pse_556.001 Drahtgitterstücken plastische "Kunstwerke" zusammenstükkelt. pse_556.002 Also etwa das Einschalten von Zeitungsinseraten -- oft pse_556.003 auch durch Kleindruck vom übrigen abgehoben! --, das Übernehmen pse_556.004 von Tatsachen der Außenwelt mit genauen Namens- pse_556.005 und Zeitangaben, wie es auch Th. Mann in seinem "Doktor pse_556.006 Faustus" tut. Hier tritt nun die brennende Frage auf: zerstören pse_556.007 solche unverarbeiteten Fetzen außersprachlicher Wirklichkeit pse_556.008 nicht die Dichtung? Wie kann der Dichter trotzdem versuchen, pse_556.009 eine künstlerische Ganzheit zu gestalten, wie schmilzt pse_556.010 er diese Teile ins dichterische Werk ein? Man spricht vom pse_556.011 Problem der Integration. Wie solche überwölbende Ganzheit pse_556.012 bei der Technik, nur Bewußtseinsströme darzustellen, möglich pse_556.013 ist, haben wir schon angedeutet. Aber auch die erwähnten pse_556.014 Montagen und die Einschaltung von essayartigen Gebilden pse_556.015 stellen den Künstler vor solche entscheidende Fragen. Ob er pse_556.016 sich bemüht, sie zu lösen, zeigt seinen Künstlerernst. Lange pse_556.017 sachliche oder wissenschaftliche Gespräche, wie sie z. B. pse_556.018 Naphta und Settembrini in Th. Manns "Zauberberg" führen, pse_556.019 können vor allem durch drei Mittel in die Ganzheit des Kunstwerks pse_556.020 eingefügt werden: die Gespanntheit der Gesprächssituation pse_556.021 wird mitgestaltet, diese Gespanntheit ist der im pse_556.022 Vordergrund stehende Vorgang, der erzählt wird. Das Ziel pse_556.023 des Gesprächs ist nicht der besprochene Inhalt, sondern die pse_556.024 Gewinnung des Gegners oder eines Dritten. Durch die pse_556.025 Sprachkunst, vor allem durch die rhythmische Gestaltung und pse_556.026 die Verteilung von direkter, indirekter und erlebter Rede, pse_556.027 durch die Dynamik des Redeablaufs und durch die sprachlichen pse_556.028 Bilder können auch solche Gespräche zumindest zu pse_556.029 Sprachkunstwerken gemacht werden, und als solche lassen sie pse_556.030 sich nun schon wieder leichter ins Gefüge der Dichtung einordnen. pse_556.031 Reflektierende Stellen haben sich immer schon im pse_556.032 Roman gefunden. Sie hatten früher vor allem die Aufgabe, pse_556.033 Gefühlsanteil zu wecken, allgemeine Sentenzen auf den besonderen pse_556.034 Fall anzuwenden, oder sie dienten als eine Art pse_556.035 Regiebemerkungen bei Raumwechsel. Heute können solche pse_556.036 Ausführungen eine markante Stelle im Bau des Romans pse_556.037 herausheben, so etwa vielfach die Exkurse über die Zeit an pse_556.038 wichtigen Stellen des "Zauberberges", sie können in engem
pse_556.001 Drahtgitterstücken plastische »Kunstwerke« zusammenstükkelt. pse_556.002 Also etwa das Einschalten von Zeitungsinseraten — oft pse_556.003 auch durch Kleindruck vom übrigen abgehoben! —, das Übernehmen pse_556.004 von Tatsachen der Außenwelt mit genauen Namens- pse_556.005 und Zeitangaben, wie es auch Th. Mann in seinem »Doktor pse_556.006 Faustus« tut. Hier tritt nun die brennende Frage auf: zerstören pse_556.007 solche unverarbeiteten Fetzen außersprachlicher Wirklichkeit pse_556.008 nicht die Dichtung? Wie kann der Dichter trotzdem versuchen, pse_556.009 eine künstlerische Ganzheit zu gestalten, wie schmilzt pse_556.010 er diese Teile ins dichterische Werk ein? Man spricht vom pse_556.011 Problem der Integration. Wie solche überwölbende Ganzheit pse_556.012 bei der Technik, nur Bewußtseinsströme darzustellen, möglich pse_556.013 ist, haben wir schon angedeutet. Aber auch die erwähnten pse_556.014 Montagen und die Einschaltung von essayartigen Gebilden pse_556.015 stellen den Künstler vor solche entscheidende Fragen. Ob er pse_556.016 sich bemüht, sie zu lösen, zeigt seinen Künstlerernst. Lange pse_556.017 sachliche oder wissenschaftliche Gespräche, wie sie z. B. pse_556.018 Naphta und Settembrini in Th. Manns »Zauberberg« führen, pse_556.019 können vor allem durch drei Mittel in die Ganzheit des Kunstwerks pse_556.020 eingefügt werden: die Gespanntheit der Gesprächssituation pse_556.021 wird mitgestaltet, diese Gespanntheit ist der im pse_556.022 Vordergrund stehende Vorgang, der erzählt wird. Das Ziel pse_556.023 des Gesprächs ist nicht der besprochene Inhalt, sondern die pse_556.024 Gewinnung des Gegners oder eines Dritten. Durch die pse_556.025 Sprachkunst, vor allem durch die rhythmische Gestaltung und pse_556.026 die Verteilung von direkter, indirekter und erlebter Rede, pse_556.027 durch die Dynamik des Redeablaufs und durch die sprachlichen pse_556.028 Bilder können auch solche Gespräche zumindest zu pse_556.029 Sprachkunstwerken gemacht werden, und als solche lassen sie pse_556.030 sich nun schon wieder leichter ins Gefüge der Dichtung einordnen. pse_556.031 Reflektierende Stellen haben sich immer schon im pse_556.032 Roman gefunden. Sie hatten früher vor allem die Aufgabe, pse_556.033 Gefühlsanteil zu wecken, allgemeine Sentenzen auf den besonderen pse_556.034 Fall anzuwenden, oder sie dienten als eine Art pse_556.035 Regiebemerkungen bei Raumwechsel. Heute können solche pse_556.036 Ausführungen eine markante Stelle im Bau des Romans pse_556.037 herausheben, so etwa vielfach die Exkurse über die Zeit an pse_556.038 wichtigen Stellen des »Zauberberges«, sie können in engem
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Drahtgitterstücken plastische »Kunstwerke« zusammenstükkelt. pse_556.002
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auch durch Kleindruck vom übrigen abgehoben! —, das Übernehmen pse_556.004
von Tatsachen der Außenwelt mit genauen Namens- pse_556.005
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eine künstlerische Ganzheit zu gestalten, wie schmilzt pse_556.010
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Problem der Integration. Wie solche überwölbende Ganzheit pse_556.012
bei der Technik, nur Bewußtseinsströme darzustellen, möglich pse_556.013
ist, haben wir schon angedeutet. Aber auch die erwähnten pse_556.014
Montagen und die Einschaltung von essayartigen Gebilden pse_556.015
stellen den Künstler vor solche entscheidende Fragen. Ob er pse_556.016
sich bemüht, sie zu lösen, zeigt seinen Künstlerernst. Lange pse_556.017
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Naphta und Settembrini in Th. Manns »Zauberberg« führen, pse_556.019
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eingefügt werden: die Gespanntheit der Gesprächssituation pse_556.021
wird mitgestaltet, diese Gespanntheit ist der im pse_556.022
Vordergrund stehende Vorgang, der erzählt wird. Das Ziel pse_556.023
des Gesprächs ist nicht der besprochene Inhalt, sondern die pse_556.024
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Sprachkunstwerken gemacht werden, und als solche lassen sie pse_556.030
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Seidler, Herbert: Die Dichtung: Wesen, Form, Dasein. Stuttgart, 1959, S. 556. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seidler_poetik_1959/572>, abgerufen am 22.11.2024.
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