pse_515.001 Binnenerzählungen, so bei Boccaccio, bei Margarete von pse_515.002 Navarra, bei Goethe. Dabei kann er selbst schon eine kleine pse_515.003 Geschichte werden: die ersten drei "Zürcher Novellen" Kellers pse_515.004 werden in einen Rahmen gebracht, der selbst eine Novelle pse_515.005 sein könnte: wie ein alter Onkel seinen Neffen von der pse_515.006 Originalitätssucht durch Darbietung wirklicher Originale pse_515.007 heilt. Die vollendetste Form bieten "Der Landvogt von Greifensee" pse_515.008 und "Das Sinngedicht": Hier ist der Rahmen die pse_515.009 Novelle, auf die es ankommt; in sie werden die anderen sinnvoll pse_515.010 eingefügt.
pse_515.011 Damit ergibt sich nun die Frage, welchen Sinn solche Rahmung pse_515.012 hat. Der Rahmen kann am einfachsten und äußerlichsten pse_515.013 nur den Zweck angeben, warum eine Binnennovelle erzählt pse_515.014 wird. Er kann aber auch die Binnenerzählung begründen: im pse_515.015 "Schimmelreiter" hat der Reiter am Anfang die unheimliche pse_515.016 Erscheinung gehabt, und sie begründet, warum ihm nun ein pse_515.017 anderer die Geschichte dieser Erscheinung erzählt. Der Rahmen pse_515.018 kann in einem bestimmten Bezug zur dichterischen oder pse_515.019 außerdichterischen Wirklichkeit stehen. Es kann sein, daß pse_515.020 der Dichter gleichsam aus dem Rahmen hinaus zu einem Kreis pse_515.021 von Zuhörern spricht, tatsächlich zu den Lesern der Dichtung. pse_515.022 Das wird deutlich in den "Novelas ejemplares" des Cervantes. pse_515.023 Man kann das auch eine offene Form oder einen Dialog nach pse_515.024 außen nennen (Pabst). Wenn aber der Rahmen eine rein in pse_515.025 dieser Dichtung bestehende Gesellschaft gestaltet, innerhalb pse_515.026 deren erzählt wird, wie bei Boccaccio, Goethe, in den "Serapionsbrüdern" pse_515.027 oder in den beiden vollendeten Rahmenerzählungen pse_515.028 Kellers, dann bleibt der Kreis geschlossen, es wird pse_515.029 nach innen erzählt. Daß dann doch wieder Leser diese Dichtung pse_515.030 zu lesen oder hören bekommen, daß sie ihnen also doch pse_515.031 wieder vorerzählt wird, erhöht den Reiz solcher Gestaltung. pse_515.032 Der Rahmen kann der Distanzierung dienen: man rückt die pse_515.033 Binnenerzählung von der Außenwelt ab und fügt sie in pse_515.034 einen eigenen Raum ein. Man kann diese Distanzierung auch pse_515.035 als eine Art Erinnerung bezeichnen. Viele der Binnenerzählungen pse_515.036 werden aus der Erinnerung früherer Erlebnisse erzählt. pse_515.037 Eine Erzählschicht wird da neu in eine andere eingefügt. pse_515.038 Diese Erzählungen aus früheren Zeitschichten können aber
pse_515.001 Binnenerzählungen, so bei Boccaccio, bei Margarete von pse_515.002 Navarra, bei Goethe. Dabei kann er selbst schon eine kleine pse_515.003 Geschichte werden: die ersten drei »Zürcher Novellen« Kellers pse_515.004 werden in einen Rahmen gebracht, der selbst eine Novelle pse_515.005 sein könnte: wie ein alter Onkel seinen Neffen von der pse_515.006 Originalitätssucht durch Darbietung wirklicher Originale pse_515.007 heilt. Die vollendetste Form bieten »Der Landvogt von Greifensee« pse_515.008 und »Das Sinngedicht«: Hier ist der Rahmen die pse_515.009 Novelle, auf die es ankommt; in sie werden die anderen sinnvoll pse_515.010 eingefügt.
