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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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zwischen der fortlaufenden Bewegtheit und dem Statischen, pse_265.002
etwa durch den Sinn von Bildern oder durch Wiederholung pse_265.003
der Teile, durch Symmetrie usw. Diese ganze Bewegung ist pse_265.004
wie der Sprachrhythmus durch Hebungen und Senkungen pse_265.005
gegliedert und in seiner Art durch Stärke der Hebungen, Unbedeutendheit pse_265.006
der Senkungen, deren Aufeinanderfolge und pse_265.007
Zahl, endlich noch durch die deutliche Ausrichtung auf das pse_265.008
Ende zu mannigfach bestimmt. Diese Art der gegliederten pse_265.009
Gesamtbewegtheit unterscheidet die einzelnen Dramatiker pse_265.010
schon deutlich: Goethes ruhigere und ausgeglichenere Übergänge pse_265.011
zwischen den immerhin starken Hebungen und Senkungen pse_265.012
gegenüber Schillers starkem Wellengang und der pse_265.013
Heftigkeit und Stoßhaftigkeit Kleists. Eichendorffs Lyrik pse_265.014
zeigt eine weiche, doch lebhafte Linie, Hölderlins Lyrik führt pse_265.015
mächtig von einer Höhe zur nächsten.

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Damit berühren wir die architektonische Bedeutung von pse_265.017
Ruhe und Bewegung überhaupt. Die Einschaltung von pse_265.018
ruhigen Szenen gleicht aus und treibt doch zugleich Hebungen pse_265.019
um so mehr heraus. Man beachte, wie unheimlich niedergebrochen pse_265.020
im dritten Aufzug von "Kabale und Liebe" die pse_265.021
erste Szene zwischen dem Präsidenten und Wurm wirkt pse_265.022
nach der ungeheuerlichen Aufgipfelung des Schlusses vorher. pse_265.023
Die Art, wie die ruhigen und bewegten Glieder verteilt sind, pse_265.024
gibt dem Kunstwerk ein ganz bestimmtes Gepräge. Man kann pse_265.025
sich leicht die möglichen Kombinationen und ihre Werte pse_265.026
ausdenken und Beispiele dafür finden.

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Aus diesen Gliederungen durch den Gesamtablauf und pse_265.028
durch den Wechsel von Ruhe und Bewegung entsteht dann pse_265.029
auch die Steigerung als Kunstform. Es kann ein langsames pse_265.030
mächtiges Anschwellen sein wie etwa in der in dieser Hinsicht pse_265.031
meisterhaften Apfelschußszene im "Tell" oder ein plötzliches pse_265.032
Hochspringen wie der Überfall Penthesileas auf Achill. pse_265.033
Und wieder ist es wichtig, ob viele Steigerungen aufeinander pse_265.034
folgen oder eine einzige durch die ganze Dichtung geht. Für pse_265.035
jenes ist Mörikes Mozartnovelle ein hübscher Beleg; das pse_265.036
Ganze fügt sich gleichsam aus einer Reihe kleinster Novellen, pse_265.037
jede mit einer Steigerung und Höhe. Für diese Art kann pse_265.038
Storms "Schimmelreiter" stehen, besonders durch die ständigen

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[265/0281] pse_265.001 zwischen der fortlaufenden Bewegtheit und dem Statischen, pse_265.002 etwa durch den Sinn von Bildern oder durch Wiederholung pse_265.003 der Teile, durch Symmetrie usw. Diese ganze Bewegung ist pse_265.004 wie der Sprachrhythmus durch Hebungen und Senkungen pse_265.005 gegliedert und in seiner Art durch Stärke der Hebungen, Unbedeutendheit pse_265.006 der Senkungen, deren Aufeinanderfolge und pse_265.007 Zahl, endlich noch durch die deutliche Ausrichtung auf das pse_265.008 Ende zu mannigfach bestimmt. Diese Art der gegliederten pse_265.009 Gesamtbewegtheit unterscheidet die einzelnen Dramatiker pse_265.010 schon deutlich: Goethes ruhigere und ausgeglichenere Übergänge pse_265.011 zwischen den immerhin starken Hebungen und Senkungen pse_265.012 gegenüber Schillers starkem Wellengang und der pse_265.013 Heftigkeit und Stoßhaftigkeit Kleists. Eichendorffs Lyrik pse_265.014 zeigt eine weiche, doch lebhafte Linie, Hölderlins Lyrik führt pse_265.015 mächtig von einer Höhe zur nächsten. pse_265.016 Damit berühren wir die architektonische Bedeutung von pse_265.017 Ruhe und Bewegung überhaupt. Die Einschaltung von pse_265.018 ruhigen Szenen gleicht aus und treibt doch zugleich Hebungen pse_265.019 um so mehr heraus. Man beachte, wie unheimlich niedergebrochen pse_265.020 im dritten Aufzug von »Kabale und Liebe« die pse_265.021 erste Szene zwischen dem Präsidenten und Wurm wirkt pse_265.022 nach der ungeheuerlichen Aufgipfelung des Schlusses vorher. pse_265.023 Die Art, wie die ruhigen und bewegten Glieder verteilt sind, pse_265.024 gibt dem Kunstwerk ein ganz bestimmtes Gepräge. Man kann pse_265.025 sich leicht die möglichen Kombinationen und ihre Werte pse_265.026 ausdenken und Beispiele dafür finden. pse_265.027 Aus diesen Gliederungen durch den Gesamtablauf und pse_265.028 durch den Wechsel von Ruhe und Bewegung entsteht dann pse_265.029 auch die Steigerung als Kunstform. Es kann ein langsames pse_265.030 mächtiges Anschwellen sein wie etwa in der in dieser Hinsicht pse_265.031 meisterhaften Apfelschußszene im »Tell« oder ein plötzliches pse_265.032 Hochspringen wie der Überfall Penthesileas auf Achill. pse_265.033 Und wieder ist es wichtig, ob viele Steigerungen aufeinander pse_265.034 folgen oder eine einzige durch die ganze Dichtung geht. Für pse_265.035 jenes ist Mörikes Mozartnovelle ein hübscher Beleg; das pse_265.036 Ganze fügt sich gleichsam aus einer Reihe kleinster Novellen, pse_265.037 jede mit einer Steigerung und Höhe. Für diese Art kann pse_265.038 Storms »Schimmelreiter« stehen, besonders durch die ständigen

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/281>, abgerufen am 21.11.2024.