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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959.

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und füllt so die erreichte Gegenwart aus der erlebten Vergangenheit pse_487.002
auf; es entsteht eine bedeutsame Vertiefung.

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Die Vorausdeutungen schaffen ein Gegengewicht gegen pse_487.004
Rückwendungen, wecken Spannung und zeigen die Zukunft pse_487.005
in besonderem Licht. Wenn der Erzähler nur bestimmte pse_487.006
Strecken des Vorgangs vorausdeutet, entsteht zugleich eine pse_487.007
klare Gliederung des Geschehens. Auch hier spielt der Erzählstandpunkt pse_487.008
eine Rolle. Denn wenn der Erzähler über dem pse_487.009
Ganzen steht, so haben seine Vorausdeutungen den Charakter pse_487.010
der Gewißheit. So wird oft im Anfangs-Rahmen die Person pse_487.011
im Endzustand der Binnenerzählung gebracht: wir lernen den pse_487.012
armen Spielmann als den ungeschickten Alten kennen, bevor pse_487.013
wir seine Lebensgeschichte erfahren. Durch diese Vorausnahme pse_487.014
aber wirkt die Mitteilung, mit der er selbst seine pse_487.015
Geschichte zu erzählen beginnt, daß er der Sohn eines bekannten pse_487.016
hohen Staatsmannes sei, um so erregender. Am Ende pse_487.017
einer Erzählung kann so die Endsituation oder ein späterer pse_487.018
Zustand vorausgedeutet werden, ohne daß er ausführlich dargestellt pse_487.019
wird. Meisterhaft macht das Hemingway im Roman pse_487.020
"Wem die Stunde schlägt". Die Vorausdeutung kann auch pse_487.021
mehr andeutend-symbolisch sein. Eugenie in Mörikes Novelle pse_487.022
"Mozart auf der Reise nach Prag", die schon von bangen pse_487.023
Ahnungen ergriffen wird, als Mozart den Schluß des "Don pse_487.024
Giovanni" vorspielt, findet nach dessen Abreise das Gedicht pse_487.025
"Ein Tännlein grünet, wer weiß wo ..."; es rührt sie zu pse_487.026
Tränen, und wir wissen so vom baldigen Ende Mozarts. pse_487.027
Wenn aber der Erzähler mit dem Geschehen geht, also auch, pse_487.028
wenn er vom Standpunkt einer Person aus erzählt, werden pse_487.029
die Vorausdeutungen zukunftsungewiß. Der Erzähler gestaltet pse_487.030
etwa Wünsche und Ängste der Personen und deutet pse_487.031
damit für den Leser wirkungsvoll Zukünftiges an. Solche pse_487.032
ungewisse Vorausdeutungen können auf die verschiedenste pse_487.033
Weise beglaubigt werden: in Legenden und Märchen erscheinen pse_487.034
sie als Offenbarung göttlicher Mächte. Eindringlich pse_487.035
und ahnungsvoll wirken dann wiederholte Prophezeiungen pse_487.036
desselben Ereignisses (z. B. der Sturmflut im "Schimmelreiter"), pse_487.037
regelmäßige Vorausdeutungen vor jedem Konflikt, pse_487.038
Erinnerungen der Personen an solche Voraussagen usw.

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und füllt so die erreichte Gegenwart aus der erlebten Vergangenheit pse_487.002
auf; es entsteht eine bedeutsame Vertiefung.

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Die Vorausdeutungen schaffen ein Gegengewicht gegen pse_487.004
Rückwendungen, wecken Spannung und zeigen die Zukunft pse_487.005
in besonderem Licht. Wenn der Erzähler nur bestimmte pse_487.006
Strecken des Vorgangs vorausdeutet, entsteht zugleich eine pse_487.007
klare Gliederung des Geschehens. Auch hier spielt der Erzählstandpunkt pse_487.008
eine Rolle. Denn wenn der Erzähler über dem pse_487.009
Ganzen steht, so haben seine Vorausdeutungen den Charakter pse_487.010
der Gewißheit. So wird oft im Anfangs-Rahmen die Person pse_487.011
im Endzustand der Binnenerzählung gebracht: wir lernen den pse_487.012
armen Spielmann als den ungeschickten Alten kennen, bevor pse_487.013
wir seine Lebensgeschichte erfahren. Durch diese Vorausnahme pse_487.014
aber wirkt die Mitteilung, mit der er selbst seine pse_487.015
Geschichte zu erzählen beginnt, daß er der Sohn eines bekannten pse_487.016
hohen Staatsmannes sei, um so erregender. Am Ende pse_487.017
einer Erzählung kann so die Endsituation oder ein späterer pse_487.018
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wird. Meisterhaft macht das Hemingway im Roman pse_487.020
»Wem die Stunde schlägt«. Die Vorausdeutung kann auch pse_487.021
mehr andeutend-symbolisch sein. Eugenie in Mörikes Novelle pse_487.022
»Mozart auf der Reise nach Prag«, die schon von bangen pse_487.023
Ahnungen ergriffen wird, als Mozart den Schluß des »Don pse_487.024
Giovanni« vorspielt, findet nach dessen Abreise das Gedicht pse_487.025
»Ein Tännlein grünet, wer weiß wo ...«; es rührt sie zu pse_487.026
Tränen, und wir wissen so vom baldigen Ende Mozarts. pse_487.027
Wenn aber der Erzähler mit dem Geschehen geht, also auch, pse_487.028
wenn er vom Standpunkt einer Person aus erzählt, werden pse_487.029
die Vorausdeutungen zukunftsungewiß. Der Erzähler gestaltet pse_487.030
etwa Wünsche und Ängste der Personen und deutet pse_487.031
damit für den Leser wirkungsvoll Zukünftiges an. Solche pse_487.032
ungewisse Vorausdeutungen können auf die verschiedenste pse_487.033
Weise beglaubigt werden: in Legenden und Märchen erscheinen pse_487.034
sie als Offenbarung göttlicher Mächte. Eindringlich pse_487.035
und ahnungsvoll wirken dann wiederholte Prophezeiungen pse_487.036
desselben Ereignisses (z. B. der Sturmflut im »Schimmelreiter«), pse_487.037
regelmäßige Vorausdeutungen vor jedem Konflikt, pse_487.038
Erinnerungen der Personen an solche Voraussagen usw.

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Zitationshilfe: Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 487. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/503>, abgerufen am 22.11.2024.