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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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sinnenhaften Singens aus dem Innesein im Wellengang des pse_418.002
Blutes und im Kreislauf der Lebenskräfte."

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Es rauschen die Wipfel und schauern, pse_418.004
Als machten zu dieser Stund pse_418.005
Um die halbversunkenen Mauern pse_418.006
Die alten Götter die Rund.
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Hier hinter den Myrtenbäumen pse_418.008
In heimlich dämmernder Pracht, pse_418.009
Was sprichst du wirr wie in Träumen pse_418.010
Zu mir, phantastische Nacht?
pse_418.011
Es funkeln auf mich alle Sterne pse_418.012
Mit glühendem Liebesblick, pse_418.013
Es redet trunken die Ferne pse_418.014
Wie von künftigem, großem Glück.
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   (Eichendorff, Schöne Fremde)

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Gerade die letzte Strophe zeigt das Verschmelzen eindringlich: pse_418.017
Nirgends eine Beschreibung eines Außen, sondern alles pse_418.018
ist in bezug zum Inneren gesetzt, aber auch nur das erfaßt pse_418.019
und erlebt, was zu diesem Inneren stimmt. Die innere Gestimmtheit pse_418.020
umgreift auch die Natur, und diese wiederum pse_418.021
zieht das Innere in ihre Geheimnisse.

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Aus diesem Wesen des Liedes entsteht eine Gefahr: die pse_418.023
des Zerfließens. Wo nichts mehr klar abtrennbar ist, wo eins pse_418.024
zugleich das andere ist, droht alle Gestalt zu entschwinden. pse_418.025
Hier spüren wir nun das Geheimnis echter und schöner Dichtkunst pse_418.026
ganz nahe: in der Bannkraft der Form. Gerade das Lied pse_418.027
verlangt sie und bannt so die Gefahr der Auflösung in lauter pse_418.028
verschwebende Stimmung. Dem dient der Strophenbau, der pse_418.029
gerade beim Lied beinahe zum Gesetz wird. Je einfacher die pse_418.030
Versform, also das Metrum, desto deutlicher prägt es sich ein pse_418.031
und kann als festes Rückgrat wirken. Der Reim bindet die pse_418.032
Verse aneinander und zur Strophe. Selbstverständlich offenbart pse_418.033
er auch sinnvolle, geheime Zusammenhänge zwischen pse_418.034
den Worten. Der gleiche Bau der Verse, der wiederkehrende pse_418.035
Reim und der Gleichbau der Strophen, also das Prinzip der pse_418.036
Wiederholung, schließt das Ganze in eine strenge Form, in pse_418.037
ein wertvolles Gefäß für den köstlichen Stimmungsgehalt. pse_418.038
Zu diesen Hilfen der Schließung gehört auch der Kehrreim, pse_418.039
also die Wiederholung eines oder mehrerer Verse am Schluß

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sinnenhaften Singens aus dem Innesein im Wellengang des pse_418.002
Blutes und im Kreislauf der Lebenskräfte.«

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Es rauschen die Wipfel und schauern, pse_418.004
Als machten zu dieser Stund pse_418.005
Um die halbversunkenen Mauern pse_418.006
Die alten Götter die Rund.
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Hier hinter den Myrtenbäumen pse_418.008
In heimlich dämmernder Pracht, pse_418.009
Was sprichst du wirr wie in Träumen pse_418.010
Zu mir, phantastische Nacht?
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Es funkeln auf mich alle Sterne pse_418.012
Mit glühendem Liebesblick, pse_418.013
Es redet trunken die Ferne pse_418.014
Wie von künftigem, großem Glück.
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   (Eichendorff, Schöne Fremde)

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Gerade die letzte Strophe zeigt das Verschmelzen eindringlich: pse_418.017
Nirgends eine Beschreibung eines Außen, sondern alles pse_418.018
ist in bezug zum Inneren gesetzt, aber auch nur das erfaßt pse_418.019
und erlebt, was zu diesem Inneren stimmt. Die innere Gestimmtheit pse_418.020
umgreift auch die Natur, und diese wiederum pse_418.021
zieht das Innere in ihre Geheimnisse.

