pse_380.001 deutlich, daß die Sprachkunst vor allem in solchen sprachlichen pse_380.002 Bereichen, die scheinbar einen objektiven Sachverhalt pse_380.003 aussagen, aus der sachdarstellerischen Haltung hinausführt pse_380.004 und damit eine sprachgebundene Wirklichkeit aufbaut.
pse_380.005 Wir haben schon einige Male in dieser einführenden Betrachtung pse_380.006 der Lyrik vom Ich gesprochen. Wir stoßen auf das pse_380.007 lyrische Ich. In der dichterischen Gestaltung wirkt sich immer pse_380.008 ein Menschliches aus. In dieser Gattung verdichtet sich das pse_380.009 Menschliche in besonders starker Weise zu einem Ich, das aus pse_380.010 einer bestimmten Ergriffenheit heraus spricht. Das Gedicht pse_380.011 enthüllt seine innere Fülle erst, wenn das Gestaltete als ein von pse_380.012 einem Ich Erlebtes erfaßt wird. Ein Ich gehört als die eine pse_380.013 Seite ebenso notwendig zu dieser sprachlichen Wirklichkeit pse_380.014 wie das Erlebnisfeld auf der anderen Seite; aber im sprachlichen pse_380.015 Gebilde verschmelzen sie völlig. Wer ist nun dieses Ich? pse_380.016 Die einen behaupten, es sei der ganz konkrete Dichter. Wenn pse_380.017 man Goethes Verse hört: "Aug, mein Aug, was sinkst du pse_380.018 nieder? / Goldne Träume, kommt ihr wieder?" so liegt es sehr pse_380.019 nahe, hier unmittelbar den Dichter sprechen zu hören, eben pse_380.020 Goethe. Beim Gedicht Eichendorffs ist das nicht so eindeutig. pse_380.021 Und tatsächlich lehnen viele es ab, im lyrischen Ich den pse_380.022 Dichter zu meinen. Besonders deutlich ist es in der Lyrik der pse_380.023 Anakreontik, vielfach aber auch im Minnesang, daß wir vom pse_380.024 Dichter als dokumentarisch feststellbarer Person absehen pse_380.025 müssen. Ebenso im Rollenlied, wo also der Dichter bewußt pse_380.026 die lyrische Aussage einer bestimmten Person in den Mund pse_380.027 legt. Die vielen Frauenstrophen und Wechsel in der Minnelyrik pse_380.028 sind Beispiele dafür. Und doch sind auch diese Gedichte pse_380.029 so gestaltet, daß ein ergriffenes und sprechendes (singendes) pse_380.030 Ich notwendig mit eingeformt ist. Das Gedicht erscheint als pse_380.031 die Aussage eines Subjekts. Für die künstlerische Wertung des pse_380.032 Gedichts und für die Erfassung des Gehalts und der Stimmung pse_380.033 ist die Frage, wer das Ich ist, ob es der Dichter ist, gänzlich pse_380.034 unbedeutend. Nur für die Biographie des Dichters und die pse_380.035 geschichtlichen Zusammenhänge mag die Beantwortung der pse_380.036 Frage einige Bedeutung haben. Wir müssen auch das lyrische pse_380.037 Ich, das ja in das Gedicht völlig eingeschmolzen ist, aus der pse_380.038 außersprachlichen, also geschichtlich-konkreten Welt ganz
pse_380.001 deutlich, daß die Sprachkunst vor allem in solchen sprachlichen pse_380.002 Bereichen, die scheinbar einen objektiven Sachverhalt pse_380.003 aussagen, aus der sachdarstellerischen Haltung hinausführt pse_380.004 und damit eine sprachgebundene Wirklichkeit aufbaut.
pse_380.005 Wir haben schon einige Male in dieser einführenden Betrachtung pse_380.006 der Lyrik vom Ich gesprochen. Wir stoßen auf das pse_380.007 lyrische Ich. In der dichterischen Gestaltung wirkt sich immer pse_380.008 ein Menschliches aus. In dieser Gattung verdichtet sich das pse_380.009 Menschliche in besonders starker Weise zu einem Ich, das aus pse_380.010 einer bestimmten Ergriffenheit heraus spricht. Das Gedicht pse_380.011 enthüllt seine innere Fülle erst, wenn das Gestaltete als ein von pse_380.012 einem Ich Erlebtes erfaßt wird. Ein Ich gehört als die eine pse_380.013 Seite ebenso notwendig zu dieser sprachlichen Wirklichkeit pse_380.014 wie das Erlebnisfeld auf der anderen Seite; aber im sprachlichen pse_380.015 Gebilde verschmelzen sie völlig. Wer ist nun dieses Ich? pse_380.016 Die einen behaupten, es sei der ganz konkrete Dichter. Wenn pse_380.017 man Goethes Verse hört: »Aug, mein Aug, was sinkst du pse_380.018 nieder? / Goldne Träume, kommt ihr wieder?« so liegt es sehr pse_380.019 nahe, hier unmittelbar den Dichter sprechen zu hören, eben pse_380.020 Goethe. Beim Gedicht Eichendorffs ist das nicht so eindeutig. pse_380.021 Und tatsächlich lehnen viele es ab, im lyrischen Ich den pse_380.022 Dichter zu meinen. Besonders deutlich ist es in der Lyrik der pse_380.023 Anakreontik, vielfach aber auch im Minnesang, daß wir vom pse_380.024 Dichter als dokumentarisch feststellbarer Person absehen pse_380.025 müssen. Ebenso im Rollenlied, wo also der Dichter bewußt pse_380.026 die lyrische Aussage einer bestimmten Person in den Mund pse_380.027 legt. Die vielen Frauenstrophen und Wechsel in der Minnelyrik pse_380.028 sind Beispiele dafür. Und doch sind auch diese Gedichte pse_380.029 so gestaltet, daß ein ergriffenes und sprechendes (singendes) pse_380.030 Ich notwendig mit eingeformt ist. Das Gedicht erscheint als pse_380.031 die Aussage eines Subjekts. Für die künstlerische Wertung des pse_380.032 Gedichts und für die Erfassung des Gehalts und der Stimmung pse_380.033 ist die Frage, wer das Ich ist, ob es der Dichter ist, gänzlich pse_380.034 unbedeutend. Nur für die Biographie des Dichters und die pse_380.035 geschichtlichen Zusammenhänge mag die Beantwortung der pse_380.036 Frage einige Bedeutung haben. Wir müssen auch das lyrische pse_380.037 Ich, das ja in das Gedicht völlig eingeschmolzen ist, aus der pse_380.038 außersprachlichen, also geschichtlich-konkreten Welt ganz
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Wir haben schon einige Male in dieser einführenden Betrachtung pse_380.006
der Lyrik vom Ich gesprochen. Wir stoßen auf das pse_380.007
lyrische Ich. In der dichterischen Gestaltung wirkt sich immer pse_380.008
ein Menschliches aus. In dieser Gattung verdichtet sich das pse_380.009
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einer bestimmten Ergriffenheit heraus spricht. Das Gedicht pse_380.011
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einem Ich Erlebtes erfaßt wird. Ein Ich gehört als die eine pse_380.013
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/396>, abgerufen am 21.11.2024.
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