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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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sprachkünstlerischen Aufbau einer neuen Wirklichkeit neben pse_441.002
dem unmittelbaren Weltbegegnen aus innerstem Zusammentreffen pse_441.003
und neben dem Gestalten eines Vorgangs, einer Handlung pse_441.004
auch eine dritte Möglichkeit angedeutet (S. 358): wir pse_441.005
bauen erst im sprachlichen Gestalten eine neue Ordnung auf, pse_441.006
in den sprachlichen Bildern, in den Vergleichen und in der pse_441.007
Gesamtanlage des Gedichts erwächst eine Ordnung des Erlebten. pse_441.008
So läßt Goethe vor uns die Metamorphose der Pflanze, pse_441.009
die ideelle Entfaltung aller pflanzlichen Möglichkeiten, pse_441.010
sprachlich lebendig werden, Vergil die Möglichkeiten des pse_441.011
Weinbaus oder der Bienenzucht usw. Hier stehen wir an dem pse_441.012
Punkt, wo die drei jetzt wiederholten Grundhaltungen und pse_441.013
-leistungen zusammenwirken zu einer dichterischen Einheit: pse_441.014
das, was sich mir im stillen Betrachten, und zwar schon in pse_441.015
sprachlicher Ausformung, eröffnet hat, zeige ich anderen pse_441.016
rein mit den Mitteln der Sprache und baue so vor ihnen diesen pse_441.017
Gegenstand zu einem geordneten und geschlossenen Ganzen, pse_441.018
und zwar wieder ausschließlich mit den Möglichkeiten pse_441.019
der Sprachkunst auf. Solche Dichtung nennen wir Lehrdichtung pse_441.020
oder didaktische. Sie erscheint doch bis zu einem gewissen pse_441.021
Grade als eine Einheit.

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Umgrenzung

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Aber -- und darin bestehen ja die Schwierigkeiten und gründen pse_441.024
die Bedenken vor allem -- gerade diese Gattung hat bedenklich pse_441.025
offene Grenzen nicht nur zu den anderen Gattungen pse_441.026
der Dichtung, sondern auch zu außerdichterischen sprachlichen pse_441.027
Leistungen.

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Wir betrachten zuerst ganz kurz die Übergänge zu den pse_441.029
anderen Dichtungsgattungen, müssen dabei manches wiederholen, pse_441.030
nun aber von der anderen Seite sehen. Die nächste Beziehung pse_441.031
zur Lyrik liegt vor allem in der Tatsache, daß Gedankenlyrik pse_441.032
und Spruchdichtung besonders nahe Verwandtschaft pse_441.033
mit der Didaktik haben. Aber halten wir fest: in der pse_441.034
Gedankenlyrik ist die Grundhaltung die: ein gedanklicher pse_441.035
Zusammenhang, eine Erkenntnis, eine theoretisch gewonnene

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sprachkünstlerischen Aufbau einer neuen Wirklichkeit neben pse_441.002
dem unmittelbaren Weltbegegnen aus innerstem Zusammentreffen pse_441.003
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die ideelle Entfaltung aller pflanzlichen Möglichkeiten, pse_441.010
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Weinbaus oder der Bienenzucht usw. Hier stehen wir an dem pse_441.012
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das, was sich mir im stillen Betrachten, und zwar schon in pse_441.015
sprachlicher Ausformung, eröffnet hat, zeige ich anderen pse_441.016
rein mit den Mitteln der Sprache und baue so vor ihnen diesen pse_441.017
Gegenstand zu einem geordneten und geschlossenen Ganzen, pse_441.018
und zwar wieder ausschließlich mit den Möglichkeiten pse_441.019
der Sprachkunst auf. Solche Dichtung nennen wir Lehrdichtung pse_441.020
oder didaktische. Sie erscheint doch bis zu einem gewissen pse_441.021
Grade als eine Einheit.

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Aber — und darin bestehen ja die Schwierigkeiten und gründen pse_441.024
die Bedenken vor allem — gerade diese Gattung hat bedenklich pse_441.025
offene Grenzen nicht nur zu den anderen Gattungen pse_441.026
der Dichtung, sondern auch zu außerdichterischen sprachlichen pse_441.027
Leistungen.

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Wir betrachten zuerst ganz kurz die Übergänge zu den pse_441.029
anderen Dichtungsgattungen, müssen dabei manches wiederholen, pse_441.030
nun aber von der anderen Seite sehen. Die nächste Beziehung pse_441.031
zur Lyrik liegt vor allem in der Tatsache, daß Gedankenlyrik pse_441.032
und Spruchdichtung besonders nahe Verwandtschaft pse_441.033
mit der Didaktik haben. Aber halten wir fest: in der pse_441.034
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[441/0457] pse_441.001 sprachkünstlerischen Aufbau einer neuen Wirklichkeit neben pse_441.002 dem unmittelbaren Weltbegegnen aus innerstem Zusammentreffen pse_441.003 und neben dem Gestalten eines Vorgangs, einer Handlung pse_441.004 auch eine dritte Möglichkeit angedeutet (S. 358): wir pse_441.005 bauen erst im sprachlichen Gestalten eine neue Ordnung auf, pse_441.006 in den sprachlichen Bildern, in den Vergleichen und in der pse_441.007 Gesamtanlage des Gedichts erwächst eine Ordnung des Erlebten. pse_441.008 So läßt Goethe vor uns die Metamorphose der Pflanze, pse_441.009 die ideelle Entfaltung aller pflanzlichen Möglichkeiten, pse_441.010 sprachlich lebendig werden, Vergil die Möglichkeiten des pse_441.011 Weinbaus oder der Bienenzucht usw. Hier stehen wir an dem pse_441.012 Punkt, wo die drei jetzt wiederholten Grundhaltungen und pse_441.013 -leistungen zusammenwirken zu einer dichterischen Einheit: pse_441.014 das, was sich mir im stillen Betrachten, und zwar schon in pse_441.015 sprachlicher Ausformung, eröffnet hat, zeige ich anderen pse_441.016 rein mit den Mitteln der Sprache und baue so vor ihnen diesen pse_441.017 Gegenstand zu einem geordneten und geschlossenen Ganzen, pse_441.018 und zwar wieder ausschließlich mit den Möglichkeiten pse_441.019 der Sprachkunst auf. Solche Dichtung nennen wir Lehrdichtung pse_441.020 oder didaktische. Sie erscheint doch bis zu einem gewissen pse_441.021 Grade als eine Einheit. pse_441.022 Umgrenzung pse_441.023 Aber — und darin bestehen ja die Schwierigkeiten und gründen pse_441.024 die Bedenken vor allem — gerade diese Gattung hat bedenklich pse_441.025 offene Grenzen nicht nur zu den anderen Gattungen pse_441.026 der Dichtung, sondern auch zu außerdichterischen sprachlichen pse_441.027 Leistungen. pse_441.028 Wir betrachten zuerst ganz kurz die Übergänge zu den pse_441.029 anderen Dichtungsgattungen, müssen dabei manches wiederholen, pse_441.030 nun aber von der anderen Seite sehen. Die nächste Beziehung pse_441.031 zur Lyrik liegt vor allem in der Tatsache, daß Gedankenlyrik pse_441.032 und Spruchdichtung besonders nahe Verwandtschaft pse_441.033 mit der Didaktik haben. Aber halten wir fest: in der pse_441.034 Gedankenlyrik ist die Grundhaltung die: ein gedanklicher pse_441.035 Zusammenhang, eine Erkenntnis, eine theoretisch gewonnene

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/457>, abgerufen am 22.11.2024.