pse_515.011 Damit ergibt sich nun die Frage, welchen Sinn solche Rahmung pse_515.012 hat. Der Rahmen kann am einfachsten und äußerlichsten pse_515.013 nur den Zweck angeben, warum eine Binnennovelle erzählt pse_515.014 wird. Er kann aber auch die Binnenerzählung begründen: im pse_515.015 »Schimmelreiter« hat der Reiter am Anfang die unheimliche pse_515.016 Erscheinung gehabt, und sie begründet, warum ihm nun ein pse_515.017 anderer die Geschichte dieser Erscheinung erzählt. Der Rahmen pse_515.018 kann in einem bestimmten Bezug zur dichterischen oder pse_515.019 außerdichterischen Wirklichkeit stehen. Es kann sein, daß pse_515.020 der Dichter gleichsam aus dem Rahmen hinaus zu einem Kreis pse_515.021 von Zuhörern spricht, tatsächlich zu den Lesern der Dichtung. pse_515.022 Das wird deutlich in den »Novelas ejemplares« des Cervantes. pse_515.023 Man kann das auch eine offene Form oder einen Dialog nach pse_515.024 außen nennen (Pabst). Wenn aber der Rahmen eine rein in pse_515.025 dieser Dichtung bestehende Gesellschaft gestaltet, innerhalb pse_515.026 deren erzählt wird, wie bei Boccaccio, Goethe, in den »Serapionsbrüdern« pse_515.027 oder in den beiden vollendeten Rahmenerzählungen pse_515.028 Kellers, dann bleibt der Kreis geschlossen, es wird pse_515.029 nach innen erzählt. Daß dann doch wieder Leser diese Dichtung pse_515.030 zu lesen oder hören bekommen, daß sie ihnen also doch pse_515.031 wieder vorerzählt wird, erhöht den Reiz solcher Gestaltung. pse_515.032 Der Rahmen kann der Distanzierung dienen: man rückt die pse_515.033 Binnenerzählung von der Außenwelt ab und fügt sie in pse_515.034 einen eigenen Raum ein. Man kann diese Distanzierung auch pse_515.035 als eine Art Erinnerung bezeichnen. Viele der Binnenerzählungen pse_515.036 werden aus der Erinnerung früherer Erlebnisse erzählt. pse_515.037 Eine Erzählschicht wird da neu in eine andere eingefügt. pse_515.038 Diese Erzählungen aus früheren Zeitschichten können aber
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Binnenerzählungen, so bei Boccaccio, bei Margarete von pse_515.002
Navarra, bei Goethe. Dabei kann er selbst schon eine kleine pse_515.003
Geschichte werden: die ersten drei »Zürcher Novellen« Kellers pse_515.004
werden in einen Rahmen gebracht, der selbst eine Novelle pse_515.005
sein könnte: wie ein alter Onkel seinen Neffen von der pse_515.006
Originalitätssucht durch Darbietung wirklicher Originale pse_515.007
heilt. Die vollendetste Form bieten »Der Landvogt von Greifensee« pse_515.008
und »Das Sinngedicht«: Hier ist der Rahmen die pse_515.009
Novelle, auf die es ankommt; in sie werden die anderen sinnvoll pse_515.010
eingefügt.
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Damit ergibt sich nun die Frage, welchen Sinn solche Rahmung pse_515.012
hat. Der Rahmen kann am einfachsten und äußerlichsten pse_515.013
nur den Zweck angeben, warum eine Binnennovelle erzählt pse_515.014
wird. Er kann aber auch die Binnenerzählung begründen: im pse_515.015
»Schimmelreiter« hat der Reiter am Anfang die unheimliche pse_515.016
Erscheinung gehabt, und sie begründet, warum ihm nun ein pse_515.017
anderer die Geschichte dieser Erscheinung erzählt. Der Rahmen pse_515.018
kann in einem bestimmten Bezug zur dichterischen oder pse_515.019
außerdichterischen Wirklichkeit stehen. Es kann sein, daß pse_515.020
der Dichter gleichsam aus dem Rahmen hinaus zu einem Kreis pse_515.021
von Zuhörern spricht, tatsächlich zu den Lesern der Dichtung. pse_515.022
Das wird deutlich in den »Novelas ejemplares« des Cervantes. pse_515.023
Man kann das auch eine offene Form oder einen Dialog nach pse_515.024
außen nennen (Pabst). Wenn aber der Rahmen eine rein in pse_515.025
dieser Dichtung bestehende Gesellschaft gestaltet, innerhalb pse_515.026
deren erzählt wird, wie bei Boccaccio, Goethe, in den »Serapionsbrüdern« pse_515.027
oder in den beiden vollendeten Rahmenerzählungen pse_515.028
Kellers, dann bleibt der Kreis geschlossen, es wird pse_515.029
nach innen erzählt. Daß dann doch wieder Leser diese Dichtung pse_515.030
zu lesen oder hören bekommen, daß sie ihnen also doch pse_515.031
wieder vorerzählt wird, erhöht den Reiz solcher Gestaltung. pse_515.032
Der Rahmen kann der Distanzierung dienen: man rückt die pse_515.033
Binnenerzählung von der Außenwelt ab und fügt sie in pse_515.034
einen eigenen Raum ein. Man kann diese Distanzierung auch pse_515.035
als eine Art Erinnerung bezeichnen. Viele der Binnenerzählungen pse_515.036
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/531>, abgerufen am 24.11.2024.
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