pse_381.001 herauslösen und in die im Gedicht geformte Welt einfügen. pse_381.002 Es scheint aber nicht nötig, von einer offenen Struktur des pse_381.003 lyrischen Gedichts zu sprechen, da die Bezüge zum außersprachlichen pse_381.004 Ich und zur außersprachlichen Welt verschwebend pse_381.005 seien und man eben doch auch an den Dichter und eine pse_381.006 bestimmte Landschaft usw. denken könne. Als Gebilde bleibt pse_381.007 das Gedicht in sich geschlossen und vollendet. Die Frage des pse_381.008 Bezugs zur Außenwelt berührt die Tatsache, daß alle Dichtung pse_381.009 -- auch die epische und die dramatische trotz ihres von pse_381.010 der Realität abgehobenen Vorgangs -- in die konkrete geschichtliche pse_381.011 Welt in der mannigfachsten Weise eingefügt ist.
pse_381.012 Weil also hier keine fundamentalen Unterschiede zwischen pse_381.013 den Dichtungsgattungen vorliegen, sind auch Übergänge der pse_381.014 Lyrik zu den anderen Gattungen möglich. Zuerst zur Epik. pse_381.015 Es handelt sich hier nicht um lyrische Einlagen in epischen pse_381.016 Dichtungen, sondern um die Einschmelzung von einfachen pse_381.017 Vorgängen in die lyrische Gestaltung. In Eichendorffs "Mondnacht" pse_381.018 können wir in jeder Strophe von einem Vorgang pse_381.019 sprechen. Aber er ist so geformt, daß durch ihn eben das persönliche pse_381.020 Ergriffensein, die innerste Haltung des Ich erfaßbar pse_381.021 wird. Es fehlt ja die Verbindung des Vorganghaften mit pse_381.022 Menschen. Aber es gibt auch eine andere Beziehung: es kann pse_381.023 ein Vorgang unter Menschen in einer Dichtung erzählt pse_381.024 werden, also eine reine Vorgangswelt geprägt sein; aber die pse_381.025 Gestaltung ist so, daß daraus vor allem eine ganz bestimmte pse_381.026 Grundgestimmtheit, eine durchgehende Gemütshaltung vordringt. pse_381.027 Es ist so, als ob der Vorgang selber, der da dichterisch pse_381.028 abläuft, zugleich mit seinem Erlebnis durch ein Ich gestaltet pse_381.029 würde, daß also der vom Ich ergriffene "Sachverhalt" der pse_381.030 dichterisch geformte Vorgang wäre. Auf diese Weise würde pse_381.031 solche Dichtung nahe an die Lyrik herantreten. So kommt es, pse_381.032 daß gewisse Arten nicht eindeutig eingeordnet werden. Die pse_381.033 Ballade wird oft als lyrisch bezeichnet. Tatsächlich herrscht pse_381.034 die eben angedeutete Gestalt sehr stark in Goethes "Erlkönig" pse_381.035 und "Fischer" vor. Auch die Elegie und die Idylle bilden in pse_381.036 dieser Hinsicht Übergangsformen. Vielleicht könnten genaue pse_381.037 Interpretationen jeweils feststellen, ob die Vorgangsgestaltung pse_381.038 oder das Ergriffensein eines Ichs durch den Vorgang sprachkünstlerisch
pse_381.001 herauslösen und in die im Gedicht geformte Welt einfügen. pse_381.002 Es scheint aber nicht nötig, von einer offenen Struktur des pse_381.003 lyrischen Gedichts zu sprechen, da die Bezüge zum außersprachlichen pse_381.004 Ich und zur außersprachlichen Welt verschwebend pse_381.005 seien und man eben doch auch an den Dichter und eine pse_381.006 bestimmte Landschaft usw. denken könne. Als Gebilde bleibt pse_381.007 das Gedicht in sich geschlossen und vollendet. Die Frage des pse_381.008 Bezugs zur Außenwelt berührt die Tatsache, daß alle Dichtung pse_381.009 — auch die epische und die dramatische trotz ihres von pse_381.010 der Realität abgehobenen Vorgangs — in die konkrete geschichtliche pse_381.011 Welt in der mannigfachsten Weise eingefügt ist.
