pse_308.001 von 50 Jahren überdauern. Auch auf die anderen Künste pse_308.002 wird das Wort übertragen. Endlich bildet sich aus dieser pse_308.003 Auffassung eine Art Norm, eine Gestaltungsform.
pse_308.004 Diese Gestaltungsform ist zunächst ganz allgemein charakterisierbar pse_308.005 durch die Ausrichtung nach absoluten, überlieferten pse_308.006 Kunstgesetzen, also durch starken Anteil des Kunstverstandes pse_308.007 im schöpferischen Vorgang, in der künstlerischen pse_308.008 Form selbst durch Harmonie und Fülle. Im einzelnen lassen pse_308.009 sich für klassische Dichtung im Sinne einer allgemeinen Gestaltungsform, pse_308.010 wie sie sich im Abendland herauskristallisiert pse_308.011 hat, folgende Züge festhalten. Solche Dichtung greift aus pse_308.012 der außersprachlichen Wirklichkeit nur Ausschnitte heraus, pse_308.013 die höherer, schon mehr geistiger Art sind. So umfaßt auch pse_308.014 der Wortschatz, vor allem was die Sinnträger anbelangt, pse_308.015 das Hohe, Edle, aber auch das Furchtbare, Bedrohliche. Die pse_308.016 Verwesentlichung spielt hier eine ganz entscheidende Rolle. pse_308.017 Das Besondere, Einmalige wird unmittelbar als Verwirklichung pse_308.018 des Wesenhaften, Dauernden gestaltet; damit steigert pse_308.019 sich das Individuelle zum Typischen. Die Personen in Goethes pse_308.020 "Iphigenie" sind durchaus greifbare Menschen, aber doch so pse_308.021 geformt, daß in ihnen sofort bestimmte menschliche Züge pse_308.022 und Schicksale dauernder Art lebendig werden. Natur und pse_308.023 Geist bilden in solchem Weltbild eine Ganzheit, zwei pse_308.024 Sichten gleichsam desselben Ewigen. Das wird künstlerisch pse_308.025 dadurch lebendig, daß die Worte nie zu sehr in ganz konkrete, pse_308.026 einmalige Zusammenhänge eingefügt sind, sondern pse_308.027 immer durch den sprachlichen Zusammenhang gerade das pse_308.028 Dauernde, Allgemeine in ihrem Gehalt durchwirken lassen, pse_308.029 daß sich aus bestimmten Situationen immer der Blick ins pse_308.030 Allgemeine, Dauernde erhebt. Der künstlerische Aufbau pse_308.031 einer klassischen Dichtung ist wohl überdacht, nicht bloß pse_308.032 impulsiv. Die Glieder sind klar abgehoben und entwickeln pse_308.033 ihre eigene Art; da sie aber alle dem Gesetz der Verwesentlichung pse_308.034 gehorchen, bilden sie doch eine harmonische Einheit, pse_308.035 aber eben nun in Fülle. Sehr klar sagt Staiger: "Klassisch pse_308.036 ist im Sinne Goethes die Einigung von Natur und Kunst, pse_308.037 die selten erfüllte Möglichkeit, daß der Geist des Künstlers pse_308.038 ebenso schafft wie die unbewußt schaffende Natur. Klassisch
pse_308.001 von 50 Jahren überdauern. Auch auf die anderen Künste pse_308.002 wird das Wort übertragen. Endlich bildet sich aus dieser pse_308.003 Auffassung eine Art Norm, eine Gestaltungsform.
