pse_267.001 noch weiter: grausen, geschwind, ächzen. Im dritten pse_267.002 Vers deutet der Strichpunkt eine Pause an. Bis hierher eine pse_267.003 Steigerung und plötzliches Anhalten, im vierten Vers die pse_267.004 Lösung, aber sinnvoll schaltet sich vor dem letzten Wort noch pse_267.005 eine Pause ein: die letzte Spannung und dann der Schlag. pse_267.006 Noch unheimlicher ist diese Spannung gestaltet in den Worten pse_267.007 der drei grauen Weiber in "Faust II".
pse_267.008
Es ziehen die Wolken, es schwinden die Sterne!pse_267.009 Da hinten, da hinten! von ferne, von ferne,pse_267.010 Da kommt er, der Bruder, da kommt er, der - - - - - Tod.
pse_267.011
Hier wirkt alles zusammen: die Bildvorbereitung im ersten pse_267.012 Vers, und dann die Unbestimmtheit der Ausrufe dadurch, pse_267.013 daß sie das Wichtigste, eben Sinnlösende verschweigen und pse_267.014 doch erwarten lassen, weil der Satzbau so gestaltet ist, dazu pse_267.015 die dauernden Wiederholungen, die das zu Erwartende immer pse_267.016 hinauszögern, und endlich die ungeheure, wohl einen pse_267.017 ganzen Vers füllende Pause. An beiden Beispielen erkennt pse_267.018 man, wie in der Dichtung durch den notwendigen Sinngehalt pse_267.019 der Sprache Spannung nicht bloß durch die Lautung pse_267.020 erzeugt wird, sondern auch durch den Gehalt der Worte und pse_267.021 Wortfügungen. Denn die Spannung entsteht ja gerade durch pse_267.022 das Warten auf den Sinngehalt des solange hinausgeschobenen pse_267.023 Wortes. Daß dieses dadurch in seinem Gefühlsgehalt erst pse_267.024 recht herausgetrieben wird, nur nebenbei. Damit erklärt es pse_267.025 sich, daß Neuheit durchaus auch als künstlerisches Mittel pse_267.026 von der Gehaltsseite her eingesetzt werden kann. Es gibt eine pse_267.027 Novelle, wo die ganze Spannung von Anfang zu Ende durch pse_267.028 den überraschenden Gehalt der ersten Worte geschaffen wird: pse_267.029 Kleists "Marquise von O." Hier wirken gerade dadurch auch pse_267.030 Gefühlserregungen mit. Im Drama wird Spannung zu einem pse_267.031 grundsätzlichen Formprinzip: wird Minna bei der ganzen pse_267.032 Sachlage Tellheim noch gewinnen können? Wie wird sich pse_267.033 die Reichsteilung König Lears auswirken? Etwas ist vorausgeworfen pse_267.034 und soll nun eingeholt werden; Problem heißt pse_267.035 ja das Vorausgeworfene!
pse_267.036 2. Die verschiedenen Wiederholungen sind eine weitere Kraft, pse_267.037 Dichtungen zu einer Ganzheit zusammenzuschließen. Es sind
pse_267.001 noch weiter: grausen, geschwind, ächzen. Im dritten pse_267.002 Vers deutet der Strichpunkt eine Pause an. Bis hierher eine pse_267.003 Steigerung und plötzliches Anhalten, im vierten Vers die pse_267.004 Lösung, aber sinnvoll schaltet sich vor dem letzten Wort noch pse_267.005 eine Pause ein: die letzte Spannung und dann der Schlag. pse_267.006 Noch unheimlicher ist diese Spannung gestaltet in den Worten pse_267.007 der drei grauen Weiber in »Faust II«.
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Es ziehen die Wolken, es schwinden die Sterne!pse_267.009 Da hinten, da hinten! von ferne, von ferne,pse_267.010 Da kommt er, der Bruder, da kommt er, der - - - - - Tod.
