Darstellung. Um das pse_254.018 etwa am erweiterten Wortschatz zu zeigen, braucht man nur pse_254.019 an die Lyrik G. Benns zu denken. Er zieht bewußt Lebensbereiche pse_254.020 in seine sprachliche Welterfassung herein, die bisher pse_254.021 vermieden wurden: das Ekelhafte und die wissenschaftliche pse_254.022 Terminologie. Man denke an das Gedicht "Mann und Frau pse_254.023 gehn durch die Krebsbaracke" und an seine statischen Gedichte. pse_254.024 Er hat recht, wenn er das tut. Denn tatsächlich können pse_254.025 die Bereiche, die mit diesen Worten umfaßt werden, auch pse_254.026 vom Innersten des Menschen her ergriffen werden, sie sind pse_254.027 daher sprachkünstlerisch prägbar. Hier hat auch der Impressionismus pse_254.028 vorgearbeitet; mit der Fülle seiner Eindrucksgestaltungen, pse_254.029 besonders im Reichtum und den verschiedenen Zusammensetzungen pse_254.030 seiner Eindrucksworte, hat er gerade die pse_254.031 Zwischenwelt zwischen Objekt und Subjekt, den Bezug des pse_254.032 Inneren zum Äußeren stark in die sprachliche Gestaltung pse_254.033 einbezogen.
pse_254.034 Die geschichtliche Bedingtheit der Sprachkunst führt zu pse_254.035 Wertungsfragen. Und zwar sondern sich hier deutlich rein pse_254.036 künstlerische und geschichtliche Wertung. Diese beachtet pse_254.037 vor allem die geschichtliche Gebundenheit der sprachkünstlerischen pse_254.038 Form. Manche Dichtungen sind ganz in den Epochenstil
pse_254.001 Differenzierung der von uns erfaßten Welt. Dabei hat die pse_254.002 Dichtung an sich gezögert, alle diese Differenzierungen mitzumachen. pse_254.003 Aber es ist doch deutlich ein Weg zu erkennen pse_254.004 von der Aufklärung über den Sturm und Drang in den sogenannten pse_254.005 Realismus des 19. Jahrhunderts. Eine besonders pse_254.006 starke Ausdifferenzierungsstufe hat dann die kurze Epoche pse_254.007 des Naturalismus erreicht. Auf der einen Seite steht der reine pse_254.008 Naturalismus. Mit der weitgehenden Ausdifferenzierung des pse_254.009 Weltbildes in bezug auf das Soziale, die sich in einer starken pse_254.010 Vermehrung des Wortschatzes zeigt, verbindet sich ein Einbau pse_254.011 sachdarstellerischer Haltung, durch die ein unmittelbareres pse_254.012 Gestalten der außersprachlichen Wirklichkeit erreicht werden pse_254.013 soll. Demgegenüber betont der beinahe gleichzeitige Symbolismus pse_254.014 die reine Sprachkunst, also möglichste Entfernung pse_254.015 vom Konventionellen, vom Rationalen und vom Sachdarstellerischen. pse_254.016 Beide Richtungen zusammen schaffen also neue pse_254.017 Möglichkeiten sprachkünstlerischer Darstellung. Um das pse_254.018 etwa am erweiterten Wortschatz zu zeigen, braucht man nur pse_254.019 an die Lyrik G. Benns zu denken. Er zieht bewußt Lebensbereiche pse_254.020 in seine sprachliche Welterfassung herein, die bisher pse_254.021 vermieden wurden: das Ekelhafte und die wissenschaftliche pse_254.022 Terminologie. Man denke an das Gedicht »Mann und Frau pse_254.023 gehn durch die Krebsbaracke« und an seine statischen Gedichte. pse_254.024 Er hat recht, wenn er das tut. Denn tatsächlich können pse_254.025 die Bereiche, die mit diesen Worten umfaßt werden, auch pse_254.026 vom Innersten des Menschen her ergriffen werden, sie sind pse_254.027 daher sprachkünstlerisch prägbar. Hier hat auch der Impressionismus pse_254.028 vorgearbeitet; mit der Fülle seiner Eindrucksgestaltungen, pse_254.029 besonders im Reichtum und den verschiedenen Zusammensetzungen pse_254.030 seiner Eindrucksworte, hat er gerade die pse_254.031 Zwischenwelt zwischen Objekt und Subjekt, den Bezug des pse_254.032 Inneren zum Äußeren stark in die sprachliche Gestaltung pse_254.033 einbezogen.
