pse_375.001 rein auf die einfache Form des Rätsels zurückzuführen, aus ihr pse_375.002 abzuleiten. Überhaupt werden die einfachen Formen vor pse_375.003 allem nur für die Epik und Dramatik keimbildend sein, nicht pse_375.004 für die Lyrik. Und entscheidend bleibt die Frage: welche pse_375.005 umbildenden und gestalterischen Kräfte lassen über solchen pse_375.006 einfachen Formen große Dichtungen entstehen? Sie können pse_375.007 hier gut mit den sprachkünstlerischen Möglichkeiten der pse_375.008 grammatischen Formen, der Stilkräfte und der Lautungen pse_375.009 verglichen werden. Sie alle sind unbedingt notwendige Voraussetzung pse_375.010 für eine Dichtung, aber sie sind wesenhaft nicht pse_375.011 ausreichend für das Gebilde einer Dichtung.
pse_375.012 Näher liegen der Betrachtung der Dichtung die höheren pse_375.013 Formen. Es sind die typischen Bildungen, die sich aus den pse_375.014 überlieferten Gattungen und Arten als wesenhaft ergeben, pse_375.015 eben als Typus. Man wird niemals versuchen, aus den Balladen pse_375.016 eine bestimmte Ideal- oder Urballade zu konstruieren pse_375.017 und sie gar etwa in der Wirklichkeit zu suchen. Aber man pse_375.018 kann sehr wohl vom Balladenhaften sprechen, das man dann pse_375.019 gewissen Gedichten mehr oder weniger zuspricht. Wir kommen pse_375.020 so tatsächlich zu Zügen, die einen Typus Ballade ausmachen. pse_375.021 Dasselbe gilt für Begriffe wie Novelle, Roman, pse_375.022 Idylle usw. Das heißt also: aus den möglichen Grundhaltungen pse_375.023 und Formen sprachlichen und dichterischen Bildens pse_375.024 entstehen geschichtliche, konkrete Gattungen und Arten, die pse_375.025 durch Epochen hindurch üblich sind und an die sich Dichter pse_375.026 halten. Aus solchen Gattungen und Arten lösen wir in geistiger pse_375.027 Schau überzeitliche durchgehende Tendenzen dichterichen pse_375.028 Formens innerhalb der großen Gattungen der Lyrik pse_375.029 Epik und Dramatik ab, gewinnen dadurch einen Einblick in pse_375.030 die grundsätzlichen und daher dauernden Gestaltungsmöglichkeiten pse_375.031 im Bereich der Dichtung. Wir dringen von dieser pse_375.032 Seite neuerlich in das Wesen der Dichtung ein. Dabei müssen pse_375.033 wir uns bewußt bleiben, daß diese Tendenzen und Möglichkeiten pse_375.034 immer nur an konkreten dichterischen Gebilden pse_375.035 greifbar werden.
pse_375.036 Aber auch Spannungen, Mischungen und Verflechtungen pse_375.037 zwischen den Typen sind möglich. Sie können geschichtlich pse_375.038 bedingt sein, so in den Formen, die die deutsche Romantik
pse_375.001 rein auf die einfache Form des Rätsels zurückzuführen, aus ihr pse_375.002 abzuleiten. Überhaupt werden die einfachen Formen vor pse_375.003 allem nur für die Epik und Dramatik keimbildend sein, nicht pse_375.004 für die Lyrik. Und entscheidend bleibt die Frage: welche pse_375.005 umbildenden und gestalterischen Kräfte lassen über solchen pse_375.006 einfachen Formen große Dichtungen entstehen? Sie können pse_375.007 hier gut mit den sprachkünstlerischen Möglichkeiten der pse_375.008 grammatischen Formen, der Stilkräfte und der Lautungen pse_375.009 verglichen werden. Sie alle sind unbedingt notwendige Voraussetzung pse_375.010 für eine Dichtung, aber sie sind wesenhaft nicht pse_375.011 ausreichend für das Gebilde einer Dichtung.
