pse_345.001 Eine weitere ist die Terminologie. Die Unklarheit in ihr pse_345.002 liegt vor allem darin, daß die Fachausdrücke bald aus geschichtlicher pse_345.003 Einstellung, bald aus ästhetischen Blickpunkten pse_345.004 oder aus psychologischen Überlegungen hervorgehen. Auch pse_345.005 wesentliche Unterschiede zwischen den Sprachen bestehen. pse_345.006 Trotzdem darf man den Sprachgebrauch nicht vernachlässigen, pse_345.007 denn in ihm ist die tatsächliche Auffassung dieser pse_345.008 Sachverhalte festgelegt.
pse_345.009 Schon innerhalb der deutschen Fachausdrücke -- und ähnlich pse_345.010 ist es in anderen Sprachen -- herrscht Verwirrung. Goethe pse_345.011 nannte Lyrik, Epik und Dramatik Naturformen, ein neuerer pse_345.012 Grundhaltungen; Elegien, Oden, Hymnen waren für Goethe pse_345.013 Dichtarten, für einen anderen sind es Gattungen. Man sollte pse_345.014 aber auf alle Fälle heute, entsprechend der Übung bei allen pse_345.015 Begriffseinteilungen, den Ausdruck "Gattung" immer für die pse_345.016 übergeordneten Bereiche verwenden, den Ausdruck "Art" für pse_345.017 die untergeordneten. Auch die Worte lyrisch, episch und pse_345.018 dramatisch sind sehr verschieden gebraucht. Wenn man, abgesehen pse_345.019 von den Schwankungen in der strengen wissenschaftlichen pse_345.020 Terminologie, lyrisch als schwungvoll, episch als breit, pse_345.021 dramatisch als "in Gesprächsform" faßt, dann wird Schiller pse_345.022 zum Lyriker, Homer ist vielfach dramatisch und Shakespeare pse_345.023 vielfach episch. Trotzdem wird man immer wieder Schiller pse_345.024 und Shakespeare als Dramatiker, Homer als Epiker bezeichnen. pse_345.025 Hier ist Sauberkeit notwendig.
pse_345.026 Wichtig ist es auch zu erkennen, daß scheinbar gleiche pse_345.027 Worte in verschiedenen Sprachen Verschiedenes bedeuten. pse_345.028 Einige Beispiele aus dem Vergleich des Deutschen und des pse_345.029 Englischen. Das deutsche Wort Lyrik faßt einen großen Bereich pse_345.030 zusammen in deutlicher Entgegenstellung zu Epik und pse_345.031 Dramatik, das englische >lyric< hebt mehr einen bestimmten pse_345.032 inneren Gehalt heraus. "Dichtung" umfaßt im Deutschen auch pse_345.033 Prosa, z. B. den "Werther" oder den "Grünen Heinrich". pse_345.034 Englisch >poetry< gilt nur für Versdichtung. Das Wort pse_345.035 >fiction< fehlt dem Deutschen als Sammelname für moderne pse_345.036 epische Gestaltung. Die Einführung des Ausdrucks in die pse_345.037 Fachsprache der deutschen Poetik gibt, wie wir sehen werden, pse_345.038 zu Bedenken Anlaß. Englisch >novel< bedeutet Roman, den
pse_345.001 Eine weitere ist die Terminologie. Die Unklarheit in ihr pse_345.002 liegt vor allem darin, daß die Fachausdrücke bald aus geschichtlicher pse_345.003 Einstellung, bald aus ästhetischen Blickpunkten pse_345.004 oder aus psychologischen Überlegungen hervorgehen. Auch pse_345.005 wesentliche Unterschiede zwischen den Sprachen bestehen. pse_345.006 Trotzdem darf man den Sprachgebrauch nicht vernachlässigen, pse_345.007 denn in ihm ist die tatsächliche Auffassung dieser pse_345.008 Sachverhalte festgelegt.
