pse_432.001 Ergriffenheit, tiefster Aufwühlung sind. Nur weil eben die pse_432.002 gedankliche Bewältigung des ergriffenen Weltausschnitts an pse_432.003 sich schon Schwierigkeiten bereitet, kommt es so oft nicht pse_432.004 zur dichterischen Um- und Durchgestaltung. An sich aber ist pse_432.005 auch Gedankenlyrik durchaus möglich. Freilich rückt sie oft pse_432.006 in die Nähe der Didaktik. Was sie grundsätzlich davon unterscheidet, pse_432.007 ist die Grundhaltung, die jedem einzelnen gedankenlyrischen pse_432.008 Gedicht zugrunde liegt. Wenn die Gestaltung aus pse_432.009 der tiefen Ergriffenheit, der Aufwühlung durch einen Gedankenzusammenhang pse_432.010 herauswächst und wenn im Gedicht pse_432.011 dieser Gedankenzusammenhang als Erlebnis, also zugleich in pse_432.012 der Formwerdung seelischer Bewegtheit, lebendig wird, dann pse_432.013 liegt Gedankenlyrik vor. Kommt es dem Dichter aber darauf pse_432.014 an, aus betrachtender Haltung auf einen Gedankenzusammenhang pse_432.015 hinzuweisen, ihn zugleich in dichterischer Gestaltung pse_432.016 aufzubauen, dann tritt die innere Ergriffenheit in der Gestaltung pse_432.017 zurück, wenn sie auch eine der Antriebskräfte des pse_432.018 Gedichts gewesen sein mag. Wir können da von Didaktik pse_432.019 sprechen.
pse_432.020 e) Eine besondere Art der Gedankenlyrik ist die Spruchdichtung.pse_432.021 Geschieht die dichterische Prägung eines gedanklichen pse_432.022 Zusammenhangs in besonders knapper und geschlossener pse_432.023 Form, dann nennen wir solche Gebilde Sprüche. Bevor pse_432.024 wir auf die Möglichkeiten und Formen eingehen, sei an einem pse_432.025 Beispiel das Lyrische auch an solchen Gedichten und die pse_432.026 Eigenart im Rahmen der gesamten Lyrik gezeigt.
pse_432.027
Was wär ein Gott, der nur von außen stieße,pse_432.028 Im Kreis das All am Finger laufen ließe!pse_432.029 Ihm ziemt's, die Welt im Innern zu bewegen,pse_432.030 Natur in sich, sich in Natur zu hegen,pse_432.031 So daß, was in ihm lebt und webt und ist,pse_432.032 Nie seine Kraft, nie seinen Geist vermißt.
pse_432.033 (Goethe, Gott und Welt)
pse_432.034
Es liegt ein knappes Gebilde vor uns, aus drei Reimpaaren pse_432.035 bestehend. Jedes Reimpaar bringt ein geschlossenes sprachliches pse_432.036 Bild. Das erste ist sehr anschaulich im strengen Sinn pse_432.037 des Worts: Gott und All getrennt, dieses von Gott an seinem pse_432.038 Finger gedreht: so wird eine Spannung zwischen Gott und
pse_432.001 Ergriffenheit, tiefster Aufwühlung sind. Nur weil eben die pse_432.002 gedankliche Bewältigung des ergriffenen Weltausschnitts an pse_432.003 sich schon Schwierigkeiten bereitet, kommt es so oft nicht pse_432.004 zur dichterischen Um- und Durchgestaltung. An sich aber ist pse_432.005 auch Gedankenlyrik durchaus möglich. Freilich rückt sie oft pse_432.006 in die Nähe der Didaktik. Was sie grundsätzlich davon unterscheidet, pse_432.007 ist die Grundhaltung, die jedem einzelnen gedankenlyrischen pse_432.008 Gedicht zugrunde liegt. Wenn die Gestaltung aus pse_432.009 der tiefen Ergriffenheit, der Aufwühlung durch einen Gedankenzusammenhang pse_432.010 herauswächst und wenn im Gedicht pse_432.011 dieser Gedankenzusammenhang als Erlebnis, also zugleich in pse_432.012 der Formwerdung seelischer Bewegtheit, lebendig wird, dann pse_432.013 liegt Gedankenlyrik vor. Kommt es dem Dichter aber darauf pse_432.014 an, aus betrachtender Haltung auf einen Gedankenzusammenhang pse_432.015 hinzuweisen, ihn zugleich in dichterischer Gestaltung pse_432.016 aufzubauen, dann tritt die innere Ergriffenheit in der Gestaltung pse_432.017 zurück, wenn sie auch eine der Antriebskräfte des pse_432.018 Gedichts gewesen sein mag. Wir können da von Didaktik pse_432.019 sprechen.