pse_375.012 Näher liegen der Betrachtung der Dichtung die höheren pse_375.013 Formen. Es sind die typischen Bildungen, die sich aus den pse_375.014 überlieferten Gattungen und Arten als wesenhaft ergeben, pse_375.015 eben als Typus. Man wird niemals versuchen, aus den Balladen pse_375.016 eine bestimmte Ideal- oder Urballade zu konstruieren pse_375.017 und sie gar etwa in der Wirklichkeit zu suchen. Aber man pse_375.018 kann sehr wohl vom Balladenhaften sprechen, das man dann pse_375.019 gewissen Gedichten mehr oder weniger zuspricht. Wir kommen pse_375.020 so tatsächlich zu Zügen, die einen Typus Ballade ausmachen. pse_375.021 Dasselbe gilt für Begriffe wie Novelle, Roman, pse_375.022 Idylle usw. Das heißt also: aus den möglichen Grundhaltungen pse_375.023 und Formen sprachlichen und dichterischen Bildens pse_375.024 entstehen geschichtliche, konkrete Gattungen und Arten, die pse_375.025 durch Epochen hindurch üblich sind und an die sich Dichter pse_375.026 halten. Aus solchen Gattungen und Arten lösen wir in geistiger pse_375.027 Schau überzeitliche durchgehende Tendenzen dichterichen pse_375.028 Formens innerhalb der großen Gattungen der Lyrik pse_375.029 Epik und Dramatik ab, gewinnen dadurch einen Einblick in pse_375.030 die grundsätzlichen und daher dauernden Gestaltungsmöglichkeiten pse_375.031 im Bereich der Dichtung. Wir dringen von dieser pse_375.032 Seite neuerlich in das Wesen der Dichtung ein. Dabei müssen pse_375.033 wir uns bewußt bleiben, daß diese Tendenzen und Möglichkeiten pse_375.034 immer nur an konkreten dichterischen Gebilden pse_375.035 greifbar werden.
pse_375.036 Aber auch Spannungen, Mischungen und Verflechtungen pse_375.037 zwischen den Typen sind möglich. Sie können geschichtlich pse_375.038 bedingt sein, so in den Formen, die die deutsche Romantik
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0391"n="375"/><lbn="pse_375.001"/>
rein auf die einfache Form des Rätsels zurückzuführen, aus ihr <lbn="pse_375.002"/>
abzuleiten. Überhaupt werden die einfachen Formen vor <lbn="pse_375.003"/>
allem nur für die Epik und Dramatik keimbildend sein, nicht <lbn="pse_375.004"/>
für die Lyrik. Und entscheidend bleibt die Frage: welche <lbn="pse_375.005"/>
umbildenden und gestalterischen Kräfte lassen über solchen <lbn="pse_375.006"/>
einfachen Formen große Dichtungen entstehen? Sie können <lbn="pse_375.007"/>
hier gut mit den sprachkünstlerischen Möglichkeiten der <lbn="pse_375.008"/>
grammatischen Formen, der Stilkräfte und der Lautungen <lbn="pse_375.009"/>
verglichen werden. Sie alle sind unbedingt notwendige Voraussetzung <lbn="pse_375.010"/>
für eine Dichtung, aber sie sind wesenhaft nicht <lbn="pse_375.011"/>
ausreichend für das Gebilde einer Dichtung.</p><p><lbn="pse_375.012"/>
Näher liegen der Betrachtung der Dichtung die <hirendition="#i">höheren <lbn="pse_375.013"/>
Formen.</hi> Es sind die typischen Bildungen, die sich aus den <lbn="pse_375.014"/>
überlieferten Gattungen und Arten als wesenhaft ergeben, <lbn="pse_375.015"/>
eben als Typus. Man wird niemals versuchen, aus den Balladen <lbn="pse_375.016"/>
eine bestimmte Ideal- oder Urballade zu konstruieren <lbn="pse_375.017"/>
und sie gar etwa in der Wirklichkeit zu suchen. Aber man <lbn="pse_375.018"/>
kann sehr wohl vom Balladenhaften sprechen, das man dann <lbn="pse_375.019"/>
gewissen Gedichten mehr oder weniger zuspricht. Wir kommen <lbn="pse_375.020"/>
so tatsächlich zu Zügen, die einen Typus Ballade ausmachen. <lbn="pse_375.021"/>
Dasselbe gilt für Begriffe wie Novelle, Roman, <lbn="pse_375.022"/>
Idylle usw. Das heißt also: aus den möglichen Grundhaltungen <lbn="pse_375.023"/>
und Formen sprachlichen und dichterischen Bildens <lbn="pse_375.024"/>
entstehen geschichtliche, konkrete Gattungen und Arten, die <lbn="pse_375.025"/>
durch Epochen hindurch üblich sind und an die sich Dichter <lbn="pse_375.026"/>
halten. Aus solchen Gattungen und Arten lösen wir in geistiger <lbn="pse_375.027"/>
