Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.pse_290.001 Wie wenn auf einmal in die Kreise pse_290.007 Der Freude, mit Gigantenschritt, pse_290.008 Geheimnisvoll nach Geisterweise pse_290.009 Ein ungeheures Schicksal tritt. pse_290.010 Da beugt sich jede Erdengröße pse_290.011 Dem Fremdling aus der andern Welt, pse_290.012 Des Jubels nichtiges Getöse pse_290.013 Verstummt, und jede Larve fällt, pse_290.014 Und vor der Wahrheit mächt'gem Siege pse_290.015 Verschwindet jedes Werk der Lüge. pse_290.016 pse_290.026So rafft von jeder eitlen Bürde, pse_290.017 Wenn des Gesanges Ruf erschallt, pse_290.018 Der Mensch sich auf zur Geisterwürde pse_290.019 Und tritt in heilige Gewalt; pse_290.020 Den hohen Göttern ist er eigen, pse_290.021 Ihm darf nichts Irdisches sich nahn, pse_290.022 Und jede andre Macht muß schweigen, pse_290.023 Und kein Verhängnis fällt ihn an, pse_290.024 Es schwinden jedes Kummers Falten, pse_290.025 Solang des Liedes Zauber walten. Das Erhabene formt sich nicht nur in solcher mächtigen pse_290.027 pse_290.030 pse_290.036 pse_290.001 Wie wenn auf einmal in die Kreise pse_290.007 Der Freude, mit Gigantenschritt, pse_290.008 Geheimnisvoll nach Geisterweise pse_290.009 Ein ungeheures Schicksal tritt. pse_290.010 Da beugt sich jede Erdengröße pse_290.011 Dem Fremdling aus der andern Welt, pse_290.012 Des Jubels nichtiges Getöse pse_290.013 Verstummt, und jede Larve fällt, pse_290.014 Und vor der Wahrheit mächt'gem Siege pse_290.015 Verschwindet jedes Werk der Lüge. pse_290.016 pse_290.026So rafft von jeder eitlen Bürde, pse_290.017 Wenn des Gesanges Ruf erschallt, pse_290.018 Der Mensch sich auf zur Geisterwürde pse_290.019 Und tritt in heilige Gewalt; pse_290.020 Den hohen Göttern ist er eigen, pse_290.021 Ihm darf nichts Irdisches sich nahn, pse_290.022 Und jede andre Macht muß schweigen, pse_290.023 Und kein Verhängnis fällt ihn an, pse_290.024 Es schwinden jedes Kummers Falten, pse_290.025 Solang des Liedes Zauber walten. Das Erhabene formt sich nicht nur in solcher mächtigen pse_290.027 pse_290.030 pse_290.036 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0306" n="290"/><lb n="pse_290.001"/> für die künstlerische Gestaltung des Erhabenen bietet <lb n="pse_290.002"/> besonders Schillers »Macht des Gesanges«. Abgesehen vom <lb n="pse_290.003"/> Stil ist hier die weitgespannte architektonische Bewegung <lb n="pse_290.004"/> wichtig, die z. B. über Strophe drei und vier in einer großen <lb n="pse_290.005"/> Steigerung und Senkung führt:</p> <lb n="pse_290.006"/> <lg> <l> <hi rendition="#aq">Wie wenn auf einmal in die Kreise</hi> </l> <lb n="pse_290.007"/> <l> <hi rendition="#aq">Der Freude, mit Gigantenschritt,</hi> </l> <lb n="pse_290.008"/> <l> <hi rendition="#aq">Geheimnisvoll nach Geisterweise</hi> </l> <lb n="pse_290.009"/> <l> <hi rendition="#aq">Ein ungeheures Schicksal tritt.</hi> </l> <lb n="pse_290.010"/> <l> <hi rendition="#aq">Da beugt sich jede Erdengröße</hi> </l> <lb n="pse_290.011"/> <l> <hi rendition="#aq">Dem Fremdling aus der andern Welt,</hi> </l> <lb n="pse_290.012"/> <l> <hi rendition="#aq">Des Jubels nichtiges Getöse</hi> </l> <lb n="pse_290.013"/> <l> <hi rendition="#aq">Verstummt, und jede Larve fällt,</hi> </l> <lb n="pse_290.014"/> <l> <hi rendition="#aq">Und vor der Wahrheit mächt'gem Siege</hi> </l> <lb n="pse_290.015"/> <l> <hi rendition="#aq">Verschwindet jedes Werk der Lüge. </hi> </l> </lg> <lg> <lb n="pse_290.016"/> <l> <hi rendition="#aq">So rafft von jeder eitlen Bürde,</hi> </l> <lb n="pse_290.017"/> <l> <hi rendition="#aq">Wenn des Gesanges Ruf erschallt,</hi> </l> <lb n="pse_290.018"/> <l> <hi rendition="#aq">Der Mensch sich auf zur Geisterwürde</hi> </l> <lb n="pse_290.019"/> <l> <hi rendition="#aq">Und tritt in heilige Gewalt;</hi> </l> <lb n="pse_290.020"/> <l> <hi rendition="#aq">Den hohen Göttern ist er eigen,</hi> </l> <lb n="pse_290.021"/> <l> <hi rendition="#aq">Ihm darf nichts Irdisches sich nahn,</hi> </l> <lb n="pse_290.022"/> <l> <hi rendition="#aq">Und jede andre Macht muß schweigen,</hi> </l> <lb n="pse_290.023"/> <l> <hi rendition="#aq">Und kein Verhängnis fällt ihn an,</hi> </l> <lb n="pse_290.024"/> <l> <hi rendition="#aq">Es schwinden jedes Kummers Falten,</hi> </l> <lb n="pse_290.025"/> <l> <hi rendition="#aq">Solang des Liedes Zauber walten.