pse_254.034 Die geschichtliche Bedingtheit der Sprachkunst führt zu pse_254.035 Wertungsfragen. Und zwar sondern sich hier deutlich rein pse_254.036 künstlerische und geschichtliche Wertung. Diese beachtet pse_254.037 vor allem die geschichtliche Gebundenheit der sprachkünstlerischen pse_254.038 Form. Manche Dichtungen sind ganz in den Epochenstil
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0270"n="254"/><lbn="pse_254.001"/>
Differenzierung der von uns erfaßten Welt. Dabei hat die <lbn="pse_254.002"/>
Dichtung an sich gezögert, alle diese Differenzierungen mitzumachen. <lbn="pse_254.003"/>
Aber es ist doch deutlich ein Weg zu erkennen <lbn="pse_254.004"/>
von der Aufklärung über den Sturm und Drang in den sogenannten <lbn="pse_254.005"/>
Realismus des 19. Jahrhunderts. Eine besonders <lbn="pse_254.006"/>
starke Ausdifferenzierungsstufe hat dann die kurze Epoche <lbn="pse_254.007"/>
des Naturalismus erreicht. Auf der einen Seite steht der reine <lbn="pse_254.008"/>
Naturalismus. Mit der weitgehenden Ausdifferenzierung des <lbn="pse_254.009"/>
Weltbildes in bezug auf das Soziale, die sich in einer starken <lbn="pse_254.010"/>
Vermehrung des Wortschatzes zeigt, verbindet sich ein Einbau <lbn="pse_254.011"/>
sachdarstellerischer Haltung, durch die ein unmittelbareres <lbn="pse_254.012"/>
Gestalten der außersprachlichen Wirklichkeit erreicht werden <lbn="pse_254.013"/>
soll. Demgegenüber betont der beinahe gleichzeitige Symbolismus <lbn="pse_254.014"/>
die reine Sprachkunst, also möglichste Entfernung <lbn="pse_254.015"/>
vom Konventionellen, vom Rationalen und vom Sachdarstellerischen. <lbn="pse_254.016"/>
Beide Richtungen zusammen schaffen also neue <lbn="pse_254.017"/>
Möglichkeiten sprachkünstlerischer Darstellung. Um das <lbn="pse_254.018"/>
etwa am erweiterten Wortschatz zu zeigen, braucht man nur <lbn="pse_254.019"/>
an die Lyrik G. Benns zu denken. Er zieht bewußt Lebensbereiche <lbn="pse_254.020"/>
in seine sprachliche Welterfassung herein, die bisher <lbn="pse_254.021"/>
vermieden wurden: das Ekelhafte und die wissenschaftliche <lbn="pse_254.022"/>
Terminologie. Man denke an das Gedicht »Mann und Frau <lbn="pse_254.023"/>
gehn durch die Krebsbaracke« und an seine statischen Gedichte. <lbn="pse_254.024"/>
Er hat recht, wenn er das tut. Denn tatsächlich können <lbn="pse_254.025"/>
die Bereiche, die mit diesen Worten umfaßt werden, auch <lbn="pse_254.026"/>
vom Innersten des Menschen her ergriffen werden, sie sind <lbn="pse_254.027"/>
daher sprachkünstlerisch prägbar. Hier hat auch der Impressionismus <lbn="pse_254.028"/>
vorgearbeitet; mit der Fülle seiner Eindrucksgestaltungen, <lbn="pse_254.029"/>
besonders im Reichtum und den verschiedenen Zusammensetzungen <lbn="pse_254.030"/>
seiner Eindrucksworte, hat er gerade die <lbn="pse_254.031"/>
Zwischenwelt zwischen Objekt und Subjekt, den Bezug des <lbn="pse_254.032"/>
Inneren zum Äußeren stark in die sprachliche Gestaltung <lbn="pse_254.033"/>
einbezogen.</p><p><lbn="pse_254.034"/>