Schau überzeitliche durchgehende Tendenzen dichterichen <lbn="pse_375.028"/>
Formens innerhalb der großen Gattungen der Lyrik <lbn="pse_375.029"/>
Epik und Dramatik ab, gewinnen dadurch einen Einblick in <lbn="pse_375.030"/>
die grundsätzlichen und daher dauernden Gestaltungsmöglichkeiten <lbn="pse_375.031"/>
im Bereich der Dichtung. Wir dringen von dieser <lbn="pse_375.032"/>
Seite neuerlich in das Wesen der Dichtung ein. Dabei müssen <lbn="pse_375.033"/>
wir uns bewußt bleiben, daß diese Tendenzen und Möglichkeiten <lbn="pse_375.034"/>
immer nur an konkreten dichterischen Gebilden <lbn="pse_375.035"/>
greifbar werden.</p><p><lbn="pse_375.036"/>
Aber auch Spannungen, Mischungen und Verflechtungen <lbn="pse_375.037"/>
zwischen den Typen sind möglich. Sie können geschichtlich <lbn="pse_375.038"/>
bedingt sein, so in den Formen, die die deutsche Romantik
</p></div></div></div></body></text></TEI>
[375/0391]
pse_375.001
rein auf die einfache Form des Rätsels zurückzuführen, aus ihr pse_375.002
abzuleiten. Überhaupt werden die einfachen Formen vor pse_375.003
allem nur für die Epik und Dramatik keimbildend sein, nicht pse_375.004
für die Lyrik. Und entscheidend bleibt die Frage: welche pse_375.005
umbildenden und gestalterischen Kräfte lassen über solchen pse_375.006
einfachen Formen große Dichtungen entstehen? Sie können pse_375.007
hier gut mit den sprachkünstlerischen Möglichkeiten der pse_375.008
grammatischen Formen, der Stilkräfte und der Lautungen pse_375.009
verglichen werden. Sie alle sind unbedingt notwendige Voraussetzung pse_375.010
für eine Dichtung, aber sie sind wesenhaft nicht pse_375.011
ausreichend für das Gebilde einer Dichtung.
pse_375.012
Näher liegen der Betrachtung der Dichtung die höheren pse_375.013
Formen. Es sind die typischen Bildungen, die sich aus den pse_375.014
überlieferten Gattungen und Arten als wesenhaft ergeben, pse_375.015
eben als Typus. Man wird niemals versuchen, aus den Balladen pse_375.016
eine bestimmte Ideal- oder Urballade zu konstruieren pse_375.017
und sie gar etwa in der Wirklichkeit zu suchen. Aber man pse_375.018
kann sehr wohl vom Balladenhaften sprechen, das man dann pse_375.019
gewissen Gedichten mehr oder weniger zuspricht. Wir kommen pse_375.020
so tatsächlich zu Zügen, die einen Typus Ballade ausmachen. pse_375.021
Dasselbe gilt für Begriffe wie Novelle, Roman, pse_375.022
Idylle usw. Das heißt also: aus den möglichen Grundhaltungen pse_375.023
und Formen sprachlichen und dichterischen Bildens pse_375.024
entstehen geschichtliche, konkrete Gattungen und Arten, die pse_375.025
durch Epochen hindurch üblich sind und an die sich Dichter pse_375.026
halten. Aus solchen Gattungen und Arten lösen wir in geistiger pse_375.027
Schau überzeitliche durchgehende Tendenzen dichterichen pse_375.028
Formens innerhalb der großen Gattungen der Lyrik pse_375.029
Epik und Dramatik ab, gewinnen dadurch einen Einblick in pse_375.030
die grundsätzlichen und daher dauernden Gestaltungsmöglichkeiten pse_375.031
im Bereich der Dichtung. Wir dringen von dieser pse_375.032
Seite neuerlich in das Wesen der Dichtung ein. Dabei müssen pse_375.033
wir uns bewußt bleiben, daß diese Tendenzen und Möglichkeiten pse_375.034
immer nur an konkreten dichterischen Gebilden pse_375.035
greifbar werden.
pse_375.036
Aber auch Spannungen, Mischungen und Verflechtungen pse_375.037
zwischen den Typen sind möglich. Sie können geschichtlich pse_375.038
bedingt sein, so in den Formen, die die deutsche Romantik
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:
Bogensignaturen: keine Angabe;
Druckfehler: keine Angabe;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: wie Vorlage;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: nicht übernommen;
Kustoden: nicht übernommen;
langes s (ſ): wie Vorlage;
Normalisierungen: keine;
rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: nicht übernommen;
u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/391>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.