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Hier wirkt alles zusammen: die Bildvorbereitung im ersten pse_267.012 Vers, und dann die Unbestimmtheit der Ausrufe dadurch, pse_267.013 daß sie das Wichtigste, eben Sinnlösende verschweigen und pse_267.014 doch erwarten lassen, weil der Satzbau so gestaltet ist, dazu pse_267.015 die dauernden Wiederholungen, die das zu Erwartende immer pse_267.016 hinauszögern, und endlich die ungeheure, wohl einen pse_267.017 ganzen Vers füllende Pause. An beiden Beispielen erkennt pse_267.018 man, wie in der Dichtung durch den notwendigen Sinngehalt pse_267.019 der Sprache Spannung nicht bloß durch die Lautung pse_267.020 erzeugt wird, sondern auch durch den Gehalt der Worte und pse_267.021 Wortfügungen. Denn die Spannung entsteht ja gerade durch pse_267.022 das Warten auf den Sinngehalt des solange hinausgeschobenen pse_267.023 Wortes. Daß dieses dadurch in seinem Gefühlsgehalt erst pse_267.024 recht herausgetrieben wird, nur nebenbei. Damit erklärt es pse_267.025 sich, daß Neuheit durchaus auch als künstlerisches Mittel pse_267.026 von der Gehaltsseite her eingesetzt werden kann. Es gibt eine pse_267.027 Novelle, wo die ganze Spannung von Anfang zu Ende durch pse_267.028 den überraschenden Gehalt der ersten Worte geschaffen wird: pse_267.029 Kleists »Marquise von O.« Hier wirken gerade dadurch auch pse_267.030 Gefühlserregungen mit. Im Drama wird Spannung zu einem pse_267.031 grundsätzlichen Formprinzip: wird Minna bei der ganzen pse_267.032 Sachlage Tellheim noch gewinnen können? Wie wird sich pse_267.033 die Reichsteilung König Lears auswirken? Etwas ist vorausgeworfen pse_267.034 und soll nun eingeholt werden; Problem heißt pse_267.035 ja das Vorausgeworfene!
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noch weiter: grausen, geschwind, ächzen. Im dritten pse_267.002
Vers deutet der Strichpunkt eine Pause an. Bis hierher eine pse_267.003
Steigerung und plötzliches Anhalten, im vierten Vers die pse_267.004
Lösung, aber sinnvoll schaltet sich vor dem letzten Wort noch pse_267.005
eine Pause ein: die letzte Spannung und dann der Schlag. pse_267.006
Noch unheimlicher ist diese Spannung gestaltet in den Worten pse_267.007
der drei grauen Weiber in »Faust II«.
pse_267.008
Es ziehen die Wolken, es schwinden die Sterne! pse_267.009
Da hinten, da hinten! von ferne, von ferne, pse_267.010
Da kommt er, der Bruder, da kommt er, der - - - - - Tod.
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Hier wirkt alles zusammen: die Bildvorbereitung im ersten pse_267.012
Vers, und dann die Unbestimmtheit der Ausrufe dadurch, pse_267.013
daß sie das Wichtigste, eben Sinnlösende verschweigen und pse_267.014
doch erwarten lassen, weil der Satzbau so gestaltet ist, dazu pse_267.015
die dauernden Wiederholungen, die das zu Erwartende immer pse_267.016
hinauszögern, und endlich die ungeheure, wohl einen pse_267.017
ganzen Vers füllende Pause. An beiden Beispielen erkennt pse_267.018
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der Sprache Spannung nicht bloß durch die Lautung pse_267.020
erzeugt wird, sondern auch durch den Gehalt der Worte und pse_267.021
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von der Gehaltsseite her eingesetzt werden kann. Es gibt eine pse_267.027
Novelle, wo die ganze Spannung von Anfang zu Ende durch pse_267.028
den überraschenden Gehalt der ersten Worte geschaffen wird: pse_267.029
Kleists »Marquise von O.« Hier wirken gerade dadurch auch pse_267.030
Gefühlserregungen mit. Im Drama wird Spannung zu einem pse_267.031
grundsätzlichen Formprinzip: wird Minna bei der ganzen pse_267.032
Sachlage Tellheim noch gewinnen können? Wie wird sich pse_267.033
die Reichsteilung König Lears auswirken? Etwas ist vorausgeworfen pse_267.034
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ja das Vorausgeworfene!
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/283>, abgerufen am 21.11.2024.
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