Die geschichtliche Bedingtheit der Sprachkunst führt zu <lbn="pse_254.035"/><hirendition="#i">Wertungsfragen.</hi> Und zwar sondern sich hier deutlich rein <lbn="pse_254.036"/>
künstlerische und geschichtliche Wertung. Diese beachtet <lbn="pse_254.037"/>
vor allem die geschichtliche Gebundenheit der sprachkünstlerischen <lbn="pse_254.038"/>
Form. Manche Dichtungen sind ganz in den Epochenstil
</p></div></div></div></body></text></TEI>
[254/0270]
pse_254.001
Differenzierung der von uns erfaßten Welt. Dabei hat die pse_254.002
Dichtung an sich gezögert, alle diese Differenzierungen mitzumachen. pse_254.003
Aber es ist doch deutlich ein Weg zu erkennen pse_254.004
von der Aufklärung über den Sturm und Drang in den sogenannten pse_254.005
Realismus des 19. Jahrhunderts. Eine besonders pse_254.006
starke Ausdifferenzierungsstufe hat dann die kurze Epoche pse_254.007
des Naturalismus erreicht. Auf der einen Seite steht der reine pse_254.008
Naturalismus. Mit der weitgehenden Ausdifferenzierung des pse_254.009
Weltbildes in bezug auf das Soziale, die sich in einer starken pse_254.010
Vermehrung des Wortschatzes zeigt, verbindet sich ein Einbau pse_254.011
sachdarstellerischer Haltung, durch die ein unmittelbareres pse_254.012
Gestalten der außersprachlichen Wirklichkeit erreicht werden pse_254.013
soll. Demgegenüber betont der beinahe gleichzeitige Symbolismus pse_254.014
die reine Sprachkunst, also möglichste Entfernung pse_254.015
vom Konventionellen, vom Rationalen und vom Sachdarstellerischen. pse_254.016
Beide Richtungen zusammen schaffen also neue pse_254.017
Möglichkeiten sprachkünstlerischer Darstellung. Um das pse_254.018
etwa am erweiterten Wortschatz zu zeigen, braucht man nur pse_254.019
an die Lyrik G. Benns zu denken. Er zieht bewußt Lebensbereiche pse_254.020
in seine sprachliche Welterfassung herein, die bisher pse_254.021
vermieden wurden: das Ekelhafte und die wissenschaftliche pse_254.022
Terminologie. Man denke an das Gedicht »Mann und Frau pse_254.023
gehn durch die Krebsbaracke« und an seine statischen Gedichte. pse_254.024
Er hat recht, wenn er das tut. Denn tatsächlich können pse_254.025
die Bereiche, die mit diesen Worten umfaßt werden, auch pse_254.026
vom Innersten des Menschen her ergriffen werden, sie sind pse_254.027
daher sprachkünstlerisch prägbar. Hier hat auch der Impressionismus pse_254.028
vorgearbeitet; mit der Fülle seiner Eindrucksgestaltungen, pse_254.029
besonders im Reichtum und den verschiedenen Zusammensetzungen pse_254.030
seiner Eindrucksworte, hat er gerade die pse_254.031
Zwischenwelt zwischen Objekt und Subjekt, den Bezug des pse_254.032
Inneren zum Äußeren stark in die sprachliche Gestaltung pse_254.033
einbezogen.
pse_254.034
Die geschichtliche Bedingtheit der Sprachkunst führt zu pse_254.035
Wertungsfragen. Und zwar sondern sich hier deutlich rein pse_254.036
künstlerische und geschichtliche Wertung. Diese beachtet pse_254.037
vor allem die geschichtliche Gebundenheit der sprachkünstlerischen pse_254.038
Form. Manche Dichtungen sind ganz in den Epochenstil
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/270>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.