pse_345.009 Schon innerhalb der deutschen Fachausdrücke — und ähnlich pse_345.010 ist es in anderen Sprachen — herrscht Verwirrung. Goethe pse_345.011 nannte Lyrik, Epik und Dramatik Naturformen, ein neuerer pse_345.012 Grundhaltungen; Elegien, Oden, Hymnen waren für Goethe pse_345.013 Dichtarten, für einen anderen sind es Gattungen. Man sollte pse_345.014 aber auf alle Fälle heute, entsprechend der Übung bei allen pse_345.015 Begriffseinteilungen, den Ausdruck »Gattung« immer für die pse_345.016 übergeordneten Bereiche verwenden, den Ausdruck »Art« für pse_345.017 die untergeordneten. Auch die Worte lyrisch, episch und pse_345.018 dramatisch sind sehr verschieden gebraucht. Wenn man, abgesehen pse_345.019 von den Schwankungen in der strengen wissenschaftlichen pse_345.020 Terminologie, lyrisch als schwungvoll, episch als breit, pse_345.021 dramatisch als »in Gesprächsform« faßt, dann wird Schiller pse_345.022 zum Lyriker, Homer ist vielfach dramatisch und Shakespeare pse_345.023 vielfach episch. Trotzdem wird man immer wieder Schiller pse_345.024 und Shakespeare als Dramatiker, Homer als Epiker bezeichnen. pse_345.025 Hier ist Sauberkeit notwendig.
pse_345.026 Wichtig ist es auch zu erkennen, daß scheinbar gleiche pse_345.027 Worte in verschiedenen Sprachen Verschiedenes bedeuten. pse_345.028 Einige Beispiele aus dem Vergleich des Deutschen und des pse_345.029 Englischen. Das deutsche Wort Lyrik faßt einen großen Bereich pse_345.030 zusammen in deutlicher Entgegenstellung zu Epik und pse_345.031 Dramatik, das englische ›lyric‹ hebt mehr einen bestimmten pse_345.032 inneren Gehalt heraus. »Dichtung« umfaßt im Deutschen auch pse_345.033 Prosa, z. B. den »Werther« oder den »Grünen Heinrich«. pse_345.034 Englisch ›poetry‹ gilt nur für Versdichtung. Das Wort pse_345.035 ›fiction‹ fehlt dem Deutschen als Sammelname für moderne pse_345.036 epische Gestaltung. Die Einführung des Ausdrucks in die pse_345.037 Fachsprache der deutschen Poetik gibt, wie wir sehen werden, pse_345.038 zu Bedenken Anlaß. Englisch ›novel‹ bedeutet Roman, den
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oder aus psychologischen Überlegungen hervorgehen. Auch pse_345.005
wesentliche Unterschiede zwischen den Sprachen bestehen. pse_345.006
Trotzdem darf man den Sprachgebrauch nicht vernachlässigen, pse_345.007
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Schon innerhalb der deutschen Fachausdrücke — und ähnlich pse_345.010
ist es in anderen Sprachen — herrscht Verwirrung. Goethe pse_345.011
nannte Lyrik, Epik und Dramatik Naturformen, ein neuerer pse_345.012
Grundhaltungen; Elegien, Oden, Hymnen waren für Goethe pse_345.013
Dichtarten, für einen anderen sind es Gattungen. Man sollte pse_345.014
aber auf alle Fälle heute, entsprechend der Übung bei allen pse_345.015
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Terminologie, lyrisch als schwungvoll, episch als breit, pse_345.021
dramatisch als »in Gesprächsform« faßt, dann wird Schiller pse_345.022
zum Lyriker, Homer ist vielfach dramatisch und Shakespeare pse_345.023
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und Shakespeare als Dramatiker, Homer als Epiker bezeichnen. pse_345.025
Hier ist Sauberkeit notwendig.
pse_345.026
Wichtig ist es auch zu erkennen, daß scheinbar gleiche pse_345.027
Worte in verschiedenen Sprachen Verschiedenes bedeuten. pse_345.028
Einige Beispiele aus dem Vergleich des Deutschen und des pse_345.029
Englischen. Das deutsche Wort Lyrik faßt einen großen Bereich pse_345.030
zusammen in deutlicher Entgegenstellung zu Epik und pse_345.031
Dramatik, das englische ›lyric‹ hebt mehr einen bestimmten pse_345.032
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Prosa, z. B. den »Werther« oder den »Grünen Heinrich«. pse_345.034
Englisch ›poetry‹ gilt nur für Versdichtung. Das Wort pse_345.035
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/361>, abgerufen am 21.11.2024.
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