pse_381.012 Weil also hier keine fundamentalen Unterschiede zwischen pse_381.013 den Dichtungsgattungen vorliegen, sind auch Übergänge der pse_381.014 Lyrik zu den anderen Gattungen möglich. Zuerst zur Epik. pse_381.015 Es handelt sich hier nicht um lyrische Einlagen in epischen pse_381.016 Dichtungen, sondern um die Einschmelzung von einfachen pse_381.017 Vorgängen in die lyrische Gestaltung. In Eichendorffs »Mondnacht« pse_381.018 können wir in jeder Strophe von einem Vorgang pse_381.019 sprechen. Aber er ist so geformt, daß durch ihn eben das persönliche pse_381.020 Ergriffensein, die innerste Haltung des Ich erfaßbar pse_381.021 wird. Es fehlt ja die Verbindung des Vorganghaften mit pse_381.022 Menschen. Aber es gibt auch eine andere Beziehung: es kann pse_381.023 ein Vorgang unter Menschen in einer Dichtung erzählt pse_381.024 werden, also eine reine Vorgangswelt geprägt sein; aber die pse_381.025 Gestaltung ist so, daß daraus vor allem eine ganz bestimmte pse_381.026 Grundgestimmtheit, eine durchgehende Gemütshaltung vordringt. pse_381.027 Es ist so, als ob der Vorgang selber, der da dichterisch pse_381.028 abläuft, zugleich mit seinem Erlebnis durch ein Ich gestaltet pse_381.029 würde, daß also der vom Ich ergriffene »Sachverhalt« der pse_381.030 dichterisch geformte Vorgang wäre. Auf diese Weise würde pse_381.031 solche Dichtung nahe an die Lyrik herantreten. So kommt es, pse_381.032 daß gewisse Arten nicht eindeutig eingeordnet werden. Die pse_381.033 Ballade wird oft als lyrisch bezeichnet. Tatsächlich herrscht pse_381.034 die eben angedeutete Gestalt sehr stark in Goethes »Erlkönig« pse_381.035 und »Fischer« vor. Auch die Elegie und die Idylle bilden in pse_381.036 dieser Hinsicht Übergangsformen. Vielleicht könnten genaue pse_381.037 Interpretationen jeweils feststellen, ob die Vorgangsgestaltung pse_381.038 oder das Ergriffensein eines Ichs durch den Vorgang sprachkünstlerisch
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herauslösen und in die im Gedicht geformte Welt einfügen. pse_381.002
Es scheint aber nicht nötig, von einer offenen Struktur des pse_381.003
lyrischen Gedichts zu sprechen, da die Bezüge zum außersprachlichen pse_381.004
Ich und zur außersprachlichen Welt verschwebend pse_381.005
seien und man eben doch auch an den Dichter und eine pse_381.006
bestimmte Landschaft usw. denken könne. Als Gebilde bleibt pse_381.007
das Gedicht in sich geschlossen und vollendet. Die Frage des pse_381.008
Bezugs zur Außenwelt berührt die Tatsache, daß alle Dichtung pse_381.009
— auch die epische und die dramatische trotz ihres von pse_381.010
der Realität abgehobenen Vorgangs — in die konkrete geschichtliche pse_381.011
Welt in der mannigfachsten Weise eingefügt ist.
pse_381.012
Weil also hier keine fundamentalen Unterschiede zwischen pse_381.013
den Dichtungsgattungen vorliegen, sind auch Übergänge der pse_381.014
Lyrik zu den anderen Gattungen möglich. Zuerst zur Epik. pse_381.015
Es handelt sich hier nicht um lyrische Einlagen in epischen pse_381.016
Dichtungen, sondern um die Einschmelzung von einfachen pse_381.017
Vorgängen in die lyrische Gestaltung. In Eichendorffs »Mondnacht« pse_381.018
können wir in jeder Strophe von einem Vorgang pse_381.019
sprechen. Aber er ist so geformt, daß durch ihn eben das persönliche pse_381.020
Ergriffensein, die innerste Haltung des Ich erfaßbar pse_381.021
wird. Es fehlt ja die Verbindung des Vorganghaften mit pse_381.022
Menschen. Aber es gibt auch eine andere Beziehung: es kann pse_381.023
ein Vorgang unter Menschen in einer Dichtung erzählt pse_381.024
werden, also eine reine Vorgangswelt geprägt sein; aber die pse_381.025
Gestaltung ist so, daß daraus vor allem eine ganz bestimmte pse_381.026
Grundgestimmtheit, eine durchgehende Gemütshaltung vordringt. pse_381.027
Es ist so, als ob der Vorgang selber, der da dichterisch pse_381.028
abläuft, zugleich mit seinem Erlebnis durch ein Ich gestaltet pse_381.029
würde, daß also der vom Ich ergriffene »Sachverhalt« der pse_381.030
dichterisch geformte Vorgang wäre. Auf diese Weise würde pse_381.031
solche Dichtung nahe an die Lyrik herantreten. So kommt es, pse_381.032
daß gewisse Arten nicht eindeutig eingeordnet werden. Die pse_381.033
Ballade wird oft als lyrisch bezeichnet. Tatsächlich herrscht pse_381.034
die eben angedeutete Gestalt sehr stark in Goethes »Erlkönig« pse_381.035
und »Fischer« vor. Auch die Elegie und die Idylle bilden in pse_381.036
dieser Hinsicht Übergangsformen. Vielleicht könnten genaue pse_381.037
Interpretationen jeweils feststellen, ob die Vorgangsgestaltung pse_381.038
oder das Ergriffensein eines Ichs durch den Vorgang sprachkünstlerisch
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/397>, abgerufen am 21.11.2024.
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