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Aus diesem Wesen des Liedes entsteht eine Gefahr: die pse_418.023
des Zerfließens. Wo nichts mehr klar abtrennbar ist, wo eins pse_418.024
zugleich das andere ist, droht alle Gestalt zu entschwinden. pse_418.025
Hier spüren wir nun das Geheimnis echter und schöner Dichtkunst pse_418.026
ganz nahe: in der Bannkraft der Form. Gerade das Lied pse_418.027
verlangt sie und bannt so die Gefahr der Auflösung in lauter pse_418.028
verschwebende Stimmung. Dem dient der Strophenbau, der pse_418.029
gerade beim Lied beinahe zum Gesetz wird. Je einfacher die pse_418.030
Versform, also das Metrum, desto deutlicher prägt es sich ein pse_418.031
und kann als festes Rückgrat wirken. Der Reim bindet die pse_418.032
Verse aneinander und zur Strophe. Selbstverständlich offenbart pse_418.033
er auch sinnvolle, geheime Zusammenhänge zwischen pse_418.034
den Worten. Der gleiche Bau der Verse, der wiederkehrende pse_418.035
Reim und der Gleichbau der Strophen, also das Prinzip der pse_418.036
Wiederholung, schließt das Ganze in eine strenge Form, in pse_418.037
ein wertvolles Gefäß für den köstlichen Stimmungsgehalt. pse_418.038
Zu diesen Hilfen der Schließung gehört auch der Kehrreim, pse_418.039
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[418/0434] pse_418.001 sinnenhaften Singens aus dem Innesein im Wellengang des pse_418.002 Blutes und im Kreislauf der Lebenskräfte.« pse_418.003 Es rauschen die Wipfel und schauern, pse_418.004 Als machten zu dieser Stund pse_418.005 Um die halbversunkenen Mauern pse_418.006 Die alten Götter die Rund. pse_418.007 Hier hinter den Myrtenbäumen pse_418.008 In heimlich dämmernder Pracht, pse_418.009 Was sprichst du wirr wie in Träumen pse_418.010 Zu mir, phantastische Nacht? pse_418.011 Es funkeln auf mich alle Sterne pse_418.012 Mit glühendem Liebesblick, pse_418.013 Es redet trunken die Ferne pse_418.014 Wie von künftigem, großem Glück. pse_418.015 (Eichendorff, Schöne Fremde) pse_418.016 Gerade die letzte Strophe zeigt das Verschmelzen eindringlich: pse_418.017 Nirgends eine Beschreibung eines Außen, sondern alles pse_418.018 ist in bezug zum Inneren gesetzt, aber auch nur das erfaßt pse_418.019 und erlebt, was zu diesem Inneren stimmt. Die innere Gestimmtheit pse_418.020 umgreift auch die Natur, und diese wiederum pse_418.021 zieht das Innere in ihre Geheimnisse. pse_418.022 Aus diesem Wesen des Liedes entsteht eine Gefahr: die pse_418.023 des Zerfließens. Wo nichts mehr klar abtrennbar ist, wo eins pse_418.024 zugleich das andere ist, droht alle Gestalt zu entschwinden. pse_418.025 Hier spüren wir nun das Geheimnis echter und schöner Dichtkunst pse_418.026 ganz nahe: in der Bannkraft der Form. Gerade das Lied pse_418.027 verlangt sie und bannt so die Gefahr der Auflösung in lauter pse_418.028 verschwebende Stimmung. Dem dient der Strophenbau, der pse_418.029 gerade beim Lied beinahe zum Gesetz wird. Je einfacher die pse_418.030 Versform, also das Metrum, desto deutlicher prägt es sich ein pse_418.031 und kann als festes Rückgrat wirken. Der Reim bindet die pse_418.032 Verse aneinander und zur Strophe. Selbstverständlich offenbart pse_418.033 er auch sinnvolle, geheime Zusammenhänge zwischen pse_418.034 den Worten. Der gleiche Bau der Verse, der wiederkehrende pse_418.035 Reim und der Gleichbau der Strophen, also das Prinzip der pse_418.036 Wiederholung, schließt das Ganze in eine strenge Form, in pse_418.037 ein wertvolles Gefäß für den köstlichen Stimmungsgehalt. pse_418.038 Zu diesen Hilfen der Schließung gehört auch der Kehrreim, pse_418.039 also die Wiederholung eines oder mehrerer Verse am Schluß

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/434>, abgerufen am 22.11.2024.