pse_275.001 Wir nähern uns damit der schließenden Kraft der Rahmung.pse_275.002 Sie ist für viele Dichtungen jeder Gattung eine besonders pse_275.003 wirkungsvolle Form und bietet eine Fülle von Möglichkeiten pse_275.004 und Abwandlungen. Schon der Begriff Rahmen muß im pse_275.005 ästhetischen Sinne weit genommen werden. Immer, wenn pse_275.006 eine Dichtung in eine deutliche Gesamtatmosphäre getaucht pse_275.007 ist, kann man im weitesten Sinn schon davon sprechen. Vielfach pse_275.008 aber legt der Dichter einen deutlichen Rahmen um eine pse_275.009 Dichtung. Sein Sinn ist architektonische Geschlossenheit, pse_275.010 Abhebung von jeder anderen Wirklichkeit. Freilich gibt es pse_275.011 auch gehaltliche Zusammenhänge zwischen dem Rahmen und pse_275.012 dem Gerahmten, so daß Vertiefung des Gehalts durch diese pse_275.013 Kunstform entsteht. Dabei kann die Sinnschwere bald auf pse_275.014 dem Rahmen, bald auf dem Gerahmten liegen, und damit pse_275.015 ergibt sich jeweils ein anderes Aufbaugepräge. Die beiden pse_275.016 Glieder können auch in einem besonderen Stimmungsverhältnis pse_275.017 stehen, in einem gegensätzlichen etwa oder im Sinne pse_275.018 einer Steigerung oder ähnliches. Das rationale Verhältnis pse_275.019 kann, besonders in moderner Epik, auch eine Rolle spielen. pse_275.020 Nicht immer ist der Rahmen vollständig: es kann der schließende pse_275.021 Teil fehlen, so daß eher von einer einführenden Einstimmung pse_275.022 die Rede ist. Der schließende Teil kann entweder pse_275.023 wieder zum Anfang zurückkehren, oder er führt durch das, pse_275.024 was das Gerahmte gestaltet hat, auf eine höhere Ebene. Das pse_275.025 sind alles mehr allgemeine Angaben, die nur zeigen sollen, pse_275.026 wie dem Dichter damit ein reiches Kunstmittel gegeben ist, pse_275.027 den Aufbau zu gestalten. Einzelheiten und Beispiele folgen pse_275.028 bei den einzelnen Dichtungsgattungen.
pse_275.029 Gespanntheit
pse_275.030 Die Mannigfaltigkeit des Aufbaues einer Dichtung wäre pse_275.031 nur einseitig erfaßt, wenn man ausschließlich die Möglichkeiten pse_275.032 der Bindung zur Gesamtheit und Geschlossenheit betrachtete. pse_275.033 Gerade Lockerungen, Zusammenhangslosigkeit pse_275.034 oder Zerreißung können eigenartig und wesentlich sein.
pse_275.035 Wenn die Bindung zerstört erscheint, haben wir es mit pse_275.036 dem Eindruck der Zerrissenheit zu tun. Es entstehen Unterbrechungen
pse_275.001 Wir nähern uns damit der schließenden Kraft der Rahmung.pse_275.002 Sie ist für viele Dichtungen jeder Gattung eine besonders pse_275.003 wirkungsvolle Form und bietet eine Fülle von Möglichkeiten pse_275.004 und Abwandlungen. Schon der Begriff Rahmen muß im pse_275.005 ästhetischen Sinne weit genommen werden. Immer, wenn pse_275.006 eine Dichtung in eine deutliche Gesamtatmosphäre getaucht pse_275.007 ist, kann man im weitesten Sinn schon davon sprechen. Vielfach pse_275.008 aber legt der Dichter einen deutlichen Rahmen um eine pse_275.009 Dichtung. Sein Sinn ist architektonische Geschlossenheit, pse_275.010 Abhebung von jeder anderen Wirklichkeit. Freilich gibt es pse_275.011 auch gehaltliche Zusammenhänge zwischen dem Rahmen und pse_275.012 dem Gerahmten, so daß Vertiefung des Gehalts durch diese pse_275.013 Kunstform entsteht. Dabei kann die Sinnschwere bald auf pse_275.014 dem Rahmen, bald auf dem Gerahmten liegen, und damit pse_275.015 ergibt sich jeweils ein anderes Aufbaugepräge. Die beiden pse_275.016 Glieder können auch in einem besonderen Stimmungsverhältnis pse_275.017 stehen, in einem gegensätzlichen etwa oder im Sinne pse_275.018 einer Steigerung oder ähnliches. Das rationale Verhältnis pse_275.019 kann, besonders in moderner Epik, auch eine Rolle spielen. pse_275.020 Nicht immer ist der Rahmen vollständig: es kann der schließende pse_275.021 Teil fehlen, so daß eher von einer einführenden Einstimmung pse_275.022 die Rede ist. Der schließende Teil kann entweder pse_275.023 wieder zum Anfang zurückkehren, oder er führt durch das, pse_275.024 was das Gerahmte gestaltet hat, auf eine höhere Ebene. Das pse_275.025 sind alles mehr allgemeine Angaben, die nur zeigen sollen, pse_275.026 wie dem Dichter damit ein reiches Kunstmittel gegeben ist, pse_275.027 den Aufbau zu gestalten. Einzelheiten und Beispiele folgen pse_275.028 bei den einzelnen Dichtungsgattungen.
