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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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unserer Welt leisten wir in den höheren Formen der Sprache, pse_023.002
in den Sätzen und Satzzusammenhängen.

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Aber das ist nur die eine Seite. Wir deuten auch die Welt pse_023.004
in der Sprache. In den Worten umgrenzen wir nicht nur pse_023.005
Erfahrungsstücke zu Gegenständen, sondern formen auch pse_023.006
unsere Einstellung zu diesen Gegenständen mit hinein. Wenn pse_023.007
der Inder -- um das berühmte Beispiel Wilhelm Humboldts zu pse_023.008
bringen -- den Elefanten als den Zweizahnigen bezeichnet, so pse_023.009
hat er ein Merkmal, das ihm persönlich besonders wichtig pse_023.010
schien, zum Namen gemacht. Die Blume, die wir Deutsche pse_023.011
"Vergißmeinnicht" nennen, heißt beim Franzosen "myosotis", pse_023.012
d. h. Mausöhrchen. Da wird deutlich, daß -- mindestens im pse_023.013
Akt der Wortschöpfung -- ein ganz anderes Erleben bei der pse_023.014
Benennung mitwirkte, daß die Erfassung des Gegenstandes pse_023.015
aus ganz anderen innersten Haltungen geschah und daß diese pse_023.016
innerste Haltung, dieses Gemüthafte (Gemüt immer im Sinne pse_023.017
des innersten Wesens eines Menschen genommen) mit in den pse_023.018
Gehalt des Wortes eingegangen ist. Bei Worten wie Heimweh, pse_023.019
Meeresrauschen, Einöde, Sonnenstrahl fühlen wir alle, pse_023.020
daß da die Erlebnisweise mitwirkt. Die innere Teilnahme am pse_023.021
Erfassungsakt geht in das Wort mit ein. So hat Sprache immer pse_023.022
zwei Richtungen: wir richten uns mit ihr auf einen Gegenstand pse_023.023
unserer Erfahrungswelt (das können auch innere Vorgänge pse_023.024
sein), zugleich aber formen wir in sie auch die Wirkung pse_023.025
ein, die vom Gegenstand auf uns geht. Man kann also pse_023.026
wirklich sagen: "Sprache ist Vollzug der menschlichen Weltbegegnung, pse_023.027
der sich selbst erleuchtet" (Liebrucks). Indem wir pse_023.028
uns zur Sache verhalten, verhalten wir uns zugleich zu uns pse_023.029
selbst. Und in der Rede kommt dann noch als drittes die Richtung pse_023.030
auf den Angesprochenen, auf das Du hinzu.

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Der enge Zusammenhang von Welterfassung und Sprache pse_023.032
soll auf dem Gebiete des Wortschatzes noch durch eine pse_023.033
Beobachtung herausgearbeitet werden, durch die der sogenannten pse_023.034
Feldgliederung. Ein Erfahrungsbereich läßt sich in pse_023.035
verschiedener Weise aufgliedern: in wenige oder mehrere pse_023.036
Gegenstände, wobei aber jedesmal der ganze Bereich, aber pse_023.037
eben in verschieden großen Teilen berücksichtigt wird; oder pse_023.038
mehr von einem gemüthaften oder rationalen Standpunkt;

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unserer Welt leisten wir in den höheren Formen der Sprache, pse_023.002
in den Sätzen und Satzzusammenhängen.

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Aber das ist nur die eine Seite. Wir deuten auch die Welt pse_023.004
in der Sprache. In den Worten umgrenzen wir nicht nur pse_023.005
Erfahrungsstücke zu Gegenständen, sondern formen auch pse_023.006
unsere Einstellung zu diesen Gegenständen mit hinein. Wenn pse_023.007
der Inder — um das berühmte Beispiel Wilhelm Humboldts zu pse_023.008
bringen — den Elefanten als den Zweizahnigen bezeichnet, so pse_023.009
hat er ein Merkmal, das ihm persönlich besonders wichtig pse_023.010
schien, zum Namen gemacht. Die Blume, die wir Deutsche pse_023.011
»Vergißmeinnicht« nennen, heißt beim Franzosen »myosotis«, pse_023.012
d. h. Mausöhrchen. Da wird deutlich, daß — mindestens im pse_023.013
Akt der Wortschöpfung — ein ganz anderes Erleben bei der pse_023.014
Benennung mitwirkte, daß die Erfassung des Gegenstandes pse_023.015
aus ganz anderen innersten Haltungen geschah und daß diese pse_023.016
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des innersten Wesens eines Menschen genommen) mit in den pse_023.018
Gehalt des Wortes eingegangen ist. Bei Worten wie Heimweh, pse_023.019
Meeresrauschen, Einöde, Sonnenstrahl fühlen wir alle, pse_023.020
daß da die Erlebnisweise mitwirkt. Die innere Teilnahme am pse_023.021
Erfassungsakt geht in das Wort mit ein. So hat Sprache immer pse_023.022
zwei Richtungen: wir richten uns mit ihr auf einen Gegenstand pse_023.023
unserer Erfahrungswelt (das können auch innere Vorgänge pse_023.024
sein), zugleich aber formen wir in sie auch die Wirkung pse_023.025
ein, die vom Gegenstand auf uns geht. Man kann also pse_023.026
wirklich sagen: »Sprache ist Vollzug der menschlichen Weltbegegnung, pse_023.027
der sich selbst erleuchtet« (Liebrucks). Indem wir pse_023.028
uns zur Sache verhalten, verhalten wir uns zugleich zu uns pse_023.029
selbst. Und in der Rede kommt dann noch als drittes die Richtung pse_023.030
auf den Angesprochenen, auf das Du hinzu.

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Der enge Zusammenhang von Welterfassung und Sprache pse_023.032
soll auf dem Gebiete des Wortschatzes noch durch eine pse_023.033
Beobachtung herausgearbeitet werden, durch die der sogenannten pse_023.034
Feldgliederung. Ein Erfahrungsbereich läßt sich in pse_023.035
verschiedener Weise aufgliedern: in wenige oder mehrere pse_023.036
Gegenstände, wobei aber jedesmal der ganze Bereich, aber pse_023.037
eben in verschieden großen Teilen berücksichtigt wird; oder pse_023.038
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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/39>, abgerufen am 23.11.2024.