</hi> </l> </lg> <lb n="pse_290.026"/> <p>Das Erhabene formt sich nicht nur in solcher mächtigen <lb n="pse_290.027"/> rhythmischen Fortbewegung aus, sondern auch in Starrheit. <lb n="pse_290.028"/> Die sprachlichen Züge aber bleiben erhalten. Im Barock <lb n="pse_290.029"/> finden wir solche Gestaltung.</p> <p><lb n="pse_290.030"/> Das Erhabene als Gestaltungsebene kann auch eine Grundlage <lb n="pse_290.031"/> für die Entfaltung des Tragischen sein. Gewiß ist Tragisches <lb n="pse_290.032"/> bis zu einem gewissen Grade auch auf der Ebene des <lb n="pse_290.033"/> Derben möglich, nie aber auf der mittleren Ebene, weil sie der <lb n="pse_290.034"/> tiefen Erschütterung, die im Wesen des Tragischen liegt, <lb n="pse_290.035"/> völlig entgegensteht.</p> <p><lb n="pse_290.036"/> Weitere dichterische Möglichkeiten ergeben sich, wenn wir <lb n="pse_290.037"/> die <hi rendition="#i">Beziehungen zwischen den Gestaltungsebenen</hi> betrachten. <lb n="pse_290.038"/> Grundsätzlich bestehen zwei Möglichkeiten: reine Durchführung <lb n="pse_290.039"/> einer Dichtung auf einer Ebene oder Wechsel <lb n="pse_290.040"/> mehrerer Ebenen. Diese Formen sind wichtiger als Misch- <lb n="pse_290.041"/> und Übergangsformen, denn es lassen sich Übergänge vom </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [290/0306]
pse_290.001
für die künstlerische Gestaltung des Erhabenen bietet pse_290.002
besonders Schillers »Macht des Gesanges«. Abgesehen vom pse_290.003
Stil ist hier die weitgespannte architektonische Bewegung pse_290.004
wichtig, die z. B. über Strophe drei und vier in einer großen pse_290.005
Steigerung und Senkung führt:
pse_290.006
Wie wenn auf einmal in die Kreise pse_290.007
Der Freude, mit Gigantenschritt, pse_290.008
Geheimnisvoll nach Geisterweise pse_290.009
Ein ungeheures Schicksal tritt. pse_290.010
Da beugt sich jede Erdengröße pse_290.011
Dem Fremdling aus der andern Welt, pse_290.012
Des Jubels nichtiges Getöse pse_290.013
Verstummt, und jede Larve fällt, pse_290.014
Und vor der Wahrheit mächt'gem Siege pse_290.015
Verschwindet jedes Werk der Lüge.
pse_290.016
So rafft von jeder eitlen Bürde, pse_290.017
Wenn des Gesanges Ruf erschallt, pse_290.018
Der Mensch sich auf zur Geisterwürde pse_290.019
Und tritt in heilige Gewalt; pse_290.020
Den hohen Göttern ist er eigen, pse_290.021
Ihm darf nichts Irdisches sich nahn, pse_290.022
Und jede andre Macht muß schweigen, pse_290.023
Und kein Verhängnis fällt ihn an, pse_290.024
Es schwinden jedes Kummers Falten, pse_290.025
Solang des Liedes Zauber walten.
pse_290.026
Das Erhabene formt sich nicht nur in solcher mächtigen pse_290.027
rhythmischen Fortbewegung aus, sondern auch in Starrheit. pse_290.028
Die sprachlichen Züge aber bleiben erhalten. Im Barock pse_290.029
finden wir solche Gestaltung.
pse_290.030
Das Erhabene als Gestaltungsebene kann auch eine Grundlage pse_290.031
für die Entfaltung des Tragischen sein. Gewiß ist Tragisches pse_290.032
bis zu einem gewissen Grade auch auf der Ebene des pse_290.033
Derben möglich, nie aber auf der mittleren Ebene, weil sie der pse_290.034
tiefen Erschütterung, die im Wesen des Tragischen liegt, pse_290.035
völlig entgegensteht.
pse_290.036
Weitere dichterische Möglichkeiten ergeben sich, wenn wir pse_290.037
die Beziehungen zwischen den Gestaltungsebenen betrachten. pse_290.038
Grundsätzlich bestehen zwei Möglichkeiten: reine Durchführung pse_290.039
einer Dichtung auf einer Ebene oder Wechsel pse_290.040
mehrerer Ebenen. Diese Formen sind wichtiger als Misch- pse_290.041
und Übergangsformen, denn es lassen sich Übergänge vom
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |