pse_535.001 moderne Roman im großen gesehen die Erzählhaltung aufgegeben pse_535.002 hat, er gehört also immer noch zur Erzählkunst. Freilich pse_535.003 bringen manche der gewagtesten Versuche auch die Gefahr pse_535.004 mit sich, das eigentliche Wesen des Erzählens einzubüßen. pse_535.005 Wie das weitergehen wird, kann man nicht sagen. pse_535.006 Wenn wertvolles Neues im Rahmen der Dichtkunst errungen pse_535.007 werden soll und kann, muß man auch zu Opfern bereit sein, pse_535.008 aber nur dann.
pse_535.009 Von vielen Blickpunkten aus kann und muß der Roman betrachtet pse_535.010 werden, um einen annähernd vollständigen Überblick pse_535.011 über seine Möglichkeiten und künstlerischen Formen zu gewähren. pse_535.012 Die Beispiele dürfen nicht bloß aus unserem Jahrhundert pse_535.013 stammen, sondern der Blick muß weitergehen. pse_535.014 Trotzdem ist es in diesem Rahmen unmöglich, Vollständigkeit pse_535.015 der Darstellung zu gewinnen. Der Vergleich mit dem pse_535.016 Epos oder mit den kurzepischen Formen kann vielfach klären pse_535.017 und helfen. Wir betrachten zuerst Mensch und Welt im pse_535.018 Roman, dann die Formprobleme und versuchen danach eine pse_535.019 Übersicht vom inhaltlichen Gesichtspunkt.
pse_535.020 1. Epos und Roman erwachsen aus verschiedenen Kulturlagen. pse_535.021 Das Epos ist die Frucht einer Frühstufe. Das heißt pse_535.022 weder primitiv noch ganz ursprünglich, denn vor den homerischen pse_535.023 Epen liegen andere Erzählformen, kann sein, daß sie mit pse_535.024 dem altgermanischen Heldenlied im künstlerischen Sinn verwandt pse_535.025 sind. Der Roman ist ein Erzeugnis einer reich entfalteten, pse_535.026 teilweise einer Spätkultur. Das ist schon der Fall mit pse_535.027 dem spätantiken Roman. Die Epen des Mittelalters kann man pse_535.028 als die einer neuen Frühstufe ansehen, als die des christlichen pse_535.029 Abendlandes. Wenn seither Epen versucht worden sind, so pse_535.030 erkennt man, daß auch sie eine "Frühe" geistiger Art wieder zu pse_535.031 gewinnen suchen: sie wollen zu neu errungener Einfalt, das pse_535.032 heißt zu einer überwölbenden und rückläufigen Überwindung pse_535.033 der kulturellen und geistigen Aufsplitterung vordringen. pse_535.034 Das ist Rückbindung und Vorschreiten zu neuer Synthese pse_535.035 in einem.
pse_535.036 In der Differenziertheit der Welt für uns liegt auch der entscheidende pse_535.037 Unterschied zwischen dem Weltbild des Epos und pse_535.038 dem des Romans. Die im Menschengeist aufgebaute Welt des
pse_535.001 moderne Roman im großen gesehen die Erzählhaltung aufgegeben pse_535.002 hat, er gehört also immer noch zur Erzählkunst. Freilich pse_535.003 bringen manche der gewagtesten Versuche auch die Gefahr pse_535.004 mit sich, das eigentliche Wesen des Erzählens einzubüßen. pse_535.005 Wie das weitergehen wird, kann man nicht sagen. pse_535.006 Wenn wertvolles Neues im Rahmen der Dichtkunst errungen pse_535.007 werden soll und kann, muß man auch zu Opfern bereit sein, pse_535.008 aber nur dann.
pse_535.009 Von vielen Blickpunkten aus kann und muß der Roman betrachtet pse_535.010 werden, um einen annähernd vollständigen Überblick pse_535.011 über seine Möglichkeiten und künstlerischen Formen zu gewähren. pse_535.012 Die Beispiele dürfen nicht bloß aus unserem Jahrhundert pse_535.013 stammen, sondern der Blick muß weitergehen. pse_535.014 Trotzdem ist es in diesem Rahmen unmöglich, Vollständigkeit pse_535.015 der Darstellung zu gewinnen. Der Vergleich mit dem pse_535.016 Epos oder mit den kurzepischen Formen kann vielfach klären pse_535.017 und helfen. Wir betrachten zuerst Mensch und Welt im pse_535.018 Roman, dann die Formprobleme und versuchen danach eine pse_535.019 Übersicht vom inhaltlichen Gesichtspunkt.
pse_535.020 1. Epos und Roman erwachsen aus verschiedenen Kulturlagen. pse_535.021 Das Epos ist die Frucht einer Frühstufe. Das heißt pse_535.022 weder primitiv noch ganz ursprünglich, denn vor den homerischen pse_535.023 Epen liegen andere Erzählformen, kann sein, daß sie mit pse_535.024 dem altgermanischen Heldenlied im künstlerischen Sinn verwandt pse_535.025 sind. Der Roman ist ein Erzeugnis einer reich entfalteten, pse_535.026 teilweise einer Spätkultur. Das ist schon der Fall mit pse_535.027 dem spätantiken Roman. Die Epen des Mittelalters kann man pse_535.028 als die einer neuen Frühstufe ansehen, als die des christlichen pse_535.029 Abendlandes. Wenn seither Epen versucht worden sind, so pse_535.030 erkennt man, daß auch sie eine »Frühe« geistiger Art wieder zu pse_535.031 gewinnen suchen: sie wollen zu neu errungener Einfalt, das pse_535.032 heißt zu einer überwölbenden und rückläufigen Überwindung pse_535.033 der kulturellen und geistigen Aufsplitterung vordringen. pse_535.034 Das ist Rückbindung und Vorschreiten zu neuer Synthese pse_535.035 in einem.
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Wie das weitergehen wird, kann man nicht sagen. pse_535.006
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Von vielen Blickpunkten aus kann und muß der Roman betrachtet pse_535.010
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Die Beispiele dürfen nicht bloß aus unserem Jahrhundert pse_535.013
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Trotzdem ist es in diesem Rahmen unmöglich, Vollständigkeit pse_535.015
der Darstellung zu gewinnen. Der Vergleich mit dem pse_535.016
Epos oder mit den kurzepischen Formen kann vielfach klären pse_535.017
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Roman, dann die Formprobleme und versuchen danach eine pse_535.019
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1. Epos und Roman erwachsen aus verschiedenen Kulturlagen. pse_535.021
Das Epos ist die Frucht einer Frühstufe. Das heißt pse_535.022
weder primitiv noch ganz ursprünglich, denn vor den homerischen pse_535.023
Epen liegen andere Erzählformen, kann sein, daß sie mit pse_535.024
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sind. Der Roman ist ein Erzeugnis einer reich entfalteten, pse_535.026
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dem spätantiken Roman. Die Epen des Mittelalters kann man pse_535.028
als die einer neuen Frühstufe ansehen, als die des christlichen pse_535.029
Abendlandes. Wenn seither Epen versucht worden sind, so pse_535.030
erkennt man, daß auch sie eine »Frühe« geistiger Art wieder zu pse_535.031
gewinnen suchen: sie wollen zu neu errungener Einfalt, das pse_535.032
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der kulturellen und geistigen Aufsplitterung vordringen. pse_535.034
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/551>, abgerufen am 22.11.2024.
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