pse_274.001 klar wirkende Ordnung. Von vollendeter Symmetrie ist pse_274.002 Schillers "Braut von Messina": fünf Bühnenbilder sind in pse_274.003 folgender Weise angeordnet: das erste und letzte sind gleich pse_274.004 und stellen den feierlichen Säulenhof dar, in dem die erhebenden pse_274.005 und die zerschmetternden Szenen spielen. Es sind auch pse_274.006 versmäßig die längsten beiden Szenen und beinahe gleich pse_274.007 lang. Die zweite und vierte Szene stellen das gleiche Gartenbild pse_274.008 dar, sie sind die kürzesten und wieder beinahe gleich pse_274.009 lang. Die mittlere Szene, auch in der Länge zwischen den pse_274.010 anderen, stellt einen Innenraum dar, wo, abgetrennt von pse_274.011 Welt und Menschen, nur die Mutter mit den Söhnen allein pse_274.012 ist und wo sie sich gegenseitig die entscheidenden Mitteilungen pse_274.013 machen. Hier schlägt aus größter Freude und Hybris pse_274.014 die Richtung endgültig ins Vernichtende um. Solche symmetrische pse_274.015 Anlage scheint in mittelalterlicher Dichtung oft pse_274.016 noch viel genauer und verschlungener vorhanden zu sein. pse_274.017 Die mannigfachen Zahlenverhältnisse der einzelnen Glieder pse_274.018 einer epischen Dichtung sind wie Analogien zu der Geordnetheit pse_274.019 der gesamten Gotteswelt.
pse_274.020 4. Jede Dichtung stellt in sich gleichsam einen eigenen Raumpse_274.021 gestalteter Welt dar. Man spürt, aus welcher Art erlebten pse_274.022 Lebensraumes die Dichtung gewachsen ist. Man denke an pse_274.023 Eichendorff neben C. F. Meyer, an den "Tasso" neben "Maria pse_274.024 Magdalena", an Trakls Lyrik neben der Mörikes. Spoerri pse_274.025 hat eine ganze Reihe solcher Möglichkeiten erwähnt: weite pse_274.026 Räume neben engen, offene neben geschlossenen, durchlüftete pse_274.027 neben muffigen, geordnete neben wüsten, festgefügte pse_274.028 neben zerfallenden, seichte neben abgründigen. Eindringlich pse_274.029 könnte man auch die räumlich gebaute Welt Kafkas der Stifters pse_274.030 gegenüberstellen: dort das Einengende, ohne Ausweg, pse_274.031 ohne Schönheit, ohne Übersicht, den Menschen in die Fremdheit pse_274.032 und Verzweiflung stoßend; hier klare Ordnung, Weite pse_274.033 auch im geschlossenen Raum, Schönheit; hier wachsen geklärte pse_274.034 Menschen, von hier aus greifen sie in die Welt aus und pse_274.035 haben immer einen Rückhalt. Formal-ästhetisch beide von pse_274.036 gleicher Vollkommenheit und Tiefe, zeigen sie, wie durch pse_274.037 solche Raumgestaltung eine deutliche und unbedingte Geschlossenheit pse_274.038 jeder Dichtung entsteht.
pse_274.001 klar wirkende Ordnung. Von vollendeter Symmetrie ist pse_274.002 Schillers »Braut von Messina«: fünf Bühnenbilder sind in pse_274.003 folgender Weise angeordnet: das erste und letzte sind gleich pse_274.004 und stellen den feierlichen Säulenhof dar, in dem die erhebenden pse_274.005 und die zerschmetternden Szenen spielen. Es sind auch pse_274.006 versmäßig die längsten beiden Szenen und beinahe gleich pse_274.007 lang. Die zweite und vierte Szene stellen das gleiche Gartenbild pse_274.008 dar, sie sind die kürzesten und wieder beinahe gleich pse_274.009 lang. Die mittlere Szene, auch in der Länge zwischen den pse_274.010 anderen, stellt einen Innenraum dar, wo, abgetrennt von pse_274.011 Welt und Menschen, nur die Mutter mit den Söhnen allein pse_274.012 ist und wo sie sich gegenseitig die entscheidenden Mitteilungen pse_274.013 machen. Hier schlägt aus größter Freude und Hybris pse_274.014 die Richtung endgültig ins Vernichtende um. Solche symmetrische pse_274.015 Anlage scheint in mittelalterlicher Dichtung oft pse_274.016 noch viel genauer und verschlungener vorhanden zu sein. pse_274.017 Die mannigfachen Zahlenverhältnisse der einzelnen Glieder pse_274.018 einer epischen Dichtung sind wie Analogien zu der Geordnetheit pse_274.019 der gesamten Gotteswelt.
pse_274.020 4. Jede Dichtung stellt in sich gleichsam einen eigenen Raumpse_274.021 gestalteter Welt dar. Man spürt, aus welcher Art erlebten pse_274.022 Lebensraumes die Dichtung gewachsen ist. Man denke an pse_274.023 Eichendorff neben C. F. Meyer, an den »Tasso« neben »Maria pse_274.024 Magdalena«, an Trakls Lyrik neben der Mörikes. Spoerri pse_274.025 hat eine ganze Reihe solcher Möglichkeiten erwähnt: weite pse_274.026 Räume neben engen, offene neben geschlossenen, durchlüftete pse_274.027 neben muffigen, geordnete neben wüsten, festgefügte pse_274.028 neben zerfallenden, seichte neben abgründigen. Eindringlich pse_274.029 könnte man auch die räumlich gebaute Welt Kafkas der Stifters pse_274.030 gegenüberstellen: dort das Einengende, ohne Ausweg, pse_274.031 ohne Schönheit, ohne Übersicht, den Menschen in die Fremdheit pse_274.032 und Verzweiflung stoßend; hier klare Ordnung, Weite pse_274.033 auch im geschlossenen Raum, Schönheit; hier wachsen geklärte pse_274.034 Menschen, von hier aus greifen sie in die Welt aus und pse_274.035 haben immer einen Rückhalt. Formal-ästhetisch beide von pse_274.036 gleicher Vollkommenheit und Tiefe, zeigen sie, wie durch pse_274.037 solche Raumgestaltung eine deutliche und unbedingte Geschlossenheit pse_274.038 jeder Dichtung entsteht.
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Schillers »Braut von Messina«: fünf Bühnenbilder sind in pse_274.003
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und stellen den feierlichen Säulenhof dar, in dem die erhebenden pse_274.005
und die zerschmetternden Szenen spielen. Es sind auch pse_274.006
versmäßig die längsten beiden Szenen und beinahe gleich pse_274.007
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dar, sie sind die kürzesten und wieder beinahe gleich pse_274.009
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Welt und Menschen, nur die Mutter mit den Söhnen allein pse_274.012
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Anlage scheint in mittelalterlicher Dichtung oft pse_274.016
noch viel genauer und verschlungener vorhanden zu sein. pse_274.017
Die mannigfachen Zahlenverhältnisse der einzelnen Glieder pse_274.018
einer epischen Dichtung sind wie Analogien zu der Geordnetheit pse_274.019
der gesamten Gotteswelt.
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Lebensraumes die Dichtung gewachsen ist. Man denke an pse_274.023
Eichendorff neben C. F. Meyer, an den »Tasso« neben »Maria pse_274.024
Magdalena«, an Trakls Lyrik neben der Mörikes. Spoerri pse_274.025
hat eine ganze Reihe solcher Möglichkeiten erwähnt: weite pse_274.026
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auch im geschlossenen Raum, Schönheit; hier wachsen geklärte pse_274.034
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/290>, abgerufen am 21.11.2024.
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