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pse_432.027
Was wär ein Gott, der nur von außen stieße,pse_432.028 Im Kreis das All am Finger laufen ließe!pse_432.029 Ihm ziemt's, die Welt im Innern zu bewegen,pse_432.030 Natur in sich, sich in Natur zu hegen,pse_432.031 So daß, was in ihm lebt und webt und ist,pse_432.032 Nie seine Kraft, nie seinen Geist vermißt.
pse_432.033 (Goethe, Gott und Welt)
pse_432.034
Es liegt ein knappes Gebilde vor uns, aus drei Reimpaaren pse_432.035 bestehend. Jedes Reimpaar bringt ein geschlossenes sprachliches pse_432.036 Bild. Das erste ist sehr anschaulich im strengen Sinn pse_432.037 des Worts: Gott und All getrennt, dieses von Gott an seinem pse_432.038 Finger gedreht: so wird eine Spannung zwischen Gott und
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Ergriffenheit, tiefster Aufwühlung sind. Nur weil eben die pse_432.002
gedankliche Bewältigung des ergriffenen Weltausschnitts an pse_432.003
sich schon Schwierigkeiten bereitet, kommt es so oft nicht pse_432.004
zur dichterischen Um- und Durchgestaltung. An sich aber ist pse_432.005
auch Gedankenlyrik durchaus möglich. Freilich rückt sie oft pse_432.006
in die Nähe der Didaktik. Was sie grundsätzlich davon unterscheidet, pse_432.007
ist die Grundhaltung, die jedem einzelnen gedankenlyrischen pse_432.008
Gedicht zugrunde liegt. Wenn die Gestaltung aus pse_432.009
der tiefen Ergriffenheit, der Aufwühlung durch einen Gedankenzusammenhang pse_432.010
herauswächst und wenn im Gedicht pse_432.011
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liegt Gedankenlyrik vor. Kommt es dem Dichter aber darauf pse_432.014
an, aus betrachtender Haltung auf einen Gedankenzusammenhang pse_432.015
hinzuweisen, ihn zugleich in dichterischer Gestaltung pse_432.016
aufzubauen, dann tritt die innere Ergriffenheit in der Gestaltung pse_432.017
zurück, wenn sie auch eine der Antriebskräfte des pse_432.018
Gedichts gewesen sein mag. Wir können da von Didaktik pse_432.019
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e) Eine besondere Art der Gedankenlyrik ist die Spruchdichtung. pse_432.021
Geschieht die dichterische Prägung eines gedanklichen pse_432.022
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Form, dann nennen wir solche Gebilde Sprüche. Bevor pse_432.024
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Beispiel das Lyrische auch an solchen Gedichten und die pse_432.026
Eigenart im Rahmen der gesamten Lyrik gezeigt.
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Was wär ein Gott, der nur von außen stieße, pse_432.028
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Natur in sich, sich in Natur zu hegen, pse_432.031
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Nie seine Kraft, nie seinen Geist vermißt.
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(Goethe, Gott und Welt)
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Es liegt ein knappes Gebilde vor uns, aus drei Reimpaaren pse_432.035
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/448>, abgerufen am 22.11.2024.
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