pse_305.001 Realismus. Solche Einstellungen verbauen den Blick auf die pse_305.002 Tatsache, daß sich auch idealistische Dichtung zur Wirklichkeit pse_305.003 in bezug setzen muß -- wie erregend diese Wirklichkeit pse_305.004 ist, könnte man an Goethes "Tasso" zeigen. Aber eben die pse_305.005 zwei Tatsachen eines anderen Ausschnitts aus der Wirklichkeit pse_305.006 und einer betonten Nähe zu ihr, die die Struktur der pse_305.007 künstlerischen Gestaltung verschiebt, zeichnen den Realismus pse_305.008 aus. Daß sich aus allem andere Gestaltungsebenen ergeben, pse_305.009 ist selbstverständlich: hier kommt die derbe, aber pse_305.010 immerhin noch in gedämpfteren Graden, und die mittlere pse_305.011 zu ihrem Recht.
pse_305.012 Wie der Symbolismus eine besondere Ausformung der pse_305.013 idealistischen Gestaltungsform ist, so sind der Naturalismus pse_305.014 und der Impressionismus Abarten des Realismus. Der Naturalismuspse_305.015 ist eine Übersteigerung des Realismus. Er steigt beim pse_305.016 Ergreifen der außersprachlichen Wirklichkeit in noch tiefere pse_305.017 Bereiche hinab, betont damit noch mehr soziale Spannungen pse_305.018 und rückt noch mehr in die Blicknähe der Dinge. Durch diese pse_305.019 Nähe geht die übersichtliche Einheit verloren, der Bau lockert pse_305.020 sich. Die sprachliche Gestaltung entspricht: der Wortschatz pse_305.021 greift die erlebte Welt der unteren Bereiche heraus; daher pse_305.022 finden wir grobe Worte, Mundartausdrücke, die jede Rücksicht pse_305.023 auf gesellschaftliche Konvention vermissen lassen. Der pse_305.024 Satzbau gibt die Redeweise der unteren Schichten wieder: pse_305.025 Satzbrüche, Wiederholungen, unvollendete Satzbrocken. pse_305.026 Die Naturalisten vertreten die Ansicht, daß sie die richtige pse_305.027 Welt, so wie sie ist, darstellen. Daher findet sich aus diesem pse_305.028 "Richtigkeits"-Streben auch sachdarstellerische Haltung in pse_305.029 solchen Dichtungen; sie hat also hier eine bestimmte künstlerische pse_305.030 Aufgabe. So rückt der echte Naturalist vom künstlerischen pse_305.031 Streben nach reiner Formung ab. Aber auch hier pse_305.032 gelten die gleichen Beobachtungen wie beim Realismus: auch pse_305.033 die vom Naturalismus gestaltete Wirklichkeit ist ein Ausschnitt; pse_305.034 denn so einseitig die Welt der "Iphigenie", so einseitig pse_305.035 auch die der "Weber". Und auch hier handelt es sich pse_305.036 nicht um sprachliche "Photographie", sondern um Gestaltung, pse_305.037 die, wenn auch im engen Rahmen, zur Verwesentlichung pse_305.038 drängt. Denn auch diese Kunst will ja gerade solche Wirklichkeit
pse_305.001 Realismus. Solche Einstellungen verbauen den Blick auf die pse_305.002 Tatsache, daß sich auch idealistische Dichtung zur Wirklichkeit pse_305.003 in bezug setzen muß — wie erregend diese Wirklichkeit pse_305.004 ist, könnte man an Goethes »Tasso« zeigen. Aber eben die pse_305.005 zwei Tatsachen eines anderen Ausschnitts aus der Wirklichkeit pse_305.006 und einer betonten Nähe zu ihr, die die Struktur der pse_305.007 künstlerischen Gestaltung verschiebt, zeichnen den Realismus pse_305.008 aus. Daß sich aus allem andere Gestaltungsebenen ergeben, pse_305.009 ist selbstverständlich: hier kommt die derbe, aber pse_305.010 immerhin noch in gedämpfteren Graden, und die mittlere pse_305.011 zu ihrem Recht.
pse_305.012 Wie der Symbolismus eine besondere Ausformung der pse_305.013 idealistischen Gestaltungsform ist, so sind der Naturalismus pse_305.014 und der Impressionismus Abarten des Realismus. Der Naturalismuspse_305.015 ist eine Übersteigerung des Realismus. Er steigt beim pse_305.016 Ergreifen der außersprachlichen Wirklichkeit in noch tiefere pse_305.017 Bereiche hinab, betont damit noch mehr soziale Spannungen pse_305.018 und rückt noch mehr in die Blicknähe der Dinge. Durch diese pse_305.019 Nähe geht die übersichtliche Einheit verloren, der Bau lockert pse_305.020 sich. Die sprachliche Gestaltung entspricht: der Wortschatz pse_305.021 greift die erlebte Welt der unteren Bereiche heraus; daher pse_305.022 finden wir grobe Worte, Mundartausdrücke, die jede Rücksicht pse_305.023 auf gesellschaftliche Konvention vermissen lassen. Der pse_305.024 Satzbau gibt die Redeweise der unteren Schichten wieder: pse_305.025 Satzbrüche, Wiederholungen, unvollendete Satzbrocken. pse_305.026 Die Naturalisten vertreten die Ansicht, daß sie die richtige pse_305.027 Welt, so wie sie ist, darstellen. Daher findet sich aus diesem pse_305.028 »Richtigkeits«-Streben auch sachdarstellerische Haltung in pse_305.029 solchen Dichtungen; sie hat also hier eine bestimmte künstlerische pse_305.030 Aufgabe. So rückt der echte Naturalist vom künstlerischen pse_305.031 Streben nach reiner Formung ab. Aber auch hier pse_305.032 gelten die gleichen Beobachtungen wie beim Realismus: auch pse_305.033 die vom Naturalismus gestaltete Wirklichkeit ist ein Ausschnitt; pse_305.034 denn so einseitig die Welt der »Iphigenie«, so einseitig pse_305.035 auch die der »Weber«. Und auch hier handelt es sich pse_305.036 nicht um sprachliche »Photographie«, sondern um Gestaltung, pse_305.037 die, wenn auch im engen Rahmen, zur Verwesentlichung pse_305.038 drängt. Denn auch diese Kunst will ja gerade solche Wirklichkeit
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Realismus. Solche Einstellungen verbauen den Blick auf die pse_305.002
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zwei Tatsachen eines anderen Ausschnitts aus der Wirklichkeit pse_305.006
und einer betonten Nähe zu ihr, die die Struktur der pse_305.007
künstlerischen Gestaltung verschiebt, zeichnen den Realismus pse_305.008
aus. Daß sich aus allem andere Gestaltungsebenen ergeben, pse_305.009
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immerhin noch in gedämpfteren Graden, und die mittlere pse_305.011
zu ihrem Recht.
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Wie der Symbolismus eine besondere Ausformung der pse_305.013
idealistischen Gestaltungsform ist, so sind der Naturalismus pse_305.014
und der Impressionismus Abarten des Realismus. Der Naturalismus pse_305.015
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greift die erlebte Welt der unteren Bereiche heraus; daher pse_305.022
finden wir grobe Worte, Mundartausdrücke, die jede Rücksicht pse_305.023
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Die Naturalisten vertreten die Ansicht, daß sie die richtige pse_305.027
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/321>, abgerufen am 21.11.2024.
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