pse_275.029 Gespanntheit
pse_275.030 Die Mannigfaltigkeit des Aufbaues einer Dichtung wäre pse_275.031 nur einseitig erfaßt, wenn man ausschließlich die Möglichkeiten pse_275.032 der Bindung zur Gesamtheit und Geschlossenheit betrachtete. pse_275.033 Gerade Lockerungen, Zusammenhangslosigkeit pse_275.034 oder Zerreißung können eigenartig und wesentlich sein.
pse_275.035 Wenn die Bindung zerstört erscheint, haben wir es mit pse_275.036 dem Eindruck der Zerrissenheit zu tun. Es entstehen Unterbrechungen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0291"n="275"/><p><lbn="pse_275.001"/>
Wir nähern uns damit der schließenden Kraft der <hirendition="#i">Rahmung.</hi><lbn="pse_275.002"/>
Sie ist für viele Dichtungen jeder Gattung eine besonders <lbn="pse_275.003"/>
wirkungsvolle Form und bietet eine Fülle von Möglichkeiten <lbn="pse_275.004"/>
und Abwandlungen. Schon der Begriff Rahmen muß im <lbn="pse_275.005"/>
ästhetischen Sinne weit genommen werden. Immer, wenn <lbn="pse_275.006"/>
eine Dichtung in eine deutliche Gesamtatmosphäre getaucht <lbn="pse_275.007"/>
ist, kann man im weitesten Sinn schon davon sprechen. Vielfach <lbn="pse_275.008"/>
aber legt der Dichter einen deutlichen Rahmen um eine <lbn="pse_275.009"/>
Dichtung. Sein Sinn ist architektonische Geschlossenheit, <lbn="pse_275.010"/>
Abhebung von jeder anderen Wirklichkeit. Freilich gibt es <lbn="pse_275.011"/>
auch gehaltliche Zusammenhänge zwischen dem Rahmen und <lbn="pse_275.012"/>
dem Gerahmten, so daß Vertiefung des Gehalts durch diese <lbn="pse_275.013"/>
Kunstform entsteht. Dabei kann die Sinnschwere bald auf <lbn="pse_275.014"/>
dem Rahmen, bald auf dem Gerahmten liegen, und damit <lbn="pse_275.015"/>
ergibt sich jeweils ein anderes Aufbaugepräge. Die beiden <lbn="pse_275.016"/>
Glieder können auch in einem besonderen Stimmungsverhältnis <lbn="pse_275.017"/>
stehen, in einem gegensätzlichen etwa oder im Sinne <lbn="pse_275.018"/>
einer Steigerung oder ähnliches. Das rationale Verhältnis <lbn="pse_275.019"/>
kann, besonders in moderner Epik, auch eine Rolle spielen. <lbn="pse_275.020"/>
Nicht immer ist der Rahmen vollständig: es kann der schließende <lbn="pse_275.021"/>
Teil fehlen, so daß eher von einer einführenden Einstimmung <lbn="pse_275.022"/>
die Rede ist. Der schließende Teil kann entweder <lbn="pse_275.023"/>
wieder zum Anfang zurückkehren, oder er führt durch das, <lbn="pse_275.024"/>
was das Gerahmte gestaltet hat, auf eine höhere Ebene. Das <lbn="pse_275.025"/>
sind alles mehr allgemeine Angaben, die nur zeigen sollen, <lbn="pse_275.026"/>
wie dem Dichter damit ein reiches Kunstmittel gegeben ist, <lbn="pse_275.027"/>
den Aufbau zu gestalten. Einzelheiten und Beispiele folgen <lbn="pse_275.028"/>
bei den einzelnen Dichtungsgattungen.</p></div><divn="4"><lbn="pse_275.029"/><head><hirendition="#c"><hirendition="#i">Gespanntheit</hi></hi></head><p><lbn="pse_275.030"/>
Die Mannigfaltigkeit des Aufbaues einer Dichtung wäre <lbn="pse_275.031"/>
nur einseitig erfaßt, wenn man ausschließlich die Möglichkeiten <lbn="pse_275.032"/>
