pse_309.001 ist die Einigung des Spontanen, des unmittelbaren Impulses pse_309.002 und wohlüberdachter Planmäßigkeit, des Besonderen und pse_309.003 des Allgemeinen, Willkürlichen und Gesetzlichen, jene pse_309.004 Einigung also, die sich am deutlichsten in der klassischen Sitte pse_309.005 bewährt, wo alles, was die Pflicht gebietet, aus Neigung, aus pse_309.006 Liebe geleistet wird. Und klassisch ist die Steigerung des individuellen pse_309.007 Daseins zum Typus, so daß der einzelne Künstler pse_309.008 zum Repräsentanten des ganzen Geschlechts wird." Vollendet pse_309.009 scheint das Klassische in allen seinen Zügen in der folgenden pse_309.010 Stelle der "Iphigenie": in der Fülle und Harmonie der sprachlichen pse_309.011 Bilder, in der erhabenen Gestaltungsebene, die natürlich pse_309.012 dem Klassischen zukommt, in der breiten Bewegung, im pse_309.013 Lebendigen, in der Verschmelzung des Konkreten und des pse_309.014 Wesenhaften:
pse_309.015
Ihr Götter, die mit flammender Gewaltpse_309.016 Ihr schwere Wolken aufzuzehren wandeltpse_309.017 Und gnädig-ernst den lang' erflehten Regenpse_309.018 Mit Donnerstimmen und mit Windesbrausenpse_309.019 In wilden Strömen auf die Erde schüttet,pse_309.020 Doch bald der Menschen grausendes Erwartenpse_309.021 In Segen auflöst und das bange Staunenpse_309.022 In Freudeblick und lauten Dank verwandelt,pse_309.023 Wenn in den Tropfen frisch erquickter Blätterpse_309.024 Die neue Sonne tausendfach sich spiegeltpse_309.025 Und Iris freundlich bunt mit leichter Handpse_309.026 Den grauen Flor der letzten Wolken trennt:pse_309.027 O laßt mich auch in meiner Schwester Armen,pse_309.028 An meines Freundes Brust, was ihr mir gönnt,pse_309.029 Mit vollem Dank genießen und behalten!pse_309.030 Es löset sich der Fluch, mir sagt's das Herz.pse_309.031 Die Eumeniden ziehn, ich höre sie,pse_309.032 Zum Tartarus und schlagen hinter sichpse_309.033 Die ehrnen Tore fernabdonnernd zu.pse_309.034 Die Erde dampft erquickenden Geruchpse_309.035 Und ladet mich auf ihren Flächen ein,pse_309.036 Nach Lebensfreud und großer Tat zu jagen.
pse_309.037 (Schluß dritter Aufzug)
pse_309.038 Mit Recht wird beobachtet, daß solche klassische Kunst pse_309.039 nur immer in wenigen höchsten Augenblicken gelingt. pse_309.040 Wenn aber versucht wird, diesen Augenblicken Dauer zu pse_309.041 verleihen, werden aus den schöpferischen Leistungen Normen
pse_309.001 ist die Einigung des Spontanen, des unmittelbaren Impulses pse_309.002 und wohlüberdachter Planmäßigkeit, des Besonderen und pse_309.003 des Allgemeinen, Willkürlichen und Gesetzlichen, jene pse_309.004 Einigung also, die sich am deutlichsten in der klassischen Sitte pse_309.005 bewährt, wo alles, was die Pflicht gebietet, aus Neigung, aus pse_309.006 Liebe geleistet wird. Und klassisch ist die Steigerung des individuellen pse_309.007 Daseins zum Typus, so daß der einzelne Künstler pse_309.008 zum Repräsentanten des ganzen Geschlechts wird.« Vollendet pse_309.009 scheint das Klassische in allen seinen Zügen in der folgenden pse_309.010 Stelle der »Iphigenie«: in der Fülle und Harmonie der sprachlichen pse_309.011 Bilder, in der erhabenen Gestaltungsebene, die natürlich pse_309.012 dem Klassischen zukommt, in der breiten Bewegung, im pse_309.013 Lebendigen, in der Verschmelzung des Konkreten und des pse_309.014 Wesenhaften:
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Ihr Götter, die mit flammender Gewaltpse_309.016 Ihr schwere Wolken aufzuzehren wandeltpse_309.017 Und gnädig-ernst den lang' erflehten Regenpse_309.018 Mit Donnerstimmen und mit Windesbrausenpse_309.019 In wilden Strömen auf die Erde schüttet,pse_309.020 Doch bald der Menschen grausendes Erwartenpse_309.021 In Segen auflöst und das bange Staunenpse_309.022 In Freudeblick und lauten Dank verwandelt,pse_309.023 Wenn in den Tropfen frisch erquickter Blätterpse_309.024 Die neue Sonne tausendfach sich spiegeltpse_309.025 Und Iris freundlich bunt mit leichter Handpse_309.026 Den grauen Flor der letzten Wolken trennt:pse_309.027 O laßt mich auch in meiner Schwester Armen,pse_309.028 An meines Freundes Brust, was ihr mir gönnt,pse_309.029 Mit vollem Dank genießen und behalten!pse_309.030 Es löset sich der Fluch, mir sagt's das Herz.pse_309.031 Die Eumeniden ziehn, ich höre sie,pse_309.032 Zum Tartarus und schlagen hinter sichpse_309.033 Die ehrnen Tore fernabdonnernd zu.pse_309.034 Die Erde dampft erquickenden Geruchpse_309.035 Und ladet mich auf ihren Flächen ein,pse_309.036 Nach Lebensfreud und großer Tat zu jagen.
pse_309.037 (Schluß dritter Aufzug)
pse_309.038 Mit Recht wird beobachtet, daß solche klassische Kunst pse_309.039 nur immer in wenigen höchsten Augenblicken gelingt. pse_309.040 Wenn aber versucht wird, diesen Augenblicken Dauer zu pse_309.041 verleihen, werden aus den schöpferischen Leistungen Normen
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ist die Einigung des Spontanen, des unmittelbaren Impulses pse_309.002
und wohlüberdachter Planmäßigkeit, des Besonderen und pse_309.003
des Allgemeinen, Willkürlichen und Gesetzlichen, jene pse_309.004
Einigung also, die sich am deutlichsten in der klassischen Sitte pse_309.005
bewährt, wo alles, was die Pflicht gebietet, aus Neigung, aus pse_309.006
Liebe geleistet wird. Und klassisch ist die Steigerung des individuellen pse_309.007
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zum Repräsentanten des ganzen Geschlechts wird.« Vollendet pse_309.009
scheint das Klassische in allen seinen Zügen in der folgenden pse_309.010
Stelle der »Iphigenie«: in der Fülle und Harmonie der sprachlichen pse_309.011
Bilder, in der erhabenen Gestaltungsebene, die natürlich pse_309.012
dem Klassischen zukommt, in der breiten Bewegung, im pse_309.013
Lebendigen, in der Verschmelzung des Konkreten und des pse_309.014
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Ihr Götter, die mit flammender Gewalt pse_309.016
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In Segen auflöst und das bange Staunen pse_309.022
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Es löset sich der Fluch, mir sagt's das Herz. pse_309.031
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Zum Tartarus und schlagen hinter sich pse_309.033
Die ehrnen Tore fernabdonnernd zu. pse_309.034
Die Erde dampft erquickenden Geruch pse_309.035
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pse_309.037
(Schluß dritter Aufzug)
pse_309.038
Mit Recht wird beobachtet, daß solche klassische Kunst pse_309.039
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/325>, abgerufen am 21.11.2024.
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