pse_308.004 Diese Gestaltungsform ist zunächst ganz allgemein charakterisierbar pse_308.005 durch die Ausrichtung nach absoluten, überlieferten pse_308.006 Kunstgesetzen, also durch starken Anteil des Kunstverstandes pse_308.007 im schöpferischen Vorgang, in der künstlerischen pse_308.008 Form selbst durch Harmonie und Fülle. Im einzelnen lassen pse_308.009 sich für klassische Dichtung im Sinne einer allgemeinen Gestaltungsform, pse_308.010 wie sie sich im Abendland herauskristallisiert pse_308.011 hat, folgende Züge festhalten. Solche Dichtung greift aus pse_308.012 der außersprachlichen Wirklichkeit nur Ausschnitte heraus, pse_308.013 die höherer, schon mehr geistiger Art sind. So umfaßt auch pse_308.014 der Wortschatz, vor allem was die Sinnträger anbelangt, pse_308.015 das Hohe, Edle, aber auch das Furchtbare, Bedrohliche. Die pse_308.016 Verwesentlichung spielt hier eine ganz entscheidende Rolle. pse_308.017 Das Besondere, Einmalige wird unmittelbar als Verwirklichung pse_308.018 des Wesenhaften, Dauernden gestaltet; damit steigert pse_308.019 sich das Individuelle zum Typischen. Die Personen in Goethes pse_308.020 »Iphigenie« sind durchaus greifbare Menschen, aber doch so pse_308.021 geformt, daß in ihnen sofort bestimmte menschliche Züge pse_308.022 und Schicksale dauernder Art lebendig werden. Natur und pse_308.023 Geist bilden in solchem Weltbild eine Ganzheit, zwei pse_308.024 Sichten gleichsam desselben Ewigen. Das wird künstlerisch pse_308.025 dadurch lebendig, daß die Worte nie zu sehr in ganz konkrete, pse_308.026 einmalige Zusammenhänge eingefügt sind, sondern pse_308.027 immer durch den sprachlichen Zusammenhang gerade das pse_308.028 Dauernde, Allgemeine in ihrem Gehalt durchwirken lassen, pse_308.029 daß sich aus bestimmten Situationen immer der Blick ins pse_308.030 Allgemeine, Dauernde erhebt. Der künstlerische Aufbau pse_308.031 einer klassischen Dichtung ist wohl überdacht, nicht bloß pse_308.032 impulsiv. Die Glieder sind klar abgehoben und entwickeln pse_308.033 ihre eigene Art; da sie aber alle dem Gesetz der Verwesentlichung pse_308.034 gehorchen, bilden sie doch eine harmonische Einheit, pse_308.035 aber eben nun in Fülle. Sehr klar sagt Staiger: »Klassisch pse_308.036 ist im Sinne Goethes die Einigung von Natur und Kunst, pse_308.037 die selten erfüllte Möglichkeit, daß der Geist des Künstlers pse_308.038 ebenso schafft wie die unbewußt schaffende Natur. Klassisch
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von 50 Jahren überdauern. Auch auf die anderen Künste pse_308.002
wird das Wort übertragen. Endlich bildet sich aus dieser pse_308.003
Auffassung eine Art Norm, eine Gestaltungsform.
pse_308.004
Diese Gestaltungsform ist zunächst ganz allgemein charakterisierbar pse_308.005
durch die Ausrichtung nach absoluten, überlieferten pse_308.006
Kunstgesetzen, also durch starken Anteil des Kunstverstandes pse_308.007
im schöpferischen Vorgang, in der künstlerischen pse_308.008
Form selbst durch Harmonie und Fülle. Im einzelnen lassen pse_308.009
sich für klassische Dichtung im Sinne einer allgemeinen Gestaltungsform, pse_308.010
wie sie sich im Abendland herauskristallisiert pse_308.011
hat, folgende Züge festhalten. Solche Dichtung greift aus pse_308.012
der außersprachlichen Wirklichkeit nur Ausschnitte heraus, pse_308.013
die höherer, schon mehr geistiger Art sind. So umfaßt auch pse_308.014
der Wortschatz, vor allem was die Sinnträger anbelangt, pse_308.015
das Hohe, Edle, aber auch das Furchtbare, Bedrohliche. Die pse_308.016
Verwesentlichung spielt hier eine ganz entscheidende Rolle. pse_308.017
Das Besondere, Einmalige wird unmittelbar als Verwirklichung pse_308.018
des Wesenhaften, Dauernden gestaltet; damit steigert pse_308.019
sich das Individuelle zum Typischen. Die Personen in Goethes pse_308.020
»Iphigenie« sind durchaus greifbare Menschen, aber doch so pse_308.021
geformt, daß in ihnen sofort bestimmte menschliche Züge pse_308.022
und Schicksale dauernder Art lebendig werden. Natur und pse_308.023
Geist bilden in solchem Weltbild eine Ganzheit, zwei pse_308.024
Sichten gleichsam desselben Ewigen. Das wird künstlerisch pse_308.025
dadurch lebendig, daß die Worte nie zu sehr in ganz konkrete, pse_308.026
einmalige Zusammenhänge eingefügt sind, sondern pse_308.027
immer durch den sprachlichen Zusammenhang gerade das pse_308.028
Dauernde, Allgemeine in ihrem Gehalt durchwirken lassen, pse_308.029
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Allgemeine, Dauernde erhebt. Der künstlerische Aufbau pse_308.031
einer klassischen Dichtung ist wohl überdacht, nicht bloß pse_308.032
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ihre eigene Art; da sie aber alle dem Gesetz der Verwesentlichung pse_308.034
gehorchen, bilden sie doch eine harmonische Einheit, pse_308.035
aber eben nun in Fülle. Sehr klar sagt Staiger: »Klassisch pse_308.036
ist im Sinne Goethes die Einigung von Natur und Kunst, pse_308.037
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ebenso schafft wie die unbewußt schaffende Natur. Klassisch
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/324>, abgerufen am 21.11.2024.
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