der Bindung zur Gesamtheit und Geschlossenheit betrachtete. <lbn="pse_275.033"/>
Gerade Lockerungen, Zusammenhangslosigkeit <lbn="pse_275.034"/>
oder Zerreißung können eigenartig und wesentlich sein.</p><p><lbn="pse_275.035"/>
Wenn die Bindung zerstört erscheint, haben wir es mit <lbn="pse_275.036"/>
dem Eindruck der <hirendition="#i">Zerrissenheit</hi> zu tun. Es entstehen Unterbrechungen
</p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[275/0291]
pse_275.001
Wir nähern uns damit der schließenden Kraft der Rahmung. pse_275.002
Sie ist für viele Dichtungen jeder Gattung eine besonders pse_275.003
wirkungsvolle Form und bietet eine Fülle von Möglichkeiten pse_275.004
und Abwandlungen. Schon der Begriff Rahmen muß im pse_275.005
ästhetischen Sinne weit genommen werden. Immer, wenn pse_275.006
eine Dichtung in eine deutliche Gesamtatmosphäre getaucht pse_275.007
ist, kann man im weitesten Sinn schon davon sprechen. Vielfach pse_275.008
aber legt der Dichter einen deutlichen Rahmen um eine pse_275.009
Dichtung. Sein Sinn ist architektonische Geschlossenheit, pse_275.010
Abhebung von jeder anderen Wirklichkeit. Freilich gibt es pse_275.011
auch gehaltliche Zusammenhänge zwischen dem Rahmen und pse_275.012
dem Gerahmten, so daß Vertiefung des Gehalts durch diese pse_275.013
Kunstform entsteht. Dabei kann die Sinnschwere bald auf pse_275.014
dem Rahmen, bald auf dem Gerahmten liegen, und damit pse_275.015
ergibt sich jeweils ein anderes Aufbaugepräge. Die beiden pse_275.016
Glieder können auch in einem besonderen Stimmungsverhältnis pse_275.017
stehen, in einem gegensätzlichen etwa oder im Sinne pse_275.018
einer Steigerung oder ähnliches. Das rationale Verhältnis pse_275.019
kann, besonders in moderner Epik, auch eine Rolle spielen. pse_275.020
Nicht immer ist der Rahmen vollständig: es kann der schließende pse_275.021
Teil fehlen, so daß eher von einer einführenden Einstimmung pse_275.022
die Rede ist. Der schließende Teil kann entweder pse_275.023
wieder zum Anfang zurückkehren, oder er führt durch das, pse_275.024
was das Gerahmte gestaltet hat, auf eine höhere Ebene. Das pse_275.025
sind alles mehr allgemeine Angaben, die nur zeigen sollen, pse_275.026
wie dem Dichter damit ein reiches Kunstmittel gegeben ist, pse_275.027
den Aufbau zu gestalten. Einzelheiten und Beispiele folgen pse_275.028
bei den einzelnen Dichtungsgattungen.
pse_275.029
Gespanntheit pse_275.030
Die Mannigfaltigkeit des Aufbaues einer Dichtung wäre pse_275.031
nur einseitig erfaßt, wenn man ausschließlich die Möglichkeiten pse_275.032
der Bindung zur Gesamtheit und Geschlossenheit betrachtete. pse_275.033
Gerade Lockerungen, Zusammenhangslosigkeit pse_275.034
oder Zerreißung können eigenartig und wesentlich sein.
pse_275.035
Wenn die Bindung zerstört erscheint, haben wir es mit pse_275.036
dem Eindruck der Zerrissenheit zu tun. Es entstehen Unterbrechungen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/291>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.